UEFA EURO 2024

Was die EM für Krankenhäuser bedeutet

07:37 Minuten
Medizinisches Personal versorgt im Rahmen einer Krankenhausübung verletzte Opfer eines Anschlages, nach dem Szenario einer Explosion mit anschließendem Schusswechsel.
Die Fußball-Europameisterschaft wird zu einer Herausforderung für alle Kliniken - auch wegen fehlender Ärzte und Pflegekräfte. © dpa / picture alliance / Carsten Koall
Von Thomas Wheeler · 16.06.2024
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Ärzte, Sanitäter, Pflegekräfte: Während der UEFA EURO 2024 werden Beschäftigte in Krankenhäusern im Ausnahmezustand arbeiten. Sie werden mehr als sonst gefordert werden und nach Sonderplänen und auch in Zusatzschichten arbeiten.
11. Juni, Dienstagmorgen, kurz nach neun im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf: Vier Tage vor dem Start der Fußball-Europameisterschaft unterhalte ich mich mit Dr. Paavo Beth über die Notfallpläne der Krankenhäuser zur EM.
Er ist Klinikdirektor der Zentralen Notaufnahmen und Notaufnahmestationen im Martin-Luther-Krankenhaus, im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau und in der Evangelischen Elisabeth-Klinik.
Im Januar nahm Beth zum ersten Mal an einem Vorbereitungstreffen teil, zudem die Senatsverwaltung für Gesundheit eingeladen hatte. Zwei der drei Krankenhäuser, für die er arbeitet, befinden sich in der Nähe der Fanmeilen und des Olympiastadions.

Wir haben ziemlich genau einen Monat lang in Deutschland eine Ausnahmesituation. Dieser Monat wird in Risikostadien eingeteilt. Als Hochrisiko gelten die sechs Spieltage in Berlin. Da rechnen wir mit mindestens 300.000 Menschen mehr in der Stadt.

Klinikdirektor Dr. Paavo Beth

Auf möglichen Katastrophenfall vorbereitet

Dabei geht es immer um die sogenannte nichtpolizeiliche Gefahrenabwehr. An jedem der EM-Spieltage in Berlin wird die Senatsverwaltung für Gesundheit mit Vertretern der Krankenhäuser und der Feuerwehr in einer hybriden Schalte gemeinsam die Lage sondieren. Alle Beteiligten sind auf einen möglichen Katastrophenfall vorbereitet, rechnen aber eher mit vielen leichten Fällen durch ..

„… die hohe Wahrscheinlichkeit des ausführlichen Gebrauchs bis hin zu Missbrauch von berauschenden Flüssigkeiten, plus wahrscheinlich zu wenig oder zu viel gegessen, viele Bagatelltraumen, also von Schlägereien, Stürzen, Umknick-Traumen, also eher viele leichte Fälle.“

Mehrere Kategorien für die Patienten

Patienten werden von der Feuerwehr an einem Unglücksort in drei Kategorien eingeteilt. Rot bedeutet: sofort behandeln, Lebensgefahr. Gelb heißt: dringend, aber stabil und Grün: leicht verletzt.

„Die Kunst ist immer, bei sämtlichen Lagen die Roten zuerst zu behandeln - und die Roten so schnell wie möglich in Krankenhäuser zu bringen, die auch Rot können. Das sind bei uns die Maximalversorger.“
Paavo Beth, Klinikdirektor der Zentralen Notaufnahmen und Notaufnahmestationen im Martin-Luther-Krankenhaus, im Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau und in der Evangelischen Elisabeth-Klinik
Für Klinikdirektor Paavo Beth ist die Europameisterschaft eine Ausnahmesituation.© Thomas Wheeler

Sogenannte Wellenpläne bei der Feuerwehr

Um Patienten so auf die Maximalversorger zu verteilen, dass es zu möglichst keinen Überlastungen kommt, arbeitet die Feuerwehr nach sogenannten Wellenplänen. Im Falle von mehreren hundert Verletzten wie bei einem Terroranschlag oder einer Massenpanik werden auch kleinere Krankenhäuser in die Rettungs- und Versorgungsmaßnahmen von roten Patienten einbezogen.

„Die Patienten, die hierherkommen, werden hier vor Ort gesichtet  - mit dem Berliner Sichtungsalgorithmus. Innerhalb von 90 Sekunden kann gesagt werden, ob der Patient Rot. Rot im Krankenhaus heißt: Der muss sofort in den Schockraum. Der muss sofort stabilisiert werden. Der hat eine kritisch kranke Situation, wie ein Organschaden, dass das Ableben droht.“

Notfallpläne haben Krankenhäuser generell, erläutert Beth.

Wir müssen auf interne und auf externe Schadenslagen vorbereitet sein. Eine externe Schadenslage ist zum Beispiel ein Massenanfall an Verletzten. Da gibt es Vorgaben der Senatsverwaltung, die wir auch einhalten müssen - also wenn die Senatsverwaltung unangekündigt mit ungefähr zehn Prozent ihrer Krankenhausbetten an Patienten ankommt und wir unseren Notfallplan aktivieren müssen.

