Krankenkassen handeln gesetzeswidrig
Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, fordert eine Stärkung der Kontrollinstanzen und eine Gesetzesänderung, um Patienten bei der Insolvenz von Krankenkassen zu schützen.
Jörg Degenhardt: Geschlossen wegen chronischer Finanzprobleme und Mitgliederschwund: Zum 1. Juni schließt die insolvente City BKK: Rund 168.000 Versicherte sind betroffen und müssen nun wechseln. Die Frage ist: wohin – und was, wenn man dort vielleicht aufgrund des Alters nicht willkommen ist? Der Streit, wie gesetzliche Krankenkassen mit den Kunden der City BKK umgehen, hat die letzten Tage für Aufsehen gesorgt. Was lernen wir daraus, und wie können sich Versicherte wehren? Das will ich von Stefan Etgeton wissen, er ist der Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Einen schönen guten Morgen wünsche ich Ihnen!
Stefan Etgeton: Guten Morgen!
Degenhardt: Man könnte das Ganze als organisatorische Schwierigkeiten abtun, so wie das die Chefin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen getan hat. Steckt für Sie mehr hinter diesem aktuellen Streit?
Etgeton: Also, zunächst mal ist es wirklich eine Schande, dass die Kassen hier ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen. Sie verletzen damit das Solidaritätsprinzip, das sie ansonsten immer im Munde führen, und das ist einfach nicht in Ordnung. Sie handeln gesetzeswidrig, sie müssen alle Versicherten aufnehmen. Es ist für einige natürlich eine Belastung, weil die Versicherten, diese 170.000, hauptsächlich in Berlin und in Hamburg leben, und alle zum selben Zeitpunkt dann plötzlich in ganz bestimmte Kassen wechseln wollten, also die auch sehr bekannt sind, und das kann natürlich einige Kassen organisatorisch überfordern. Dass dann aber plötzlich Filialen geschlossen werden, dass plötzlich auf der Website, dort, wo ich wechseln möchte, eine Baustellenseite ist – das deutet doch darauf hin, dass dahinter eine Strategie steht, bestimmte Versicherte, insbesondere ältere und kranke, abweisen zu wollen, und das ist nicht in Ordnung.
Degenhardt: Die Kassenverbände haben jetzt eine Art Task Force gegründet, die Betroffenen bei einem Wechsel helfen soll. Die Gruppe hat sich gestern das erste Mal getroffen – spät, aber immerhin. Was bringen solche Runden? Ist das mehr als purer Aktionismus?
Etgeton: Na ja, zunächst haben sie sich offenbar in die Hand versprochen: Sie wollen jetzt keine mehr abweisen. Wir werden sehen, ob das wirklich so ist. Das andere ist: Noch können die Versicherten ja wählen, und sie sollten auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und sich die Zeit nehmen. Man kann sich bei der Stiftung Warentest auf der Webseite – da ist der sogenannte Produktfinder Krankenkassen – über Krankenkassen informieren, Kassen vergleichen, und man sollte dann auch nicht die Erstbeste und nicht unbedingt nur die bekannten Kassen wählen, sondern durchaus auch andere Kassen ins Auge ziehen. Und ab dem 1. Juli ist es aber so: Die, die bis dahin nicht gewählt haben, diese Versicherten werden dann zugewiesen – allerdings vom Arbeitgeber. Und da macht es möglicherweise Sinn, den Arbeitgebern auch Hinweise zu geben, welche Kassen bisher noch nicht so viele Versicherte aufgenommen haben und wohin man die Versicherten dann steuern kann.
Degenhardt: Wenn sich noch am kommenden Montag betroffene Bürger bei Ihnen über Falschauskünfte, Abwimmelversuche und die kurzfristige Schließung von Internetseiten beschwerten, werde er sofort mit der Regierungskoalition und dem Gesundheitsminister über Gesetzesverschärfung beraten – das hat der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Herr Zöller, gesagt. Gut gebrüllt, Löwe – oder ist es an der Zeit, dass endlich mal jemand mit der Faust auf den Tisch haut?
