Kreativ bleiben im Umbruch

Tanz ist die Abwesenheit von Tod

46:24 Minuten
Marco Goecke, Lola Randl, Hanna Engelmeier, Katrin Hahner (vlnr)
Trost finden im Umbruch: Marco Goecke, Lola Randl, Hanna Engelmeier, Katrin Hahner (vlnr) © vlnr: Bild 1: die arge lola Bild 2: privat, Bild 3: privat, Bild 4: Antje Taiga Jandrig. Collage: Sarah Elsing für Dlf Kultur
Eine Sendung von Sarah Elsing |
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Gerade nach dem Lockdown suchen viele Halt in der Natur, Literatur, Tanz und Musik. Doch die großen Fragen und die Unsicherheit bleiben. Lola Randl, Hanna Engelmeier, Marco Goecke und Katrin Hahner erzählen, was Ihnen jetzt Trost spendet.
"Tanz ist die Abwesenheit von Tod", sagt der Choreograf Marco Goecke. Auch deshalb ziehe es ihn jeden Morgen in den Ballettsaal: "Das ist wie eine Fährte, die ich aufnehme. Da muss ich hin und mich mit Leben aufladen."
Das Gleiche suchend folgt die Filmemacherin und Autorin Lola Randl ihrer persönlichen Fährte in den Garten: "Natur kann fast am besten Trost spenden", findet sie. "Zumindest bei mir funktioniert das relativ gut, weil ihr vieles so egal ist. Wenn man so in der Natur ist und einfach mal das Jahr begreift, dann merkt man, dass man selbst nicht das Maß aller Dinge ist und der Mensch sich ziemlich viel einbildet auf sich."
Die überwältigenden Landschaften und das einmalige Licht Islands sind es auch, die die Musikerin und Künstlerin Katrin Hahner aus ihrer "Menschblase" herausholen. Die Autorin Hanna Engelmeier versuchte in der Abgeschiedenheit Brandenburgs erfolglos das Beten und folgte intuitiv ihrer Fährte in ihre liebsten Texte und Nebentexte – dem Dogma vieler Intellektueller zum Trotz, Literatur, Kunst und Musik existierten nur l’art pour l’art und dürften nicht als Trostspender funktionalisiert werden.
Hier erzählen die vier, was Ihnen hilft, wenn es schwierig wird.

Der Tod ist im Weltgeschehen etwas ganz Banales

"Jede Arbeit spendet mir Trost", sagt Goecke. "Das Schöne an meiner Arbeit ist ja, dass man aus dem Leben ein Stück weit aussteigen kann."
Der Choreograph Marco Goecke
Der Choreograf Marco Goecke: "Tanz ist die Abwesenheit von Tod."© Regina Brocke
Während Corona inszenierte er ein Stück über den Tod seines Vaters "The Big Crying": "Auch der Tod meines Vaters ist im Weltgeschehen etwas ganz Banales. Das passiert am Tag Tausende Male und die Welt dreht sich trotzdem weiter. Aber wenn ich tiefer gehe und etwas darüber sagen will, was man mit Worten nicht ausdrücken kann, dann ist das der einzige Weg für mich. Das große Geschenk an meinem Beruf ist es, dass ich die Welt immer wieder umstellen kann."
Doch sterben für Goecke auch die Stücke nach der Aufführung: "Die Stücke sind dann selbst Asche. Sie bedeuten mir nichts mehr. Aber erst aus der Asche der alten Stücke entsteht das Neue."
Wenn er sich vorstelle, ein Stück zu machen, hätte er die Kraft gar nicht dazu, sagte Goecke: "Ich denke oft, wie kann man nur so mutig sein, aus dem Nichts, nur aus sich selbst so etwas entstehen zu lassen. Aber wenn ich dann wieder in den Ballettsaal gehe, bin ich wieder wie ein Kind, das Spielkameraden sucht. Ich gehe da nicht für mich selbst hin", erzählt er. "Ich gehe wegen der anderen hin. Das Lebensbejahende des Tanzes, diese doppelte Energie. Das ist ganz unschlagbar."

