Lasst eure Kinder laufen!
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Die Tage können anstrengend werden, wenn Familien aufeinander hocken. Und dann sollen die Eltern auch noch Lehrer sein. Der Neurobiologe Gerald Hüther rät zur Entspannung – und zur Beschäftigung mit Dingen, die in kaum einer Schule gelehrt werden.
Viele Eltern sind derzeit überfordert – geschlossene Kitas und Schulen bedeuten nach Aktivitäten dürstende Kinder zu Hause, und das den ganzen Tag.
Der Neurobiologe Gerald Hüther beobachtet derzeit Eltern, die nun "in alte Muster zurückfallen" und "den großen Oberlehrer machen", mit ihren Kindern Schule simulieren und versuchen, die Strukturen vor der Krise aufrechtzuerhalten. Davon rät Hüther dringend ab. Er plädiert dafür, die Krise als Chance zu begreifen.
Erfahrungen fürs Leben ermöglichen
Eltern sollten nun die einmalige Chance ergreifen, mit ihren Kindern über Themen zu reden, die nicht in der Schule vermittelt würden, sagt der Neurobiologe und Sachbuchautor. Man könne die Kinder jetzt "in einer ganz neuen Situation erleben" und ihnen Erfahrungen ermöglichen, "die sie vielleicht für ihr ganzes Leben brauchen".
Viele Eltern hätten das Gefühl, die Kinder rund um die Uhr beschäftigen zu müssen, das sei aber ab einem gewissen Alter gar nicht notwendig, meint Hüther:
"Gucken Sie mal auf dem Dachboden oder in den Keller, was es noch an Gerümpel gibt. Und vielleicht finden Sie einen alten Wecker, da ist ein Junge einen halben Tag mit beschäftigt, den in seine Einzelteile zu zerlegen."
Noch schöner sei es, mit den Kindern etwas zu gestalten und aufzubauen. Am Anfang mache man das gemeinsam, und irgendwann machten es die Kinder dann alleine weiter, sagt Hüther. Sein Vorschlag: Eine Zimmerecke frei räumen, ein Theater bauen, Puppen selbst basteln, spielen.
Die schönsten Erfahrungen mit Kindern
"Das sind die schönsten Erfahrungen, die Sie mit Ihren Kindern machen können. Und da lernen die, wie man Handlungen plant, wie man die Folgen einer Handlung abschätzt, dass man den Impuls kontrolliert und auch mal ein bisschen Frust aushält. Und Mitgefühl, dieses wunderbare Gefühl, das wir jetzt alle füreinander brauchen. Dass man sich um den anderen kümmert und versucht herauszufinden, wie es dem geht. Kinder wollen das. Kinder wollen sich um andere Leute kümmern."
Hüther empfiehlt außerdem, den Kindern so viel Eigenständigkeit wie möglich zu gewähren. "Wenn Sie Kindern die Steine aus dem Weg räumen, dann werden sie nicht lernen, wie man über Steine hinweggeht", sagt er. "Die Kinder müssen da durch, sie müssen Probleme haben."
Übervorsichtige und ängstliche Eltern hinderten ihre Kinder daran, die für ihr Leben entscheidenden Erfahrungen zu machen, warnt der Neurobiologe. Man müsse gucken, dass die Rahmenbedingungen stimmten und die Kinder sich nicht verletzen könnten. Ansonsten: "Lassen Sie sie einfach mal ein bisschen laufen."
(ahe)