Krankheit

Dem "Schwarzen Tod" den Schrecken genommen

Eine Frau wird 2002 in Indien auf der Quarantänestation von Ärzten untersucht, nachdem sie mit Symptomen der Lungenpest eingeliefert worden war.
Auch heutzutage ist die Pest noch nicht völlig ausgerottet. Aber sie ist nicht mehr unheilbar. © picture alliance / dpa
Von Martin Winkelheide |
Über Jahrhunderte versetzte eine Seuche die Menschen in Angst und Schrecken: Im 6. Jahrhundert kostete die "Justinianische Pest" 50 bis 100 Millionen Menschen das Leben. Im 14. Jahrhundert kam der "Schwarze Tod". Erst vor 120 Jahren, am 20. Juni 1894, entdeckte der Schweizer Arzt Alexandre Yersin den Erreger der Pest und fand ein Gegenmittel.
Als im Frühjahr 1894 in China die Pest ausbricht, sind die Kolonialmächte England und Frankreich alarmiert. England fragt in Berlin bei Robert Koch an. Ein Spezialist für Infektionskrankheiten möge doch kommen. Der französische Bakteriologe Louis Pasteur schickt den 31 Jahre alten Alexandre Yersin. Der Wettlauf um die Suche nach dem Erreger der Pest beginnt.
"Ich sehe viele tote Ratten auf dem Boden liegen", notiert Alexandre Yersin bei seiner Ankunft am 15. Juni 1894 in Hongkong. "Die Ratten sind sicherlich die eigentlichen Verbreiter der Epidemie."
Die Berliner Forschergruppe unter Leitung des Japaners Shibasaburo Kitasato ist schon seit drei Tagen in der Stadt und hat ihr Labor im Alice Memorial Hospital eingerichtet. Kitasato hat bei den britischen Behörden durchgesetzt, dass er allein Pesttote untersuchen darf.
"Kitasato entnimmt einem Herzen etwas Blut. In einem Glasgefäß trägt er es in sein Labor, um es zu untersuchen."
Der japanische Bakteriologe konzentriert sich bei der Suche nach dem Erreger auf das Blut und die inneren Organe der Toten, was Yersin verwundert. Er glaubt, dass es darauf ankommt, die Pestbeulen zu untersuchen. Er kauft britischen Matrosen, die für die Leichenhalle des Krankenhauses zuständig sind, einige Pesttote ab. Illegal.
"Sie liegen in ihren Särgen, ganz mit Kalk bedeckt. Ein Sarg wird geöffnet. Ich schiebe den Kalk beiseite, um die Leistengegend freizulegen. Die Beule ist deutlich auszumachen. In weniger als einer Minute habe ich sie herausgeschnitten."
Yersin bringt die Gewebe-Proben in sein provisorisches Labor, eine mit Stroh gedeckte Bambushütte neben dem Alice Memorial Hospital.
"Im Nu habe ich ein Präparat hergestellt und lege es unter mein Mikroskop. Auf den ersten Blick erkenne ich einen regelrechten Brei aus Mikroben, die alle gleich aussehen."
Glück für Yersin
Am 20. Juni 1894 ist Alexandre Yersin am Ziel. Er hat den Erreger der Pest entdeckt.
"Die Beulen enthalten, deutlich und klar zu erkennen, eine riesige Zahl von Bazillen. Sie sind klein, kurz und haben abgerundete Enden."
Yersin isoliert den Erreger und vermehrt ihn in Kulturschalen. Er überträgt ihn auf Versuchstiere - Mäuse, Ratten und Meerschweinchen. Sie verenden alle. Damit ist erwiesen, dass das Bakterium tatsächlich ursächlich ist für die Infektionskrankheit.
Auch sein Konkurrent Kitasato findet Bakterien in Pesttoten. Er vermehrt sie im Brutschrank bei 37 Grad. Was er nicht wissen kann: Der Pesterreger vermehrt sich besonders gut bei 28 Grad, der Durchschnittstemperatur von Hongkong. Im Brutschrank hingegen kaum.
Glück für Yersin, Pech für Kitasato. In seinen Kulturschalen vermehren sich vor allem Pneumokokken - Bakterien, mit denen Pestkranke häufig zusätzlich infiziert sind.
Alexandre Yersin schickt seine Bakterienstämme und einen wissenschaftlichen Bericht nach Paris. Die Mission ist für ihn beendet. Er kehrt zurück nach Indochina, nach Nha Trang im heutigen Vietnam. Dort hat sich der 1863 im Schweizer Kanton Waadt geborene Wahlfranzose nach seinem Medizinstudium, zwei Jahren Forschung am Institut Pasteur, einem zweijährigen Intermezzo als Schiffsarzt und drei Landexpeditionen niedergelassen. Er baut dort eine medizinische Station auf, ein Institut zur Erforschung von Tierseuchen sowie ein landwirtschaftliches Mustergut.
Erst Antibiotka nahmen der Pest ihren Schrecken
Im Sommer 1895 - ein kurzes Intermezzo in Paris.
"Ich wohne wieder im Institut Pasteur. Ich bin sehr froh darum, denn dadurch kann ich meine Arbeit leichter erledigen, und außerdem bin ich den Schuppen gewohnt."
Innerhalb weniger Monate entwickelt Yersin eine sogenannte Serum-Therapie zur Vorbeugung und Behandlung der Pest. Als in Guangzhou im Süden Chinas die Pest ausbricht, reist er dorthin. In der katholischen Mission behandelt er einen Jungen.
"Ab Mitternacht wird der Kranke ruhiger, und um sechs Uhr morgens (…) erwacht dieser und erklärt, er fühlt sich geheilt."
Alexandre Yersin ist der erste Arzt, der einen Pestkranken gerettet hat. Am Verlauf der Epidemie, der in China und Indien Millionen Menschen zum Opfer fielen, konnte die Therapie mit dem aufwendig hergestellten Serum nichts ändern.
Erst mit der Entwicklung der Antibiotika im 20. Jahrhundert verlor die Pest ihren Schrecken. 1970 erhielt der Pest-Erreger zur Erinnerung an den 1943 in Nha Trang gestorbenen Alexandre Yersin seinen heutigen wissenschaftlichen Namen: Yersinia pestis.
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