Kratzen mit den Scheren
Ein Bad in kochend heißem Wasser: In seinem Essay "Am Beispiel des Hummers" polemisiert der Schriftsteller David Foster Wallace gegen die Esskultur des 21. Jahrhunderts. Es war einer der letzten Texte, der noch zu Lebzeiten des amerikanischen Autors veröffentlicht wurde.
Im Jahre 2004 verfasste David Foster Wallace für die amerikanische Zeitschrift "Gourmet" eine Reportage über ein traditionelles Hummerfest. Der Schriftsteller hatte damals bereits zwei Romane und mehrere Bände mit Kurzgeschichten veröffentlicht, in denen er sich mit den kollektiven Neurosen der amerikanischen Gesellschaft beschäftigt hatte, und das "Maine Lobster Festival" lag ganz auf seiner Linie: Jahr für Jahr fallen hunderttausend Menschen in die kleine Hafenstadt Rockwell ein, um die "Midcoast-Meeresgöttin" zu wählen und bei lebendigem Leib gekochte Schalentiere in sich hineinzustopfen.
Jetzt erscheint "Am Beispiel des Hummers" postum in Form eines schmalen Buches auf Deutsch. David Foster Wallace hat sich vor einem halben Jahr das Leben genommen, und der Selbstmord des schwer depressiven Autors wirft seinen Schatten auch auf diesen Text. Bereits die amüsanten Beschreibungen der Besucher und ihrer "roten Hummermützen mit lustig an Drahtspiralen wippenden Scheren" zeugen von einem gewissen "Unbehagen". Im Mittelpunkt stehen jedoch die Tierschützer, und Wallace hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Argumentation mit einer geradezu sadistischen Lust am Detail nachzuvollziehen.
Die neurologischen Grundlagen sind schnell geklärt: Im Hirnstamm und Thalamus des Hummers werden die gleichen Botenstoffe ausgebildet, die beim Menschen für die Empfindung von Schmerzen zuständig sind. Auch das Verhalten des Tieres sei eindeutig, meint Wallace, und damit wird es wirklich unappetitlich. Genüsslich beschreibt er, wie ein Hummer sich "heftig" an der Verpackung "festklammert", kurz darauf im Wasser mit dem "ganzen Körper hin- und herpeitscht" und panisch mit den Scheren an der Topfwand kratzt: "Der Hummer verhält sich nicht anders, als wir uns verhielten, würde man uns in kochendes Wasser werfen."
Wallace ist ein großer Polemiker. Er hat kein Problem damit, das "Maine Lobster Festival" und die Esskultur des 21. Jahrhunderts mit dem Entertainmentprogramm eines "Nero" und den "Experimenten eines Dr. Mengele" zu vergleichen. Interessant ist allerdings, dass er sich inmitten seiner kulturpessimistischen Hasstiraden bescheiden als "Reporter" porträtiert.
So wird sein bösartiger Essay zuletzt zu einer literarischen Positionsbestimmung: Der 1962 geborene Schriftsteller sah sich selbst als einfacher Berichterstatter inmitten einer Welt, die von schlechten Fernsehserien, zynischen Marketing-Experten und mörderischen "Mega Events" wie dem "Maine Lobster Festival" mit seinem "weltgrößten Hummerkessel" beherrscht wird.
David Foster Wallace muss dabei häufiger an den Punkt gekommen sein, an dem er es nicht mehr ausgehalten hat. Auch in Rockwell war es schließlich soweit. "Selbst für einen noch so ehrlich interessierten Reporter vor Ort gibt es Fragen, die er seinen Mitmenschen nicht mehr zumuten sollte." Mit diesen Worten endete der Artikel im "Gourmet"-Magazin, und Wallace verstummte. "Am Beispiel des Hummers" sollte einer der letzten Texte sein, die noch zu Lebzeiten des Autors veröffentlicht wurden.
Rezensiert von Kolja Mensing
David Foster Wallace: Am Beispiel des Hummers
Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay.
Arche Verlag, Hamburg 2009.
79 Seiten, 12 Euro
Jetzt erscheint "Am Beispiel des Hummers" postum in Form eines schmalen Buches auf Deutsch. David Foster Wallace hat sich vor einem halben Jahr das Leben genommen, und der Selbstmord des schwer depressiven Autors wirft seinen Schatten auch auf diesen Text. Bereits die amüsanten Beschreibungen der Besucher und ihrer "roten Hummermützen mit lustig an Drahtspiralen wippenden Scheren" zeugen von einem gewissen "Unbehagen". Im Mittelpunkt stehen jedoch die Tierschützer, und Wallace hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Argumentation mit einer geradezu sadistischen Lust am Detail nachzuvollziehen.
Die neurologischen Grundlagen sind schnell geklärt: Im Hirnstamm und Thalamus des Hummers werden die gleichen Botenstoffe ausgebildet, die beim Menschen für die Empfindung von Schmerzen zuständig sind. Auch das Verhalten des Tieres sei eindeutig, meint Wallace, und damit wird es wirklich unappetitlich. Genüsslich beschreibt er, wie ein Hummer sich "heftig" an der Verpackung "festklammert", kurz darauf im Wasser mit dem "ganzen Körper hin- und herpeitscht" und panisch mit den Scheren an der Topfwand kratzt: "Der Hummer verhält sich nicht anders, als wir uns verhielten, würde man uns in kochendes Wasser werfen."
Wallace ist ein großer Polemiker. Er hat kein Problem damit, das "Maine Lobster Festival" und die Esskultur des 21. Jahrhunderts mit dem Entertainmentprogramm eines "Nero" und den "Experimenten eines Dr. Mengele" zu vergleichen. Interessant ist allerdings, dass er sich inmitten seiner kulturpessimistischen Hasstiraden bescheiden als "Reporter" porträtiert.
So wird sein bösartiger Essay zuletzt zu einer literarischen Positionsbestimmung: Der 1962 geborene Schriftsteller sah sich selbst als einfacher Berichterstatter inmitten einer Welt, die von schlechten Fernsehserien, zynischen Marketing-Experten und mörderischen "Mega Events" wie dem "Maine Lobster Festival" mit seinem "weltgrößten Hummerkessel" beherrscht wird.
David Foster Wallace muss dabei häufiger an den Punkt gekommen sein, an dem er es nicht mehr ausgehalten hat. Auch in Rockwell war es schließlich soweit. "Selbst für einen noch so ehrlich interessierten Reporter vor Ort gibt es Fragen, die er seinen Mitmenschen nicht mehr zumuten sollte." Mit diesen Worten endete der Artikel im "Gourmet"-Magazin, und Wallace verstummte. "Am Beispiel des Hummers" sollte einer der letzten Texte sein, die noch zu Lebzeiten des Autors veröffentlicht wurden.
Rezensiert von Kolja Mensing
David Foster Wallace: Am Beispiel des Hummers
Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay.
Arche Verlag, Hamburg 2009.
79 Seiten, 12 Euro