Humor trotz(t) Demenz?
Humor im Umgang mit Demenz lohnt sich – für Pflegende wie Erkrankte, sagt der Gerontopsychiater Rolf-Dieter Hirsch. Peinlichkeiten oder Aggressivität lassen sich entschärfen. Und Lachen muss kein Auslachen sein.
In Deutschland leben laut der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft gegenwärtig fast 1,6 Millionen Demenzkranke; zwei Drittel von ihnen sind von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Jahr für Jahr treten etwa 300 000 Neuerkrankungen auf.
Der Einsatz von Humor bei Demenz sei sowohl für die Betroffenen als auch die Pflegenden hilfreich, sagte der Gerontopsychiater Rolf-Dieter Hirsch im Deutschlandradio Kultur. Humor und spielerische Intervention helfe, schwierige und belastende Alltagssituationen gemeinsam leichter zu bewältigen und könne "das Unglück verringern".
Humorvolle spielerische Interventionen entschärfen Sitationen
Hirsch berichtete von positiven Erfahrungen aus der eigenen Praxis und als früherer Chefarzt der Rheinischen Kliniken Bonn. Humor helfe, mit zunehmenden Einschränkungen und Krankheitssymptomen wie Aggressivität umzugehen:
"Im Extremfall habe ich das (...) bei einem aggressiven älteren Menschen manchmal auch so gemacht, dass ich mir eine rote Nase aufgesetzt habe", berichtete Hirsch. Humorvolle Interventionen bei Aggression könnten auch das unerwartete Singen oder Summen eines Liedes oder gemeinsames Tanzen beinhalten: "Ich muss selber nicht wütend sein, ärgerlich, sondern einfach innerlich selbst humorvoll aufgelegt sein. Aber ich kann nicht einfach nur eine rote Nase aufsetzen und denken dass wird schon", erklärte Hirsch.
Lachen muss keine Auslachen sein
Kritischen Situationen im Alltag mit Humor und dem Wissen zu begegnen, dass auch der Erkrankte an seiner Wut und seinem Verhalten leide, entspanne die Situation: "Mit Humor kann man letztlich alles ein bisschen leichter nehmen", riet Hirsch, auch wenn die Situation alles andere als zum Lachen ist. Humor zu entwickeln sei auch eine gute Prävention für das eigene Älterwerden: "Mit Humor leben heißt gleichzeitig reifen, alles nicht gar so eng nehmen."
Hirsch zeigte sich davon überzeugt, dass das Lachen mit dem Erkrankten kein Auslachen ist, sofern Humor von Pflegenden aus einer inneren Haltung des Verstehens und Helfen-Wollens eingesetzt werde und bei Nichtverstehen gegebenenfalls auch sofort wieder auf die ernste Seite zurückgeschwenkt werde.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Wie damit umgehen, wenn mit zunehmendem Alter die mentalen Fähigkeiten nachlassen, wenn sich gar eine Demenz, eine Alzheimer-Erkrankung ausbildet? Für Betroffene und Angehörige ist das eine schwierige Frage, die auch heute im Fokus steht, am Welttag des älteren Menschen. Der Gerontopsychiater Rolf Dieter Hirsch empfiehlt ein Mittel, das ohne Rezept zu haben ist und auch keine unerwünschten Nebenwirkungen mit sich bringt: Rolf Dieter Hirsch empfiehlt Humor. Guten Morgen, Herr Hirsch!
Rolf Dieter Hirsch: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Humor gegen Alzheimer, da höre ich manchen Hörer, manche Hörerin jetzt sagen, was der Mann überhaupt, wovon er redet, hat er sich mal meinen Alltag angesehen, mit all der Belastung, die eine solche Krankheit mit sich bringt. Was können Sie diesen Menschen entgegnen?
Hirsch: Mit Humor kann man letztendlich alles ein bisschen leichter nehmen. Der Haken ist, dass wir das Verhalten von einem Menschen mit Demenz oft überhaupt nicht verstehen – es ist so komisch, furchtbar, auch zum Teil schwer belastend. Wenn ich das jetzt mit aber etwas mehr Distanz drauf betrachte und auch komische Situationen daraus entwickeln kann, dann kann ich mit Humor damit umgehen, und für beide – für den Kranken und für mich selber – geht es erheblich leichter und besser. Und wir können miteinander lachen.
Welty: Wie erleben Sie das selbst als Arzt Ihren Patienten gegenüber, wie erleben Sie das in Ihrer eigenen Praxis?
"Das Unglück verringern"
Hirsch: Das Entscheidende dabei ist, dass ich nicht über jemand lache, und wenn ich merke, dass er meine humorige Seite nicht versteht, dass ich dann natürlich sofort auf die ernste Seite zurückschalte – das kann man nicht immer machen. Aber ansonsten sind sehr viele erleichtert, selbst in der schwierigsten Situation gibt es immer etwas Komisches noch. Wenn ich diesen mehr zusteuere, dann kann ich das andere leichter ertragen. Und es gibt ja Situationen, zum Beispiel ein älterer Dementer lässt Wasser unter sich und da gibt es so eine Patsche und Ähnliches. Stellen wir uns ein kleines Kind vor, das würde sich erst mal freuen und würde damit mal rumspielen, und wir sind sofort darauf aus, es muss normal sein, muss sofort und schnell und akut gehandelt werden. Und da erst mal etwas lassen, erst in Ruhe, und dann auf die spielerische Seite nehmen und miteinander vielleicht drüber lachen, dann kann man das Unglück verringern.
Welty: Jetzt zeichnen sich Demenzkranke ja vor allem im Anfangsstadium oft durch aggressives Verhalten aus, auch ihren engsten Angehörigen gegenüber, weil sie eben selbst mit der sich verändernden Situation schlecht zurechtkommen. Lässt sich ein solches Verhalten einfach weglächeln?
