Kraftvolle selbstverliebte Tatarin

Der Roman "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche" der Autorin Alina Bronsky pendelt permanent zwischen ihrer alten russischen und der neuen deutschen Heimat. Und alles dreht sich um eine verwegene Tatarin, die jede Katastrophe aus eigener Kraft ins Gegenteil verändern kann.
Frauen wie die Icherzählerin Rosalinda sind im Leben und in der Literatur Ausnahmeerscheinungen. Rosalinda ist die Hauptfigur in Alina Bronskys Roman "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche", der im Reich Dschingis Khans beginnt und in einer deutschen Kleinstadt, nahe einem großen Flughafen, endet. Es ist eine deftig-komische Farce über die verwegene Tatarin Rosalinda, die mit ihrem egozentrischen Kopf durch die Wand möchte, was ihr viele aufregende Jahre auch bestens gelingt.

Alina Bronsky, 1972 im russischen Jekaterinburg geboren und auf der asiatischen Seite des Urals aufgewachsen, verschlug es selbst irgendwann nach Südhessen. Nachdem das Medizinstudium nicht das Richtige war, begann sie mit dem Schreiben und wurde mit dem Debüt "Scherbenpark" als Hoffnungsträgerin einer neuen Einwandererliteratur gefeiert.

Ihr neues, zwischen der alten russischen und der neuen deutschen Heimat hin- und herschweifendes Buch, beginnt mit einer versuchten Abtreibung auf einem Küchenhocker und endet ein bisschen traurig, aber bestimmt nicht sentimental. Dazwischen ist Rosalinda die Schönste, die Klügste, die Tüchtigste. Was auch tatsächlich stimmen mag, denn diese Frau leistet Ungeheuerliches. Keiner kann ihr das Wasser reichen. Ehemann, Tochter und Enkelin Aminat sind nur schwächliche Kreaturen. Ein eigenes Leben außerhalb von Rosalindas Befehlshoheit ist ihnen untersagt.

Dass Rosalinda vom Ehemann verlassen wird, bringt sie durchaus nicht aus dem Konzept. Für sie gibt es keine Katastrophe, die sich nicht aus eigener Kraft in ihr Gegenteil verändern lässt. Immer wieder sortiert sie sich neu und konzentriert sich auf die Erziehung der Enkeltochter Aminat und die Möglichkeit, nach Deutschland auszuwandern. Dieter, der blasse Deutsche, der ein Buch über Kochrezepte aus aller Welt, also auch über die tatarische Küche, schreiben möchte, hat, bevor er Zeit für einen klaren Gedanken findet, zwei russische Frauen und ein russisches Mädchen im Reisegepäck. In Deutschland nimmt Rosalinda alles in ihre kräftigen Hände, sie putzt und lernt die Sprache und die Fußböden, Klos, Betten und Kühlschränke Deutschlands kennen.

Die vitale Geschichte endet tragisch und grotesk, mit Tod und Verschwinden, mit einer Urne im Schlafzimmer und immer mehr Tataren, die in einem Haus in einer aufgeräumten deutschen Vorstadt auftauchen. Rosalinda, die stärkste und schönste aller Frauen, die niemals an sich selbst zweifelte, verliert in der Trauer um die plötzlich mit ihren Ersparnissen verschwundene Aminat den Boden unter den Füßen. Die notorische Optimistin erkennt im telepathischen Wahn auf jeder Titelseite, in jeder Fernsehshow ihre zum Popstar aufgestiegene Enkelin.

Alina Bronsky hat sich mit Elan und Hingabe in diese alles vereinnahmende Frauengestalt hineinversetzt und ihre berauschende Selbstverliebtheit, ihre Härte, ihren Tatendrang, ihre Blindheit der Realität gegenüber mit liebevoller Komik ausgestattet. Mit wenigen Details gelingt ihr außerdem ein Bild des russischen Alltags in der durch Chemikalien vergifteten Provinz und eine Bilanz des Staunens über kleine deutsche Verhältnisse. Eine erhellende Revue über die Kraft einer Frau, die ihr Leben behandelt wie einen Masterplan und sich entschlossen hat, stärker als alle Schwierigkeiten zu sein.

Besprochen von Verena Auffermann

Alina Bronsky: "Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche"
Roman, Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2010
318 Seiten, 18,95 Euro

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