Kräftemessen zweier Hochbegabter
Der argentinische Schriftsteller Guillermo Martínez beschreibt in seinem Buch "Roderers Eröffnung" die Rivalität von zwei hochbegabten jungen Männern, die im Schach gegeneinander antreten. Jetzt liegt die Novelle von 1992, die vornehmlich in einem Dorf südlich von Buenos Aires spielt, auf Deutsch vor.
Der Argentinier Guillermo Martínez, geboren 1962 im Küstenort Bahía Blanca, kam über einen interessanten Umweg zur Schriftstellerei: Er studierte Mathematik in Oxford. In seinen Texten spürt man noch die Begeisterung für die exakten Wissenschaften. Seine Kriminalromane "Die Pythagoras-Morde" und "Der langsame Tod der Luciana B." machten den Autor auch hierzulande bekannt. Um die Popularität zu nutzen, bringt der Eichborn Verlag nun ein Frühwerk, eine Novelle von 1992, heraus: "Roderers Eröffnung". Auf dem Umschlag stehen zwei Männer einander auf rotweiß karierten Feldern gegenüber. Die Zeichnung deutet darauf hin, auch der Titel: tatsächlich, es geht um Schach. Aber nur am Rande.
In einem Dorf am Atlantik südlich von Buenos Aires lebt der namenlose Ich-Erzähler. Er steht kurz vor dem Abitur, ist der Jahrgangsbeste, ein junger Mann mit glänzenden Aussichten und einem Faible für Schach. Eines Tages spielt er gegen einen Neuling im Ort, einen Mitschüler, Gustavo Roderer. Der Fremde zeigt sich unbeholfen, er grübelt vor jedem Zug, aber dann besiegt er den erfolgsgewohnten Erzähler, ganz ohne Emotion und Aggression, mit kalter Präzision.
Dem Spiel folgt über Jahre ein mentales Kräftemessen. Die beiden sind hochbegabt, aber jeder auf andere Weise. Der Erzähler ist eher ein Streber, ein Sammler, einfach schneller als andere. Er studiert Mathematik in Buenos Aires und geht zur Promotion nach Cambridge. Nur manchmal, kurz, kehrt er nach Hause zurück, zurück ans Meer, zurück auch zu Roderer, der einen selbstzerstörerischen Intellekt besitzt, Genie und Wahnsinn.
Roderer will ein komplett neues Denkgebäude entwickeln, ein System, das "das wahre Wissen" ergründen und alle früheren Systeme bündeln soll. Um die nötige Zeit zu gewinnen, opfert er alles – Schule und Karriere, Freundschaft und Liebe, kurz: das Leben. In seiner Studierklause hinterm Strand verwahrlost der junge Mann. Er ist süchtig nach Erkenntnis, spricht von "Besessenheit". Mit dramenhaftem Getöse endet das Buch: Roderer vollendet sein anmaßendes Werk, kann die Theoreme aber nicht mehr notieren. Umnachtet, verwirrt sieht er sich als Erleuchteten ("Öffne mir, ich bin der erste", ruft er beim Finale). Dann – während eines Besuchs des Erzählers - stirbt er an Auszehrung.
Das Buch, eine Novelle, ist nur gut 100 Seiten stark, ein kompakter Text mit deutlichen Anleihen und Anspielungen. Die Titel-Figur erinnert an Jesus, mehr aber noch Goethes Faust, den Roderer auf Deutsch zitiert. Der Text steht in einer Schreibtradition, wie sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts gepflegt wurde; man ist an Stefan Zweig erinnert (vor allem an die "Schachnovelle"). Spielerisch – und das ist das Besondere - mischt Martínez Philosophie, Philologie und Mathematik in seine Prosa.
