"Es wird ein heftiges Influenzajahr geben"
06:13 Minuten
Maskentragen hat Viruserkrankungen wie die Influenza oder eine Magen-Darm-Grippe lange in Schach gehalten. Nun treten sie wieder häufiger auf und Mediziner und Medizinerinnen erwarten eine Grippesaison mit erhöhter Patientenzahl.
"Die Kinderärzte sind momentan ganz schön gefordert und haben alle Hände voll zu tun, die Eltern von kleinen Kindern auch."
Henriette Rudolph ist Kinderärztin am Universitätsklinikum Frankfurt am Main und selbst Mutter. Das neuartige Coronavirus habe den Klinikalltag auch im Sommer durcheinandergebracht, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Allerdings kamen die Menschen nicht mit Corona-Infektionen in die Kliniken. Sie hatten sich mit anderen Erregern infiziert.
"Normalerweise hat man so ein Sommerloch, wo dann wirklich in den Notaufnahmen weniger los ist. Aber dieses Sommerloch sehen wir definitiv nicht, sondern wir sehen massiv mehr Infekte. Auch die niedergelassenen Kinderärzte werden überrannt von Eltern mit kranken Kindern. Weil die jetzt alle diese ganzen Virusinfekte durchmachen, auch wieder mehr Magen-Darm und so weiter, was es ja gar nicht gab, und das sehen wir schon auf jeden Fall."
Denn die Lockdowns, aber auch die Maskenpflicht haben im vergangenen Herbst nicht nur das neuartige Coronavirus in Schach gehalten. Auch Grippeviren oder andere Infektionserreger, die normalerweise pünktlich zum Herbst ihre Runde durch Kitas und Schulen machen, blieben fern. Verschwunden waren sie deshalb jedoch nicht. Sie haben einfach später ihre Chance ergriffen: Im Frühling und Sommer, als das öffentliche Leben wieder in Gang kam und sich die Menschen wieder treffen konnten.
Denn die Lockdowns, aber auch die Maskenpflicht haben im vergangenen Herbst nicht nur das neuartige Coronavirus in Schach gehalten. Auch Grippeviren oder andere Infektionserreger, die normalerweise pünktlich zum Herbst ihre Runde durch Kitas und Schulen machen, blieben fern. Verschwunden waren sie deshalb jedoch nicht. Sie haben einfach später ihre Chance ergriffen: Im Frühling und Sommer, als das öffentliche Leben wieder in Gang kam und sich die Menschen wieder treffen konnten.
"Insgesamt haben wir jetzt auch eine Zunahme von allen möglichen und unspezifischen Virusinfektionen, die wir vorher jetzt Monate lang nicht gesehen haben, die jetzt alle kommen, seitdem weniger Masken getragen werden. Und diese Lockerung bestehen."
Das Immunsystem gesunder Menschen ist flexibel
Gefährlich sind diese unspezifischen Virusinfektionen jedoch nicht. Und das Immunsystem gesunder Menschen ist flexibel. Es kommt auch damit klar, wenn es jetzt von all den Keimen herausgefordert wird, die sich während der Pandemie rar gemacht haben, sagt der Virologe Klaus Stöhr, ehemaliger Leiter des Influenzaprogramms der Weltgesundheitsorganisation, der WHO.
"Das Immunsystem ist sicherlich in der Lage, mit mehreren Erregern fertig zu werden. Da habe ich überhaupt gar keine Zweifel, da gibt es ja auch sehr gute Untersuchungen.
Allerdings erwartet der Grippeexperte, dass die Influenzaviren in diesem Herbst besonders heftig zuschlagen werden.
"So eine Situation hat es noch nicht gegeben, aber ich habe über viele Jahre die Welt-Influenza-Situation evaluiert und aus meiner Vorhersage wird es in diesem Jahr ein doch heftiges Influenzajahr geben. Warum? Weil in den letzten 16 bis 18 Monaten die normale Auffrischung der Immunlage nicht gegeben war. Die Viren waren praktisch vollständig abwesend."
Kaum mit Influenzaviren in Kontakt
Das Immunsystem konnte sich also im vorigen Herbst und Winter kaum mit Influenzaviren auseinandersetzen und eine Immunität gegen sie entwickeln. Die Grippeerreger haben daher in diesem Winter bessere Chancen, die körpereigene Abwehr zu überlisten und mehr Menschen krank zu machen, so Klaus Stöhr.
"Was zum Glück offensichtlich noch nicht eingetreten ist, dass eine neue Variante zirkuliert. Das würde jetzt wirklich dramatisch sein, weil die Impfstoffe für die jetzige Herbstimpfung ja schon produziert sind."
Denn normalerweise mutieren Influenzaviren recht häufig, weshalb die Grippeimpfstoffe jedes Jahr neu angepasst werden müssen. Sorge bereitet den Immunologen allerdings momentan, dass Infektionen mit dem sogenannten Respiratorischen Synzytial-Virus, kurz RSV zunehmen. Denn diese können insbesondere für Säuglinge gefährlich werden. In Frankreich und der Schweiz stecken sich bereits vermehrt Menschen mit diesem Virus an. Besonders häufig geschieht dies in den USA und Australien, sagt Henriette Rudolph.
"Da gab es eindrücklich im späten 2020 in Australien schon mal so ein bisschen einen Ausblick, was uns erwarten wird. Und zwar hatten die da auf einen Schlag die Maskenpflicht fallen lassen und dann einen unerwartet frühen und intensiven Ausbruch mit diesem RS Virus erlebt. Und das ist ein Virus, was eben schwere Atemwegsinfektionen macht mit Bronchitis und insbesondere für Neugeborene und Frühgeborene sogar lebensgefährliche Verläufe hat."
Aus Angst nicht zum Kinderarzt gegangen
Problematisch sei zudem, dass viele Kinder durch die Coronakrise nicht vollständig geimpft seien, so die Kinderärztin weiter. Viele Eltern hätten sich aus Angst vor Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus nicht in die Arztpraxen gewagt und ihre Kinder auch nicht zu Vorsorgeuntersuchungen geschickt. Dass sich das Immunsystem kleiner Kinder während des Lockdowns kaum mit den üblichen Infekten auseinandersetzen konnte, hält Henriette Rudolph jedoch für unproblematisch.
"Das ist im Moment noch unklar. Es gibt ja verschiedene Hypothesen zum kindlichen Immunsystem. Zum einen weiß man ja aus Daten, dass übertriebene Hygiene und auch ständiges Hände desinfizieren und Isolieren der Kinder eher dazu geführt haben, dass Kinder mehr Allergien hatten. Allerdings ist es ja jetzt während des Lockdowns und während der Maskenpflicht nicht unbedingt damit vergleichbar, weil ja die Kinder, die waren dadurch nicht komplett zuhause. Sondern die sind dadurch ja mehr in die Natur gegangen, vermehrt raus, zumindest hatten sie eine gewisse Exposition, sodass ich eigentlich optimistisch bin, dass da nicht so viel Schlimmes passiert."