Etgeton: Also es wird deutlich, dass die Aufsicht keine scharfen Instrumente hat, um in solchen Fällen ganz konkret zu reagieren. In dem Fall ist das vor allem das Bundesversicherungsamt. Auch deren Chef hat sich ja relativ frühzeitig geäußert, aber er hat im Grunde keine Möglichkeiten, er kann nur appellieren. Jetzt wird darüber geredet, dass man den Vorständen … sozusagen die Vorstände in Haftung nimmt, aber auch dafür bräuchte es offensichtlich einer gesetzlichen Änderung zunächst. Wir merken, dass hier die Politik Wettbewerb eingeführt hat, und mit dem Wettbewerb auch eine Marktbereinigung haben wollte. Es war auch immer das Ziel, das hat Ulla Schmidt auch schon gesagt: Wir brauchen keine 150 Krankenkassen, wir wollen eher so in Richtung 50 Krankenkassen gehen. Das geht nicht ohne Insolvenzen und Fusionen ab. Aber wir haben nicht die Kontrollinstrumente in diesem Wettbewerb, um Fehlverhalten dann auch schnell sanktionieren zu können.
Degenhardt: Und was erwarten Sie in diesem Zusammenhang ganz konkret vom neuen Gesundheitsminister, von Herrn Bahr?
Etgeton: Er hat zunächst mal, finde ich, sehr deutlich gemacht, dass das nicht in Ordnung ist. Das fand ich richtig und gut. Er hat sich früh klar positioniert. Wenn die Kassen jetzt weiter dieses Fehlverhalten zeigen, dann erwarte ich von ihm, dass er das Bundesversicherungsamt stärkt als Aufsicht, denn er selbst hat zunächst mal keine großen Handhaben, oder dass die Koalition eine gesetzliche Änderung dahingehend macht, dass die Vorstände auch in Haftung genommen werden können für solches Fehlverhalten.
Degenhardt: Ist die City BKK eigentlich ein Sonderfall, oder sehen Sie als Verbraucherschützer weitere Pleitekandidaten?
Etgeton: Es wird jetzt nicht massenhaft Pleiten geben, sondern die Kassen werden eher den Weg der Fusion wählen, aber es ist politisch gewollt gewesen, dass es weniger Kassen gibt. Man hat mit dem Zusatzbeitrag auch einen Mechanismus geschaffen, der dazu führt, dass eine Kasse, die finanzielle Schwierigkeiten hat, sozusagen noch bestraft wird im Wettbewerb, denn diejenige, die einen Zusatzbeitrag erhebt, das ist diejenige, wo dann die Versicherten gehen, und das ist so ein Hamsterradeffekt, eine Spirale nach unten. Das ist politisch gewollt gewesen, weil man eben auch gesagt hat: Wir brauchen nicht so viele Krankenkassen. Das sagen übrigens auch viele Versicherte, dass das so ist. Man hat aber nicht bedacht: Was passiert mit den Versicherten, die dann plötzlich in größerer Zahl eine neue Kasse suchen und von anderen abgewiesen werden. Das hat man nicht bedacht, was im Wettbewerb dann passiert. Und man muss sagen: Die City BKK ist zwar mit 170.000 eine mittlere Krankenkasse, man muss sich aber mal vorstellen, was passiert, wenn eine wirklich große Krankenkasse in eine solche Situation gerät.
Degenhardt: Um es noch mal auf den Punkt zu bringen, Herr Etgeton: Was raten Sie denen, die bei einer Pleitekasse versichert sind – erst mal schlau machen?
Etgeton: Ja, man hat die Möglichkeit, die Kasse zu wählen, in die man geht, man sollte sich vorher erkundigen: Ist das die richtige Kasse? Wie gesagt, dafür gibt es Hilfsinstrumente, die Beratung oder eben auch den Produktfinder bei der Stiftung Warentest, dann einen schriftlichen Antrag stellen, das geht auch formlos, und dann muss die Kasse mich aufnehmen. Insofern ist das für die Versicherten eigentlich eine komfortable Situation. Außerdem ist wichtig, dass die Versicherten wissen: Sie verlieren niemals ihren Versicherungsschutz, das heißt, auch Ärzte, Apotheker müssen ihre Leistungen weiterhin erbringen.
Degenhardt: Wir reden jetzt über gesetzlich Versicherte, aber ein Wechsel in eine private Krankenversicherung kann ja auch nur in Ausnahmefällen eine Alternative sein.
Etgeton: Das können nur freiwillig Versicherte, die oberhalb der Versicherungspflichtgrenze verdienen. Das sollte man sich sehr gut überlegen, weil alle, die in die private Krankenversicherung wechseln, wissen müssen, dass sie dann nicht wieder zurückkommen in das gesetzliche System. Und da empfiehlt sich tatsächlich eine persönliche Beratung, zum Beispiel bei einer Verbraucherzentrale, bevor man diesen Schritt macht.
Degenhardt: Und vor allem auch für ältere Versicherte ist das wahrscheinlich auch keine denkbare Alternative.
Etgeton: Ältere Versicherte werden in der Regel mit sehr hohen Prämien konfrontiert bei der privaten Versicherung, für die lohnt sich das in der Regel gar nicht.