Im Garten trifft man sich selbst

"Gärtnern ist schon eine Konfrontationstherapie", sagt die Filmemacherin und Autorin Lola Randl. "Die Natur ist ein guter Gegenspieler, aber man trifft sich schon selbst im Garten." Im Garten seien wir zudem unausweichlich dem Zyklus von Leben und Sterben konfrontiert.
Viele stolperten immer wieder über die naive Vorstellung, auf dem Land sei der Mensch glücklicher als in der Stadt: "Viele landromantische Städter kommen aufs Land und haben ihre Idee. Aber die fotografieren doch lieber die Kartoffel", sagt Randl, die in Brandenburg ihren eigenen Utopistengarten gegründet hat.
Die Filmemacherin und Autorin Lola Randl
Die Filmemacherin und Autorin Lola Randl findet Trost im Beobachten ihrer Gartenhelferinnen.© privat
"Im Lockdown habe ich mit Kreativität eher überreagiert. Kreativität ist bei mir eher eine Reaktion – ich will nicht sagen wie ein Ausschlag – aber etwas, das mir hilft, meine Gedanken zu ordnen. Ich wäre froh, wenn ich mal wirklich gar nichts machen könnte."
Trotzdem mache sie das aktiv Sein, das schnelle, viele Tun glücklich. "Achtsamkeit ist gar nichts für mich. Ich kann auch nicht langsam kauen. Ich bewundere viele meiner Gartenhelferinnen, die das können. Ich finde aber auch, das schnelle Hinunterschlingen kann Genuss sein."
Es gebe einfach unterschiedliche Temperamente, sagt Randl. "Es muss nicht jeder achtsam sein und weniger machen."

Die Stimme als akustisches Geländes

"Die Stimme war für mich wie ein akustisches Geländes, das mir half, mich in einer fremden, manchmal sogar feindlichen Umwelt zurechtzufinden", sagt die Autorin und Kulturwissenschaftlerin Hanna Engelmeier. Lange trug sie eine Audiodatei der Rede des US-amerikanischen Autors David Foster Wallace in ihrem Smartphone herum. Wie einen Glücksbringer.
Die Autorin Hanna Engelmeier
Die Autorin Hanna Engelmeier findet Trost im Murmeln von Gedichten.© privat
"Ich finde diesen Text so gut, weil er eine Situation beschreibt, durch die jede und jeder durch muss: der Besuch im Supermarkt. Sich klar zu machen, dass alle anderen genauso Menschen mit Problemen sind und genauso wie man selbst da durch müssen, ist der einzige Ausweg aus einer Situation, in der man sich total eingekapselt fühlt."
Für Engelmeier ist nicht nur das Lesen und Hören von Texten trostspendend, sondern auch das Schreiben und Aufsagen. In einem Kloster in Brandenburg lernte sie zwar nicht das Beten, aber den erstaunlichen Effekt den Vorsichhinmurmeln von Sätzen haben kann.
So hört und spürt sie in und um sich die Stimme von Clemens von Brentano, der Postpunk-Dichterin Eileen Myles oder ihrer Tante Hety. Daraus entwickele sie eine Kraft, die sie mit der Figur Johanna von Orléans verbinde.

Songs wie eine Salbe auf eine wunde Stelle

"Manche Songs sind wie eine Salbe auf eine wunde Stelle", sagt die Künstlerin und Musikerin Katrin Hahner. Wenn sie das Leben nicht mehr aushalte, höre sie Sufjan Stevens "Concerning the Ufo Sighting near Highland Illinois". "Das ist erhebend und tröstlich und fasst die Größe und Seltsamkeit des Daseins und unserer Geschichten perfekt zusammen."
Die Musikerin und Künstlerin Katrin Hahner
Die Musikerin und Künstlerin Katrin Hahner findet in Island aus ihrer "Menschblase".© Ante Taiga Jandrig
Richtig erhebend sei für sie "Scene suspended" von Jon Hopkins + Voces 8. "Das ist wie Sonnenaufgang nach einer schweren Nacht", sagt Hahner. "The String o Everything" von Mariam the Believer erinnere Hahner daran, daß wir mehr seien als ein kleiner Blob Fleisch. "Das ist für mich enorm tröstlich".

Bücher
Hanna Engelmeier: "Trost. Vier Übungen"
Matthes & Seitz, Berlin 2021
198 Seiten, 20 Euro

Lola Randl: "Der große Garten"
Matthes & Seitz, Berlin 2019
320 Seiten, 10,99 Euro

Lola Randl: "Die Krone der Schöpfung"
Matthes & Seitz, Berlin 2020
214 Seiten, 12,99 Euro

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