Kreativdorf Holzmarkt in Berlin

Ein Fleckchen Utopie mitten in der Stadt

Blick auf das Kreativdorf Holzmarkt über die Spree
Eröffnet wurde das Kreativdorf Holzmarkt im Mai 2017. Vorher war hier die Bar25, ein legendärer Club in Berlin. © imago/Tom Maelsa
Von Verena Kemna |
Holzhäuser, Kita, Bäckerei: Trotz der explodierenden Immobilienpreise ist mitten in Berlin ein kleines Kreativdorf entstanden. Doch weil es keine Unterstützung aus der Politik gibt, steht die Zukunft des alternativen Projekts auf dem Spiel.
Wer den Eingang nicht kennt, läuft vorbei an Bretterwänden, am Durchgang zwischen Hausfassaden. Auf dem Dorfplatz angekommen, weisen bemalte Holztafeln die Richtung: Katerschmaus, Säälchen, Backpfeife, Spreelunke, Weinhandlung steht da. Bunte Wegweiser im graubraun der vom Regen aufgeweichten Wege und nassen Hölzer der Bretterbuden. Der Geruch von gerösteten Kaffeebohnen und frisch gebackenem Brot zieht in die Nase. Direkt neben der "Backpfeife" eröffnet schon bald eine Galerie. Isabel Ott ist Mitglied der Holzmarkt Genossenschaft und eine der ersten in der Galerie.
"Wir machen hier eine Ladengalerie, die sowohl Kunst verkauft als auch ausstellt von anderen Künstlern, Künstlern die sich mit Müll beschäftigen und daraus Kunst machen. Und es soll ein Ort sein, wo wir auch Lesungen machen, Veranstaltungen abends zu den Themen, Plastik, Wiederverwertung, Wegwerfgesellschaft, was auch immer einem dazu einfällt."
Die Künstlerin sitzt in ihrem neuen Ladenraum auf einer Holzbank, an der Decke des Containers kleben Plastikgussformen von Osterhasen, der Leuchter ist aus Plastikabfällen, weiße Malzsäcke aus einer Brauerei sind mit Plastikmüll gefüllt. Ideale Sitzkissen, meint die schlanke 50-Jährige. Sasha Horsley, 42 Jahre alt, sitzt ihr gegenüber und nickt. Die zwei Frauen arbeiten zusammen.
"Es gibt teilweise so Plastik wie Übertöpfe von Blumen. Wir nehmen das und schreddern das, unten kommt ein kleines Granulat raus, das wiederum kommt in eine Maschine, die das Ganze erhitzt und dann kann man das in eine vorgefertigte Metallplatte pressen, dann haben wir so schöne Amulette wie das hier."

Ein großes Miteinander

Sie greift hinter sich, nach einer handtellergroßen runden blauen Scheibe. Ein Amulett aus Plastikresten. Genauso gern wie über Plastikmüll reden die beiden Frauen über die Gemeinschaft, die hier am Holzmarkt entsteht. Ein guter Ort soll es werden, meint Sasha Horsley.
"Alle haben den Fokus, dass das hier gut wird, dass man etwas Schönes schafft, sind sehr offen miteinander, da braucht der eine die Stichsäge, der nächste die Nietzange. Es ist so ein Miteinander, das mir gut gefällt, das macht den Ort auch aus, glaube ich."
Isabel Ott, die ihr Geld als Szenenbildnerin beim Film verdient, sieht aus dem Fenster. Es sind nur wenige Meter bis zur Spree. Alle paar Minuten fährt ein Schiff vorbei. Noch sind die Bänke und Sitzplätze am Ufer leer, die Feuerstellen nass, die Verkaufsstände für Pizza und Getränke geschlossen. Doch die Künstlerin ist wie alle vom Holzmarkt von der Magie des Ortes beseelt.
"Also ich kann mir das mittlerweile sehr gut vorstellen, dass das funktioniert mit der Gemeinschaft. Man hat hier einen Bäcker, man kann hier Mittagessen gehen, hier gehen alle vom Platz Mittagessen, man trifft sich. Gestern habe ich einen Freund getroffen, den ich schon 30 Jahre nicht gesehen habe, und so kommt man hier halt wieder zusammen."