Degenhardt: Wenn Versicherte zum Streitfall werden – Stefan Etgeton war das, er ist der Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Vielen Dank für diese Erklärungen!
Etgeton: Bitte sehr!
Weitere Informationen auf dradio.de:
Umwelt und Verbraucher: Wenn die Kasse pleite macht - Tipps für die Suche nach einem neuen Krankenversicherungsschutz (DLF)
Stefan Etgeton: Guten Morgen!
Degenhardt: Man könnte das Ganze als organisatorische Schwierigkeiten abtun, so wie das die Chefin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen getan hat. Steckt für Sie mehr hinter diesem aktuellen Streit?
Etgeton: Also, zunächst mal ist es wirklich eine Schande, dass die Kassen hier ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachkommen. Sie verletzen damit das Solidaritätsprinzip, das sie ansonsten immer im Munde führen, und das ist einfach nicht in Ordnung. Sie handeln gesetzeswidrig, sie müssen alle Versicherten aufnehmen. Es ist für einige natürlich eine Belastung, weil die Versicherten, diese 170.000, hauptsächlich in Berlin und in Hamburg leben, und alle zum selben Zeitpunkt dann plötzlich in ganz bestimmte Kassen wechseln wollten, also die auch sehr bekannt sind, und das kann natürlich einige Kassen organisatorisch überfordern. Dass dann aber plötzlich Filialen geschlossen werden, dass plötzlich auf der Website, dort, wo ich wechseln möchte, eine Baustellenseite ist – das deutet doch darauf hin, dass dahinter eine Strategie steht, bestimmte Versicherte, insbesondere ältere und kranke, abweisen zu wollen, und das ist nicht in Ordnung.
Degenhardt: Die Kassenverbände haben jetzt eine Art Task Force gegründet, die Betroffenen bei einem Wechsel helfen soll. Die Gruppe hat sich gestern das erste Mal getroffen – spät, aber immerhin. Was bringen solche Runden? Ist das mehr als purer Aktionismus?
Etgeton: Na ja, zunächst haben sie sich offenbar in die Hand versprochen: Sie wollen jetzt keine mehr abweisen. Wir werden sehen, ob das wirklich so ist. Das andere ist: Noch können die Versicherten ja wählen, und sie sollten auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen und sich die Zeit nehmen. Man kann sich bei der Stiftung Warentest auf der Webseite – da ist der sogenannte Produktfinder Krankenkassen – über Krankenkassen informieren, Kassen vergleichen, und man sollte dann auch nicht die Erstbeste und nicht unbedingt nur die bekannten Kassen wählen, sondern durchaus auch andere Kassen ins Auge ziehen. Und ab dem 1. Juli ist es aber so: Die, die bis dahin nicht gewählt haben, diese Versicherten werden dann zugewiesen – allerdings vom Arbeitgeber. Und da macht es möglicherweise Sinn, den Arbeitgebern auch Hinweise zu geben, welche Kassen bisher noch nicht so viele Versicherte aufgenommen haben und wohin man die Versicherten dann steuern kann.
Degenhardt: Wenn sich noch am kommenden Montag betroffene Bürger bei Ihnen über Falschauskünfte, Abwimmelversuche und die kurzfristige Schließung von Internetseiten beschwerten, werde er sofort mit der Regierungskoalition und dem Gesundheitsminister über Gesetzesverschärfung beraten – das hat der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Herr Zöller, gesagt. Gut gebrüllt, Löwe – oder ist es an der Zeit, dass endlich mal jemand mit der Faust auf den Tisch haut?
Etgeton: Also es wird deutlich, dass die Aufsicht keine scharfen Instrumente hat, um in solchen Fällen ganz konkret zu reagieren. In dem Fall ist das vor allem das Bundesversicherungsamt. Auch deren Chef hat sich ja relativ frühzeitig geäußert, aber er hat im Grunde keine Möglichkeiten, er kann nur appellieren. Jetzt wird darüber geredet, dass man den Vorständen … sozusagen die Vorstände in Haftung nimmt, aber auch dafür bräuchte es offensichtlich einer gesetzlichen Änderung zunächst. Wir merken, dass hier die Politik Wettbewerb eingeführt hat, und mit dem Wettbewerb auch eine Marktbereinigung haben wollte. Es war auch immer das Ziel, das hat Ulla Schmidt auch schon gesagt: Wir brauchen keine 150 Krankenkassen, wir wollen eher so in Richtung 50 Krankenkassen gehen. Das geht nicht ohne Insolvenzen und Fusionen ab. Aber wir haben nicht die Kontrollinstrumente in diesem Wettbewerb, um Fehlverhalten dann auch schnell sanktionieren zu können.
