Krankenhaus-Skandal in England

"Im Notfall nicht wiederbeleben"

Blick in ein Patientenzimmer mit Bett, Tisch, zwei Stühlen und dem Ausblick auf einen Balkon.
"Do not resuscitate!" - dieser Vermerk kostete einem englischen Jungen das Leben. © dpa / Uwe Zucchi
Von Friedbert Meurer |
Die Krankenhausakten zweier Patienten mit Down-Syndrom in England wurden mit einem fatalen Vermerk versehen: Im Falle eines Herzstillstands sollten sie nicht wiederbelebt werden. Ein sechsjähriger Junge starb.
Im August 2011 musste Andrew Waters ins Krankenhaus nach Margate, einem bekannten Seebad in Kent, ganz im Südosten Großbritanniens. Der 49-Jährige hatte das Down-Syndrom, war damals prinzipiell aber recht fit, erzählt heute sein Bruder Michael. Er sei gerne Schwimmen und Tanzen gegangen.
"Er war aber überhaupt nicht konkret in Gefahr", erinnert sich der Bruder.
"Er konnte nicht mehr schlucken, musste also über einen Tropf ernährt werden. Aber er hatte damals noch keine Beschwerden in der Brust oder am Herz - nichts dergleichen."
Die Schluckprobleme gingen vorüber, Andrew konnte wieder nach Hause. Eine Pflegekraft fischte zuhause ein achtlos zusammengefaltetes Papier aus Andrews Koffer. Jetzt erfuhren die Angehörigen etwas, was sie fassungslos machte: Ein Arzt hatte heimlich und ohne Rücksprache in Andrews Krankenakte die Abkürzung DNR eingetragen. "Do not resuscitate!" Nicht Wiederbeleben bei Herzstillstand! Die Gründe für den Eintrag wurden auch genannt, u.a. das Down-Syndrom.

Vermerk ohne Absprache

"Dass jemand diese Entscheidung getroffen hat, ohne sich mit uns oder den Pflegern abzustimmen, das geht gar nicht. Niemand hat das Recht, das zu tun."
Auch nicht die Ärzte des Krankenhauses in Kent. Der Eintrag darf nur dann vorgenommen werden, wenn sich der Patient in einem aussichtslosen Stadium befindet und ihm unnötiges Leiden erspart werden soll. Das war hier nicht der Fall. Außerdem muss der Eintrag zwingend mit den Verwandten besprochen werden müssen. Die Familie hegte den Verdacht, dass ihr Sohn und Bruder von einem älteren Arzt bewusst nach dem Schema behandelt wurde: Der lebt ja mit dem Down-Syndrom sowieso nicht mehr lange.
"Wir waren doch immer da im Krankenhaus. In der Akte steht dagegen, wir seien nicht erreichbar gewesen. Als wir dann herausfanden, dass jemand 'DNR - Nicht Wiederbeleben" bei meinem Bruder eingetragen hat - das war einfach nur schrecklich."

Milde Strafe für Ärzte

Eigentlich soll die DNR-Klausel Patienten unnötiges Leid ersparen - in Absprache mit Patient und Angehörigen. In den personell chronisch unterbesetzten Krankenhäusern aber geschehen Fehler. In Nottingham wurde erst im Oktober ein noch schlimmerer Fall verhandelt - ein sechsjähriger Junge, ebenfalls mit Down-Syndrom, lag mit Atemnot im Hospital. Dann: Herzstillstand! Die Krankenpfleger fingen schon mit der Wiederbelebung an, als eine Ärztin einschritt, der Junge sei doch ein DNR-Fall, man könne die Reanimation ruhig einstellen. Nur Minuten später bemerkte ausgerechnet eine Ärztin im Trainee-Jahr, dass in der Akte des Jungen überhaupt kein DNR Eintrag vorlag. Zu spät, das Kind war jetzt tot.
Andrew Waters ist inzwischen im Mai 2015 auch gestorben, was die Familie aber nicht mit dem Vorfall von 2011 in Verbindung bringt. Ihr ist wichtig, dass die Klinik sich jetzt doch noch zu einer Entschuldigung durchgerungen hat. Enttäuscht sind Familie und Patientenvereinigungen allerdings über die Sanktion für den Mediziner: Er wurde lediglich zu einem halben Tag Weiterbildung verpflichtet.
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