Hirsch: Weglächeln wahrscheinlich nicht, erst mal sehen, worum es sich dreht – er ist gestört, er ist verwirrt, er ist durcheinander. Das kann in späteren Zeiten genauso noch passieren, das Aggressive, aber ich kann zum Beispiel, was ich auch so kenne, wenn ich merke, er verändert sich innerlich, etwas Abstand nehmen, dann aber vielleicht mit ihm ein kleines Liedchen singen, ihn versuchen abzulenken. Im Extremfall habe ich das gerade bei einem aggressiven älteren Menschen manchmal auch so gemacht, dass ich mir eine rote Nase aufgesetzt hab, der mich angeguckt hat und verwirrt war, gelacht hat, und damit hatte sich’s. Aber ich muss selber nicht wütend sein, ärgerlich, sondern einfach innerlich humorvoll aufgelegt auch sein, das ist so der springende Punkt. Ich kann nicht einfach eine rote Nase aufsetzen und denke mir, das wird schon, das ist ein Blödsinn, eher die andere Seite. Aber auch mit einem Liedchen oder was zu summen, einfach ein anderes Lied summen und so vielleicht mal reingehen oder versuchen zu tanzen – Mensch, jetzt bist du wütend, es ist ja eigentlich gar nicht so lustig, aber da fällt mir ein Tanz ein, wir könnten doch miteinander tanzen. Das klingt alles idiotisch, man muss es eigentlich nur versuchen. Und ein Großteil der Angehörigen, die solche Dinge, so komische Sachen eigentlich versuchen, die sagen, Mensch, Sie haben recht.
Welty: Wann und wie haben Sie das festgestellt, dass man eben mit ganz einfachen Mitteln eine solche Situation, eine schwierige Situation aufbrechen kann?
"Auf Augenhöhe dann miteinander lachen"
Hirsch: Sowohl im häuslichen Bereich, wenn ich Hausbesuche mache, aber auch früher – ich war ja lange Zeit auch in der Klinik –, da habe ich eine Einzelsituation, im Zimmer allerdings, mit dem Patienten, genau solche Situationen gemacht, und es war erstaunlich, wie die meisten – nicht alle, keine Frage, wie es anders möglich war. Aber ich war halt auch so aufgelegt, dass ich mir gedacht hab, Mensch, der leidet, auch in seiner Wut, in seinem Verhalten und Ähnliches, wie kann ich das ein bisschen, nicht nur ein bisschen, sondern einfach humorvoll gestalten. Und genau diese Einstellung, die ist wichtig, dass man auf Augenhöhe miteinander dann vielleicht lachen kann. Und eins meiner ersten Erlebnisse war gerade eine schwerstkranke, demenzkranke ältere Dame, die im Bett gelegen, die gar nichts mehr konnte, wo alles für sie gemacht werden muss, die immer vor sich hingekichert hat. Wenn etwas war, die hat immer gekichert, und jeder Mitarbeiter hat sich gefreut, die zu erleben, und hat sie sehr gerne gepflegt.
Welty: Menschen, die zeitlebens wenig für Witze übrig gehabt haben, die werden wahrscheinlich weniger gut auf dem humorvollen Wege anzusprechen sein als andere. Inwieweit sollte man vielleicht frühzeitig damit beginnen zu üben, die Dinge mit Humor zu nehmen?
"Mit Humor leben, heißt gleichzeitig reifen, alles nicht gar so eng nehmen"
Hirsch: Die beste Prävention ist, heute anzufangen, dass wenn ich dement werde, dass ich gerne gepflegt werde. Wer lächelt, wer lacht, das kenne ich auch bei manchen Demenzkranken, die eher vor sich hin lachen oder lächeln, wenn irgendetwas ist, auch wenn was Schlimmes ist – das macht man gerne. Was man selber machen kann, ist, das erste Witz-, Humorbuch sich zu kaufen und zu gucken, welche Anekdoten, Witze, auch im Fernsehen, welche sehe ich ganz gern. Was Tanzen angeht, was Kommunikation mit anderen angeht, offen die Situation angehen, nicht sich erzwingen, sondern merken, das Leben geht insgesamt leichter. Das Leben ist nicht nur da, dass man überleben kann, sondern mit Humor leben, heißt gleichzeitig reifen, alles nicht gar so eng nehmen, so nach dem Motto: Ich wollt, ich wär ein Elefant, wie wollt ich jubeln laut, es wär mir nicht ums Elfenbein, nur um die dicke Haut. Die braucht man manchmal auch, und da etwas Lächeln, Lachen dazu, dass man mal einen Witz sich anhört, dann aber … Es gibt ja viele Filme auch, die man sich angucken kann. Wir gucken ständig die Nachrichten, ich meine, da wird jeder depressiv.
Welty: Worüber haben Sie zuletzt gelacht?
Hirsch: Gestern bin ich mit dem Fahrrad gefahren, kam mir jemand entgegen, wir hatten eigentlich keine Chance, die hatte mich angeguckt, ich sie, wir haben miteinander schallend gelacht, weil wir nicht aneinander vorbeigekommen sind, und lächelnd sind wir weitergefahren. Und schon den anderen angucken, der ist vielleicht verlegen, ich bin verlegen, man lacht miteinander, man braucht nichts machen. Es ist komisch, und der Tag geht besser weiter.
Welty: Am Welttag des älteren Menschen sprach ich mit dem Gerontopsychiater Rolf Dieter Hirsch über Alter, Humor und Demenz. Herzlichen Dank für dieses Interview, das wir aufgezeichnet haben!
Hirsch: Gern geschehen, danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.