Degenhardt: Und was erwarten Sie in diesem Zusammenhang ganz konkret vom neuen Gesundheitsminister, von Herrn Bahr?
Etgeton: Er hat zunächst mal, finde ich, sehr deutlich gemacht, dass das nicht in Ordnung ist. Das fand ich richtig und gut. Er hat sich früh klar positioniert. Wenn die Kassen jetzt weiter dieses Fehlverhalten zeigen, dann erwarte ich von ihm, dass er das Bundesversicherungsamt stärkt als Aufsicht, denn er selbst hat zunächst mal keine großen Handhaben, oder dass die Koalition eine gesetzliche Änderung dahingehend macht, dass die Vorstände auch in Haftung genommen werden können für solches Fehlverhalten.
Degenhardt: Ist die City BKK eigentlich ein Sonderfall, oder sehen Sie als Verbraucherschützer weitere Pleitekandidaten?
Etgeton: Es wird jetzt nicht massenhaft Pleiten geben, sondern die Kassen werden eher den Weg der Fusion wählen, aber es ist politisch gewollt gewesen, dass es weniger Kassen gibt. Man hat mit dem Zusatzbeitrag auch einen Mechanismus geschaffen, der dazu führt, dass eine Kasse, die finanzielle Schwierigkeiten hat, sozusagen noch bestraft wird im Wettbewerb, denn diejenige, die einen Zusatzbeitrag erhebt, das ist diejenige, wo dann die Versicherten gehen, und das ist so ein Hamsterradeffekt, eine Spirale nach unten. Das ist politisch gewollt gewesen, weil man eben auch gesagt hat: Wir brauchen nicht so viele Krankenkassen. Das sagen übrigens auch viele Versicherte, dass das so ist. Man hat aber nicht bedacht: Was passiert mit den Versicherten, die dann plötzlich in größerer Zahl eine neue Kasse suchen und von anderen abgewiesen werden. Das hat man nicht bedacht, was im Wettbewerb dann passiert. Und man muss sagen: Die City BKK ist zwar mit 170.000 eine mittlere Krankenkasse, man muss sich aber mal vorstellen, was passiert, wenn eine wirklich große Krankenkasse in eine solche Situation gerät.
Degenhardt: Um es noch mal auf den Punkt zu bringen, Herr Etgeton: Was raten Sie denen, die bei einer Pleitekasse versichert sind – erst mal schlau machen?
Etgeton: Ja, man hat die Möglichkeit, die Kasse zu wählen, in die man geht, man sollte sich vorher erkundigen: Ist das die richtige Kasse? Wie gesagt, dafür gibt es Hilfsinstrumente, die Beratung oder eben auch den Produktfinder bei der Stiftung Warentest, dann einen schriftlichen Antrag stellen, das geht auch formlos, und dann muss die Kasse mich aufnehmen. Insofern ist das für die Versicherten eigentlich eine komfortable Situation. Außerdem ist wichtig, dass die Versicherten wissen: Sie verlieren niemals ihren Versicherungsschutz, das heißt, auch Ärzte, Apotheker müssen ihre Leistungen weiterhin erbringen.
Degenhardt: Wir reden jetzt über gesetzlich Versicherte, aber ein Wechsel in eine private Krankenversicherung kann ja auch nur in Ausnahmefällen eine Alternative sein.
Etgeton: Das können nur freiwillig Versicherte, die oberhalb der Versicherungspflichtgrenze verdienen. Das sollte man sich sehr gut überlegen, weil alle, die in die private Krankenversicherung wechseln, wissen müssen, dass sie dann nicht wieder zurückkommen in das gesetzliche System. Und da empfiehlt sich tatsächlich eine persönliche Beratung, zum Beispiel bei einer Verbraucherzentrale, bevor man diesen Schritt macht.
Degenhardt: Und vor allem auch für ältere Versicherte ist das wahrscheinlich auch keine denkbare Alternative.
Etgeton: Ältere Versicherte werden in der Regel mit sehr hohen Prämien konfrontiert bei der privaten Versicherung, für die lohnt sich das in der Regel gar nicht.
Degenhardt: Wenn Versicherte zum Streitfall werden – Stefan Etgeton war das, er ist der Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen. Vielen Dank für diese Erklärungen!
Etgeton: Bitte sehr!
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Umwelt und Verbraucher: Wenn die Kasse pleite macht - Tipps für die Suche nach einem neuen Krankenversicherungsschutz (DLF)