Klinikdirektor Dr. Paavo Beth

Alarmierungskaskade für jedes Krankenhaus

Jedes Krankenhaus hat eine eigene Alarmierungskaskade.

„In dem Moment, in dem eine Alarmierung von der Senatsverwaltung kommt, bereiten sie sich entsprechend vor. Dann wird hier auf den Knopf gedrückt. Die Leute, die gerade hier im Katastrophenschutzzimmer sind, holen die Sachen hervor, die wir dort halten und fangen an, einen Triagierungsposten aufzubauen. Wir schließen das Krankenhaus. Wir leeren die Notaufnahme, und gleichzeitig erhalten alle Mitarbeiter des Krankenhauses eine Alarmierung. Dann gibt es für die Mitarbeiter eine personelle Sammelstelle, welches Personal einteilt, und es findet sich ganz schnell die Krankenhauseinsatzleitung zusammen.“
Unter der Führung eines Einsatzleiters organisiert dieser Stab die Lage.

„Der guckt zusammen, dass ordentlich triagiert wird, dass die Patienten richtig behandelt werden, welche Ressourcen man noch braucht. Die OPs werden hochgefahren. Die Blutbank wird aktiviert. Es wird alles aktiviert, was man braucht.“
Zudem haben einzelne Krankenhäuser eine Dekontaminierungsstrecke, falls Menschen bei einem chemischen, biologischen oder radioaktiven Anschlag verseucht werden. Grundsätzlich müssen aber alle Notfallkrankenhäuser auf die Dekontamination und Behandlung von kontaminierten Patienten vorbereitet sein, haben das notwendige Equipment vom Senat gestellt bekommen und beüben auch solche Extremsituationen regelmäßig.

Durch seine beruflichen Verpflichtungen wird Paavo Beth wahrscheinlich nur wenige EM-Spiele zu Hause sehen können.

Die EM 2024 macht für mich persönlich viel mehr Arbeit als nur Freude.

Klinikdirektor Dr. Paavo Beth

Beth ist Fan von Hertha BSC

Beth ist Fan von Zweitligist Hertha BSC. Früher hat er selbst Fußball gespielt. In der Betriebssportgruppe der Feuerwehr, und in der Freizeitliga bei Knallrot Wilmersdorf. Meistens stand er im Tor. 

Als junger Mann arbeitete er zunächst beim Rettungsdienst der Feuerwehr. Dann war er knapp zehn Jahre als Arzt im Unfallkrankenhaus Berlin tätig.
Ab 2009 Notarzt, 2015 erstmals im Einsatz an Bord des Intensivhubschraubers der Stadt Berlin, der Rettungseinsätze fliegt und für die Verlegung in die Krankenhäuser zuständig ist. Über eine Oberarztstelle im brandenburgischen Bad Saarow kam er in die Notaufnahme.

„Wenn ein Patient in eine Notaufnahme kommt, kann ich den nicht einfach nur aufnehmen. Ich muss wissen, ob er kritisch krank ist. Muss ich ihn gar nicht stationär aufnehmen, weil es keine Indikation für eine stationäre Aufnahme gibt? Dafür können wir mit der zunehmenden modernen Medizin, auch verfügbarer Großgerätemedizin können wir theoretisch alles.“

Notaufnahmen müssen hierzulande seit Beginn der 2000er-Jahre laut einer gesetzlichen Vorgabe geleitet werden. Anders als in den angelsächsischen Ländern gibt es bei uns jedoch keinen Facharzt für Notfallmedizin.

Paavo Beth ist Facharzt für Anästhesiologie und Chefarzt der Notaufnahme im Martin-Luther-Krankenhaus. Dort hat er 2021 die Leitungsposition übernommen.

Ärzte und Pflegekräfte fehlen

Durch die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen nutzen immer mehr Menschen Notaufnahmen, wenn sie gesundheitliche Probleme haben. Das führt zu einer stetigen Überfüllung und Überlastung dieser Bereiche.

Die personelle Ausstattung der Krankenhäuser erschwert die Situation in den Kliniken immer mehr. Zu wenig Pflegekräfte, zu wenig Ärzte. Da wird das Großereignis Fußball-Europameisterschaft zu einer echten Herausforderung für alle Kliniken.

„In diese Kerbe stößt dann auch noch diese EM rein. Wir sind jetzt im Januar mit ins Boot geholt worden. Da sind die Urlaubspläne schon geschrieben. Und wir können uns jetzt auch keine Ressource Mensch schnitzen, die wir nicht haben, die uns auch keiner bezahlt. Der Herr Schreiner, der Vorsitzende der Berliner Krankenhausgesellschaft hat ganz klar gesagt, dass Land Berlin lädt ein, aber wer die Rechnung bezahlt, ist gar nicht klar.“

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