Kreative Revolte
In Istanbul beschäftigten sich dieses Wochenende Wissenschaftler aus der Türkei und dem Ausland mit den neuen Formen gesellschaftlichen Protestes. Ihr Fazit: Noch nie war Widerstand in repressiven Staaten so originell und global.
Ein ungewöhnliches Schauspiel: Demonstranten umlagern den Dolmabahçe-Palast. Der letzte Sitz der osmanischen Sultane liegt direkt am Bosporus und ist eine der Touristenattraktionen der Stadt.
Doch heute sind Familien aus dem entlegensten Winkel der Türkei angereist. Sie strecken die Fotos von Kindern und jungen Männern gen Himmel. Ein junges Mädchen erzählt, dass Ihr Verlobter getötet wurde.
Es geht um einen schrecklichen Vorfall, der sich kurz vor Neujahr 2011 an der Grenze zum Nordirak zutrug. Am Abend des 28. Dezember starben 34 kurdische Kinder und Jugendliche bei einem Bombenangriff der türkischen Luftwaffe. Das Militär glaubte, Militante der kurdischen PKK zu jagen. Tatsächlich wollten die jungen Männer nur billiges Benzin aus dem Irak nach Hause schmuggeln.
Die Frauen beginnen zu singen. Immer mehr Menschen bleiben stehen. Sie erkundigen sich, was passiert ist. Neben dem osmanischen Palast wirken die kurdischen Familien wie ein Chor aus einer antiken Tragödie.
Zur gleichen Zeit debattieren Wissenschaftler über die weltweiten, neuen Ausdrucksformen gesellschaftlichen Protestes. Das Kulturzentrum Algier liegt mitten im Szeneviertel Beyoğlu, in direkter Nachbarschaft zu den überall aus dem Boden sprießenden neuen Galerien und Musikclubs in Istanbul.
Die Forscher suchen nach neuen Ansätzen zur Analyse moderner Oppositionsbewegungen. Alpaslan Nas von der Sabancı Universität in Istanbul untersucht eine Initiative, die das Folter-Gefängnis von Diyarbakır in ein Museum umwandeln möchte:
"Die Kurden-Politik der islamisch-konservativen Regierung wird plötzlich auf eine andere Akt und Weise hinterfragt."
Gedenkstätten, die eine Kritik an Staat und Militär üben, sind neu in der Türkei. In Ankara wurde 2011 ein ehemaliges Gefängnis für politische Gefangene in ein Museum umgewandelt. Für Diyarbakır erscheint das gleiche Projekt heute noch undenkbar. Die Stadt im Südosten der Türkei gilt als Hochburg der kurdischen Opposition. Die türkische Regierung plant den berüchtigten, seit Jahren leer stehenden Folterknast abzureißen. Soziologe Alparslan Nas stellt eine neue Form des Diskurses fest:
"Die Idee, ein Museum aus dem Gefängnis zu machen, hat dem normalen Bürger auf der Straße erreicht. Die Kurdenfrage wird plötzlich als allgemeines, gesellschaftliches Problem wahrgenommen und thematisiert."
Der arabische Frühling und die Occupy-Bewegung haben neue Ausdrucksformen hervorgebracht. Nicht nur im Nahen Osten, auch in Russland sind die Kreativen die Avantgarde des Protestes. Die Wiener Anthropologin Sigrid Schiesser ist bis nach Krasnodar in Südrussland gereist, um die dortige Straßenkunst-Szene zu erforschen:
"Es wird gefördert klassische Musik, Dichtung, Sport, Militär. Alles was irgendwie Subkultur ist oder wo die Jugendlichen mitgestalten können. Einen Off-Space oder ein Jugendzentrum, wo sie selber Wände gestalten können - das gibt es einfach nicht."
In Krasnodar gestalten die Sprayer kunstvolle Wandgemälde, das ist streng verboten und gerade deshalb ist es so attraktiv.
Weltweite Stars sind mittlerweile die Mitglieder der russischen Performance-Gruppe Pussyriots. "Heilige Mutter Gottes, befreie uns von Putin", sangen die Künstlerinnen bei einer Performance. Sie trugen bunte Strickstrumpfmasken und warfen sich in einer Moskauer Kathedrale auf den Boden.
"Gott ist Scheiße, Mutter Maria werde Feministin und befreie uns von Putin." Diese Spottverse gingen dem russischen Staatspräsidenten zu weit. Drei der Aktivistinnen von Pussyriots wurden festgenommen. Bis zum 24 Juni bleiben sie in Untersuchungshaft. Es drohen sieben Jahre Haftstrafe.
Doch Pussy Riots Lied begeistert die ganze Welt im Internet. Das Fazit der Istanbuler Konferenz: Noch nie war Protest so originell und global.
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Doch heute sind Familien aus dem entlegensten Winkel der Türkei angereist. Sie strecken die Fotos von Kindern und jungen Männern gen Himmel. Ein junges Mädchen erzählt, dass Ihr Verlobter getötet wurde.
Es geht um einen schrecklichen Vorfall, der sich kurz vor Neujahr 2011 an der Grenze zum Nordirak zutrug. Am Abend des 28. Dezember starben 34 kurdische Kinder und Jugendliche bei einem Bombenangriff der türkischen Luftwaffe. Das Militär glaubte, Militante der kurdischen PKK zu jagen. Tatsächlich wollten die jungen Männer nur billiges Benzin aus dem Irak nach Hause schmuggeln.
Die Frauen beginnen zu singen. Immer mehr Menschen bleiben stehen. Sie erkundigen sich, was passiert ist. Neben dem osmanischen Palast wirken die kurdischen Familien wie ein Chor aus einer antiken Tragödie.
Zur gleichen Zeit debattieren Wissenschaftler über die weltweiten, neuen Ausdrucksformen gesellschaftlichen Protestes. Das Kulturzentrum Algier liegt mitten im Szeneviertel Beyoğlu, in direkter Nachbarschaft zu den überall aus dem Boden sprießenden neuen Galerien und Musikclubs in Istanbul.
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Gedenkstätten, die eine Kritik an Staat und Militär üben, sind neu in der Türkei. In Ankara wurde 2011 ein ehemaliges Gefängnis für politische Gefangene in ein Museum umgewandelt. Für Diyarbakır erscheint das gleiche Projekt heute noch undenkbar. Die Stadt im Südosten der Türkei gilt als Hochburg der kurdischen Opposition. Die türkische Regierung plant den berüchtigten, seit Jahren leer stehenden Folterknast abzureißen. Soziologe Alparslan Nas stellt eine neue Form des Diskurses fest:
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In Krasnodar gestalten die Sprayer kunstvolle Wandgemälde, das ist streng verboten und gerade deshalb ist es so attraktiv.
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Doch Pussy Riots Lied begeistert die ganze Welt im Internet. Das Fazit der Istanbuler Konferenz: Noch nie war Protest so originell und global.
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