Eine App für den gläsernen Patienten
Der Versicherungskonzern Generali Deutschland setzt auf die elektronische Kontrolle von Fitness, Lebensstil und Ernährung. Während Vorstandsmitglied Christoph Schmallenbach das neue Angebot "Vitality" anpreist, warnen Kritiker vor Datenmissbrauch.
"Jeder kann bei Vitality mitmachen", wirbt Generali-Vorstandsmitglied Christoph Schmallenbach im Deutschlandradio Kultur für das Programm seiner Versicherung. Dabei spiele zunächst weder eine Rolle, welches Gewicht der Kunde habe oder wie alt er sei. "Uns geht es darum, ob er ab dem Entschluss, dort mitzumachen, sich gesundheitsorientiert verhält." Die Versicherung gehe dabei davon aus, dass ihre Kunden die Wahrheit sagten und etwas für ihre Gesundheit tun wollten. Gutscheine, Geschenke und Rabatte sollen dazu motivieren, sich möglichst gesund zu verhalten. Die Kunden sollen mithilfe einer App, ihren Lebensstil dokumentieren und die Daten an die Versicherung übermitteln.
Sorge um die Datensicherheit
Der grüne Netzpolitiker Konstantin von Notz allerdings widerspricht hier Schmallenbach. Notz zeigte sich im Deutschlandradio Kultur angesichts des geplanten Angebots von Generali skeptisch. Die verkündete Datensicherheit werde hier eher als "abstrakter Begriff" verwendet, sagte er. Hacker, Geheimdienste und private Unternehmen könnten jedes System knacken. "Ich glaube, die Menschen müssen sich darüber klar werden, ob sie diese intimen Informationen über ihren Körper einfach Dritten offenbaren wollen." Die Politik müsse sich darüber Gedanken machen, was hier ethisch vertretbar sei. Der Wert solcher Gesundheitsdaten sei sehr hoch und viele hätten daran ein großes Interesse.
Versicherung verspricht Sicherheit
In Reaktion auf diese Kritik erklärte Schmallenbach: "Datensicherheit und die zweckgebundene Nutzung der Daten ist ja Kern unseres Geschäftsmodells eigentlich schon seit immer." Sein Versicherungskonzern betreue in Deutschland 13,5 Millionen Kunden und arbeite mit einem sicheren Rechnungszentrum und sicheren Austauschplattformen. "Wir sind es ja gewohnt, mit Daten umzugehen." Er glaube, dass die Versicherungswirtschaft in Deutschland die sicherste Branche sei. "Absolute Sicherheit gibt es nicht, aber das höchstmögliche Maß an Sicherheit herzustellen, das ist unsere Aufgabe und der stellen wir uns als Generali, aber auch als deutsche Versicherungswirtschaft."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Vielleicht lag auch unter Ihrem Weihnachtsbaum ein Armband der besonderen Art? Eines, das Schritte zählt, Schlaf misst und womöglich jeden Keks protokolliert, der nach einem gerufen hat über die Festtage? Fitness-Tracker sind in.
Und an den Daten sind natürlich auch die Krankenversicherungen interessiert. Die locken jetzt in Südafrika mit Bonusprogrammen für diejenigen, die sich quasi nackig machen.
Jan-Philippe Schlüter aus Südafrika über das dortige Bonussystem der privaten Krankenversicherungen
, das nach dem Willen der Versicherung Generali auch in Deutschland Einzug halten soll.
Die größte Versicherung Europas will günstigere Beiträge für die Versicherten anbieten, die nachweislich Sport treiben und gesund essen und trinken. Dazu müssen sie ihre Daten per Smartphone und App übermitteln, wann sie einkaufen, wann sie Sport treiben und wann sie schlafen gehen. Und was den Schlaf angeht, würde ich zum Beispiel ganz, ganz schlecht abschneiden. Christoph Schmallenbach ist Vorstandsmitglied der Generali Deutschland und ist natürlich davon überzeugt, dass gesündere Kunden die besseren Kunden, weil die billigeren Kunden sind. Guten Morgen, Herr Schmallenbach!
Christoph Schmallenbach: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Ihre Rechnung ist einfach, beruht aber auch darauf, dass die Menschen Ihnen per App die Wahrheit sagen. Sind Sie so vertrauensselig oder ist die Technik schon so ausgefuchst, dass sie Betrug merkt?