Nicht das schnelle Geld treibt die Menschen an, sondern die gute Idee und das, was die anderen im Dorf davon halten. Isabel Ott kennt die meisten von früher, als auf dem heutigen Holzmarktgelände noch die Bar25 stand. Der Club war in der Szene bundesweit bekannt. Die Betreiber mussten ihren Platz am Spreeufer vor acht Jahren räumen, das Grundstück sollte verkauft werden. Aus der Gruppe um die Bar25 entstand eine Genossenschaft und mit ihr der Plan für das Kreativdorf am Holzmarkt. Isabel Ott war schnell überzeugt und wurde Mitglied der Genossenschaft.
"Ich kenne ein paar von den Leuten schon ziemlich lange, bin früher oft in der Bar25 gewesen, habe dann von dem Projekt gehört und fand das eine Superidee. Also für die Stadt auch total wichtig und zudem habe ich einen Ort gesucht, um meine Kunst zu präsentieren. Was ich aber auch nie alleine machen wollte. Ich bin aber auch nicht jemand, der sich um diese Galerieszene kümmert."
Besucher am Lagerfeuer im Holzmarkt am Ufer der Spree
Club, Restaurant und Boutiquen: Am Holzmarkt ist ein Treffpunkt der alternativen Szene entstanden.© imago/Tom Maelsa

Einer Schweizer Pensionskasse gehört das Gelände

Sie zupft an den Anhängern einer selbstgebauten Lampe. Da hängen Holzstückchen, die sie am Strand von Bilbao gefunden hat, Kleinkram vom Trödel. Die Künstlerin mit den kurz geschnittenen grauen Haaren freut sich auf die Ladeneröffnung in einer Woche. Sie ist von der Zukunft im Kreativdorf überzeugt. Eine Schweizer Pensionskasse, die für nachhaltige Geldanlage, nicht aber für maximale Rendite steht, hat das Gelände vor etwa sechs Jahren in einem Bieterverfahren übernommen und langfristig an die Genossenschaft verpachtet. Neben dem Kreativdorf ist seit Jahren das sogenannte Eckwerk geplant. Ein Gebäude, das viel Freiraum für Wohnen und Arbeiten bietet, ein Architekturmodell mit Zukunft, aber eben nur ein Modell. Seit Jahren geht nichts voran, meint Isabel Ott. Sie erlebt, wie die Genossenschaft mit immer neuen Änderungswünschen konfrontiert wird.
"Egal, was draus passiert, dieses ganze politische Gerangel ist für mich ohne Worte. Ich finde die Stadt versagt da in ihrer Funktion."
Ob das Eckwerk nun gebaut wird oder nicht. Isabel Ott beobachtet jeden Tag, wie sich das Kreativdorf auf dem Holzmarkt weiter entwickelt.
"Der könnte ein Ort sein, ist er ja schon, wo sich die Öffentlichkeit trifft und wo man am Wasser rumhängen kann ohne behelligt zu werden und wo man zudem mit dem Flair der Berliner Subkultur umgeben ist."
Aus der Backstube nebenan zieht der Duft von frischem Brot. Ehrensache, dass alle beim Bäcker Mattis kaufen. So läuft das hier, sagt Sasha Horsley, alle unterstützen sich gegenseitig. Sie freut sich auf das, was noch kommt. Im Container nebenan bereitet ein Designer seine Kollektion vor, ein Blumenbauer produziert aus Überschussware ätherische Öle. Die Brauerei am Holzmarkt will bald eigenes Craft Beer verkaufen.
"Dann wird noch das Tattoo Tartar aufmachen, unser Lieblingsname für ein Tattoo Studio. Dann gibt es noch das Schnurrbart, so eine Sauna. Also es wird noch viel stattfinden hier. Ich glaube, hier kann man einfach morgens hingehen und am nächsten Tag wieder nach Hause und das zeichnet einen guten Ort auch aus."

Zukunftsmodell für urbane Räume

Nur wenige Meter weiter steht die Spreelunke. Ein hundert Jahre altes Holzhaus aus Polen, das am Holzmarkt wieder aufgebaut wurde. An diesem Abend sitzen Architekturstudenten aus Texas an groben Holztischen und hören zu, was Johannes Kressner vom Architekturbüro Kleihues und Kleihues über das Eckwerk erzählt.
Es geht um fünf Türme in Holzbauweise. Der höchste hat zwölf Stockwerke. Die Grenzen zwischen Wohnen und Arbeiten sind fließend, können jederzeit geändert werden. Ein bepflanzter Wanderweg verbindet die Gebäudeteile miteinander. Es könnte das höchste Holzhaus Deutschlands werden. Gemeinsam mit den Mitgliedern der Genossenschaft, die sich fast alle aus der Bar- und Clubszene kennen, ist ein Zukunftsmodell für urbane Räume entstanden.
"Also es kann modellhaft zeigen, dass Stadt noch erheblich verdichtet werden kann ohne, dass dabei die Qualität auf der Strecke bleibt. Wir glauben an die dichte Stadt und den damit verbundenen Nutzungsmix und die Belebtheit der öffentlichen Räume. Deshalb hat dieses Projekt eine unglaubliche Perspektive, wenn man das mal durchdenkt."
Perspektive ja, politischer Wille, nein. Seit langem herrscht Funkstille zwischen dem grünen Baustadtrat des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und der Genossenschaft. Es ist bereits der dritte Baustadtrat, den die Genossenschaft vor sich hat. Architekt Johannes Kressner gibt die Hoffnung nicht auf.