Wer mag, entdeckt etliche Mängel an dem schmalen Band. Da wären die sterilen Schauplätze (nur karge Innenräume), die grobe Zeichnung der Nebenfiguren, der klischeehafte Schluss, die künstliche Stimmung einer antiken Tragödie. Mitunter erschweren hochgeistige Dialoge die Lektüre, und Roderers Forschungserfolg bleibt natürlich bloße Behauptung. Einige Mängel sind dem Genre geschuldet, den Grenzen der Novelle, andere überliest man gern, denn der angenehme Eindruck überwiegt: Ein klassischer Anfang zieht den Leser in die Geschichte, man hat Freude am präzisen Bau des Textes, an Tempo und Spannungsbogen, an der kühlen und glaubhaften Ich-Figur, vor allem am Stil: streng, klar, elegant, ganz ohne Pathos. So eine angenehm altmodische Erzählstimme hört man selten.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Guillermo Martínez: Roderers Eröffnung
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009
118 Seiten, 14,95 Euro.
In einem Dorf am Atlantik südlich von Buenos Aires lebt der namenlose Ich-Erzähler. Er steht kurz vor dem Abitur, ist der Jahrgangsbeste, ein junger Mann mit glänzenden Aussichten und einem Faible für Schach. Eines Tages spielt er gegen einen Neuling im Ort, einen Mitschüler, Gustavo Roderer. Der Fremde zeigt sich unbeholfen, er grübelt vor jedem Zug, aber dann besiegt er den erfolgsgewohnten Erzähler, ganz ohne Emotion und Aggression, mit kalter Präzision.
Dem Spiel folgt über Jahre ein mentales Kräftemessen. Die beiden sind hochbegabt, aber jeder auf andere Weise. Der Erzähler ist eher ein Streber, ein Sammler, einfach schneller als andere. Er studiert Mathematik in Buenos Aires und geht zur Promotion nach Cambridge. Nur manchmal, kurz, kehrt er nach Hause zurück, zurück ans Meer, zurück auch zu Roderer, der einen selbstzerstörerischen Intellekt besitzt, Genie und Wahnsinn.
Roderer will ein komplett neues Denkgebäude entwickeln, ein System, das "das wahre Wissen" ergründen und alle früheren Systeme bündeln soll. Um die nötige Zeit zu gewinnen, opfert er alles – Schule und Karriere, Freundschaft und Liebe, kurz: das Leben. In seiner Studierklause hinterm Strand verwahrlost der junge Mann. Er ist süchtig nach Erkenntnis, spricht von "Besessenheit". Mit dramenhaftem Getöse endet das Buch: Roderer vollendet sein anmaßendes Werk, kann die Theoreme aber nicht mehr notieren. Umnachtet, verwirrt sieht er sich als Erleuchteten ("Öffne mir, ich bin der erste", ruft er beim Finale). Dann – während eines Besuchs des Erzählers - stirbt er an Auszehrung.
Das Buch, eine Novelle, ist nur gut 100 Seiten stark, ein kompakter Text mit deutlichen Anleihen und Anspielungen. Die Titel-Figur erinnert an Jesus, mehr aber noch Goethes Faust, den Roderer auf Deutsch zitiert. Der Text steht in einer Schreibtradition, wie sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts gepflegt wurde; man ist an Stefan Zweig erinnert (vor allem an die "Schachnovelle"). Spielerisch – und das ist das Besondere - mischt Martínez Philosophie, Philologie und Mathematik in seine Prosa.
Wer mag, entdeckt etliche Mängel an dem schmalen Band. Da wären die sterilen Schauplätze (nur karge Innenräume), die grobe Zeichnung der Nebenfiguren, der klischeehafte Schluss, die künstliche Stimmung einer antiken Tragödie. Mitunter erschweren hochgeistige Dialoge die Lektüre, und Roderers Forschungserfolg bleibt natürlich bloße Behauptung. Einige Mängel sind dem Genre geschuldet, den Grenzen der Novelle, andere überliest man gern, denn der angenehme Eindruck überwiegt: Ein klassischer Anfang zieht den Leser in die Geschichte, man hat Freude am präzisen Bau des Textes, an Tempo und Spannungsbogen, an der kühlen und glaubhaften Ich-Figur, vor allem am Stil: streng, klar, elegant, ganz ohne Pathos. So eine angenehm altmodische Erzählstimme hört man selten.
Besprochen von Uwe Stolzmann
Guillermo Martínez: Roderers Eröffnung
Aus dem Spanischen von Angelica Ammar
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009
118 Seiten, 14,95 Euro.