Schmallenbach: Wir sind erstens davon überzeugt, dass unsere Kunden uns die Wahrheit sagen. Aber es geht eigentlich mehr darum, dass die Kunden etwas für sich und ihre Gesundheit tun wollen und die Kunden, ich glaube, nicht dazu neigen, sich dabei selbst zu belügen. Und wir wollen lediglich denen, die Gesundheitsbewusstsein sehr, sehr hoch für sich selber eingeordnet haben, denen Angebote machen, die sie heute in der deutschen Versicherungswirtschaft nicht finden.
Welty: Das System ist noch nicht eingeführt, knüpft aber an die zahlreichen Fitness-Apps, die es schon gibt und die zur persönlichen Information gemacht worden sind. Schon allein denen steht Konstantin von Notz skeptisch gegenüber, der netzpolitische Sprecher der Grünen findet, dass ohnehin viel zu viele Daten unterwegs sind.
O-Ton Konstantin von Notz: Einmal wissen wir, dass Datensicherheit ein eher abstrakter Begriff ist im Augenblick, da nun private Unternehmen, Hacker und Geheimdienste praktisch jedes System knacken können ... Ich glaube, die Menschen müssen sich darüber klar werden, ob sie diese intimen Informationen über ihren Körper einfach Dritten offenbaren wollen. Und die Politik muss sich Gedanken darüber machen, was hier ethisch vertretbar ist.
Versicherungsbranche verspricht Sicherheit
Welty: Herr Schmallenbach, wie wollen Sie Datensicherheit garantieren, wenn selbst ein so großer US-Konzern wie Sony Pictures vor Hackern nicht sicher ist?
Schmallenbach: Datensicherheit und die zweckgebundene Nutzung der Daten ist ja Kern unseres Geschäftsmodells eigentlich schon seit immer. Und das ist das oberste Prinzip, was wir zu beachten haben. Und auch bei den Kunden, die heute bereits unsere Kunden sind, das sind in Deutschland immerhin 13,5 Millionen Kunden, vertreten wir dieses Prinzip. Unser Rechenzentrum ist hoch sicher, die Austauschplattformen, die wir haben, sind hoch sicher. Und wir sind es ja gewohnt, mit Daten umzugehen. Wir glauben, dass die Versicherungswirtschaft die sicherste Branche in Deutschland ist. Absolute Sicherheit gibt es nicht, aber das höchstmögliche Maß an Sicherheit herzustellen, das ist unsere Aufgabe und dem stellen wir uns als Generali, aber auch als deutsche Versicherungswirtschaft.
Welty: Wir alle kennen das ja, dass das Verlangen mit dem Angebot wächst. Sprich: Sind die Daten erst einmal vorhanden, wollen sie auch von anderen genutzt werden. Konstantin von Notz beschreibt das so:
O-Ton von Notz: Das Nächste ist ja, der Arbeitgeber, der sagt, hör mal zu, wenn du mir Zugang – ganz freiwillig natürlich – gibst zu diesen Daten deiner Krankenversicherung, dann sind wir bereit, Ihnen einen besseren Arbeitsplatz ... oder Ihnen diese Beförderung zu geben. An diesen Daten haben eben unheimlich viele Menschen Interessen, der Wert ist ungeheuer hoch. Deswegen entsteht da einfach ein problematischer Datenpool, der über das Problem gläserner Patient hinausgeht. Das führt letztlich dazu, dass eben sehr intime, sehr private Daten von mir in kommerziellen Zusammenhängen gebraucht werden und auch missbraucht werden können.
Welty: Werden Sie sich am Ende des Tages dagegen wehren können, dass die von Ihnen gesammelten Daten auch anderweitig genutzt werden?
Schmallenbach: Ja, selbstverständlich. Unsere Kunden, die werden uns die Daten zu einem ganz bestimmten mit ihnen vereinbarten Zweck zur Verfügung stellen. Die Kunden willigen ganz konkret in eine ganz bestimmte Nutzung ein. Und die Daten stehen nur zu diesem Zweck zur Verfügung. Die werden auch von uns zu keinem anderen Zweck verwendet und erst recht natürlich nicht von Dritten. Weil wir die Daten selbstverständlich nicht an Dritte weitergeben werden.