"Wir hoffen, dass es jetzt weitergeht und dass wir das Projekt auch so realisieren in dieser oder ähnlicher Form und ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass die Stadt diese Chance einfach so im Sande verlaufen lässt und das auch nicht versteht, dass hier etwas Besonderes entsteht."
Nur wenige Tage später. Der gebürtige Schweizer Juval Dieziger sitzt im Katerschmaus vor Salat und Lasagne. Der Vorsitzende der Genossenschaft rührt in einem Glas mit heißem Wasser und frischem Thymian. Der Mann in Jeans und Wanderstiefeln fühlt sich krank. Die Perspektive für das Eckwerk ist schlecht. Wenn der 44-Jährige sich umsieht, überall bekannte Gesichter, alle sind voller Erwartung. Viele aus der ehemaligen Clubszene arbeiten heute auf dem Holzmarkt, leben die Idee. Alle wissen, wenn das Eckwerk nicht gebaut wird, fehlt etwas.
"Ich nenne es auch wieder das Kreuzberger Modell. Man hat eine WG, man kann wählen zwischen vier oder zehn Leuten, so viel Quadratmeter kriegt man. Man hat eher kleinere Schlafplätze, dafür große Gemeinschaftsflächen, das war die Grundidee. Dass man diese Schnitte wie ´ne Loft selber gestalten darf. Vielleicht sagt auch einer, ich brauche aber nur drei Quadratmeter zum Schlafen, dafür habe ich aber einen großen Raum, wo ich rausgucken kann. Dass man das freilässt, das war das Konzept, damit hat sich aber auch wirklich keiner beschäftigt."
Kreativdorf Holzmarkt
Ob das Kreativdorf Holzmarkt weiter bestehen kann, ist fraglich. Es fehlt die Unterstützung aus der Politik.© imago/Tom Maelsa

Kein Politiker setzt sich für das Projekt ein

Kein verantwortlicher Politiker habe sich zu dem Projekt bekannt. Bleibt die Frage, ob es sich die Schweizer Pensionskasse weiterhin leisten kann, die Genossenschaft zu unterstützen oder ob das Gelände, auf dem das Eckwerk entstehen soll, doch noch als Spekulationsmasse auf den Markt kommt. Längst müsste der entsprechende Bebauungsplan ausliegen. Niemand weiß, warum es nicht voran geht. Der zuständige Bezirksstadtrat von den Grünen hat keine Zeit für ein Interview. Juval Dieziger, Vorsitzender der Genossenschaft, wundert sich nicht.
"Diese Art von oben herab zu sagen, wie die Stadt auszusehen hat, anstatt zu sagen, hey, das sind die Werkzeuge, die wir haben. Wer hier eine Genossenschaft gründen möchte oder ein Bauprojekt stemmen möchte für seinen Kiez, kann da hingehen. Das sind die Werkzeuge, die wir euch zur Verfügung stellen. Das ist der Mann, der mit euch zum Amt geht und mit euch durchführt wie man das genehmigen lassen kann. Das ist hier nie so."
Der Wahlberliner mit der grauen Schiebermütze und dem grauen Bart erinnert sich an unzählige Gesprächsversuche. Doch entweder hatte niemand die aktuellen Unterlagen gelesen oder keiner war zuständig. Die Wege der Baubürokratie im rot-rot-grün regierten Berlin kann der Schweizer nur so beschreiben: kafkaesk.
"Man geht zum Amt und man geht wieder zum Amt und man muss wirklich einen sehr starken Willen haben, um überhaupt etwas anderes zu gestalten als rechteckig und quadratisch."
Tausende Stunden Arbeit, viele Ideen, viel Geld und alles umsonst? Dabei hat das Eckwerk Preise gewonnen. Die Bürgermeister von Detroit, Chicago und Tel Aviv haben sich dafür interessiert. Was jetzt passiert, erlebt der gelernte Koch und Schauspieler als Deja Vue. Einst hat die Hauptstadt mit der Bar25 geworben und sie dennoch vertrieben. Mit dem Eckwerk könnte es genauso gehen.
"Leider ist es diesmal wieder so, leider fehlt am Ende der Politiker der sagt, wir helfen euch, wir verstehen das Prinzip. Es sind 200 Arbeitsplätze und so viele Menschen, die hier beteiligt sind, wir wollen euch helfen. Das gibt es nicht."
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