Richtige Entscheidungen des Gesetzgebers
Welty: Welche Unterstützung erwarten Sie in dieser Hinsicht vom Gesetzgeber?
Schmallenbach: Ich glaube, der Gesetzgeber hat mit dem Bundesdatenschutzgesetz und mit der Novellierung, aber auch mit dem IT-Sicherheitsgesetz, was ja gerade in diesen Tagen erlassen worden ist, aus meiner Sicht richtige und richtungsweisende Entscheidungen getroffen. Zudem setzt die deutsche Versicherungsbranche auf dieser Basis ja noch mal eigene Selbstverpflichtungen oben drauf, der sogenannte „Code of Conduct Datenschutz" der deutschen Versicherungswirtschaft, dem wir auch als Generali-Gruppe beigetreten sind.
Zudem betreibt die deutsche Versicherungswirtschaft das sogenannte Lagen- und Krisenreaktionszentrum, was mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie eng zusammenarbeitet und permanent beispielsweise Hacker-Angriffe observiert und die Informationen, die nötig sind, um sich davor zu schützen, zwischen allen Beteiligten sehr, sehr schnell austauscht.
Welty: Unser Gesundheitssystem beruht ja im wesentlichen auf dem Solidargedanken, dass Gesunde für Kranke einstehen und dass auch privat Versicherte ihren Teil zur Sicherung des medizinischen Fortschritts beitragen. Konstantin von Notz als netzpolitischer Sprecher der Grünen sieht genau dieses System in Gefahr.
O-Ton von Notz: Wenn hier sozusagen über diesen Hebel das Solidarprinzip aufgebohrt wird, dann ist das eine schwierige Entwicklung und man muss sich klarmachen, wohin das führt. Das muss man eben auch Unternehmen wie der Generali sagen. In der Privilegierung der Menschen, die „freiwillig" ihre Daten rausgeben, liegt automatisch eine Diskriminierung für die, die das nicht tun.
Risikogerechte Kalkulation und Tarifierung
Welty: Inwieweit schaffen Sie sich ein Mehrklassensystem, das den Versicherungen vielleicht dann auch selbst zu unübersichtlich wird?
Schmallenbach: Ich glaube, man muss zunächst unterscheiden, dass die gesetzliche Sozialversicherung auf dem Solidarprinzip, und zwar ausschließlich auf dem Solidarprinzip fußt. Die private Versicherungswirtschaft fußt dagegen auf dem Prinzip der risikogerechten Kalkulation und Tarifierung. Und das bedeutet, dass wir aufgefordert sind, Segmente, Kollektive von Menschen, die ein ähnliches Risiko darstellen, zu identifizieren und ihnen einen angemessenen Preis zu geben. Beispielsweise Vielfahrer im Auto oder Wenigfahrer im Auto? Oder beispielsweise Gebäude, die aus Stein gebaut sind, oder Gebäude, die aus Holz gebaut sind, in der Feuerversicherung? Und dieses Prinzip der risikogerechten Kalkulation ist genau das, was wir jetzt auch bei uns im Angebot Vitality im Auge haben.
Welty: Das heißt im Umkehrschluss: Wie viele Kilo Über- oder Untergewicht wollen Sie tolerieren? Und gelten für die Zeit vor und nach Weihnachten andere Werte?
Schmallenbach: Natürlich nicht, Frau Welty! Jeder kann bei Vitality mitmachen und jeder fängt beim selben Stand null an, mit der Eingangsvoraussetzung, die er dann mitbringt. Uns geht es darum, ob er ab dem Entschluss, dort mitzumachen, sich ab dort gesundheitsorientiert verhält. Darum geht's. Und da spielt das Eingangsgewicht, das Eingangsalter, das Eingangsgeschlecht, die Eingangsernährung keine Rolle, sondern es spielt eine Rolle, wenn man sich entschieden hat mitzumachen, ob man sich dann entsprechend verhält.
Welty: Christoph Schmallenbach von der Generali Deutschland. Europas größte Versicherung will dem Kunden ein gutes Stück näherkommen. Danke fürs Gespräch!
Schmallenbach: Danke Ihnen, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.