Krebsvorsorge

Doktor Fruchtfliege

Von Thomas Wagner |
Die Riech-Rezeptoren der unscheinbaren Fruchtfliege sind außerordentlich feinsinnig. Wissenschaftler entwickeln derzeit ein Gerät, mit dem sie diesen Geruchssinn zur Krebsfrüherkennung nutzen können.
"Vielleicht kennen Sie Arbeiten, bei denen Hunde trainiert wurden, um krebskranke Patienten zu unterscheiden von gesunden Patienten. Die Hunde können das mit relativ hoher Zuverlässigkeit. Aufgrund dieses Ergebnisses wissen wir, dass krebskranke Menschen ein bisschen anders riechen."
Oder andersherum gesagt: Krebszellen senden charakteristische, unverwechselbare Düfte aus. Das hat Professor Giovanni Galizia, Neurobiologe an der Universität Konstanz, auf eine wegweisende Idee gebracht: Nämlich durch das Erschnüffeln von Krebszellen die Frühdiagnose von Krebserkrankungen erheblich zu verbessern. Bellende Vierbeiner im Labor erscheinen ihm dafür allerdings eher ungeeignet.
"Eines der besten Labortiere ist die Fruchtfliege: Da kennen wir die Duftrezeptoren, also die Sinneszellen und die Moleküle, die in den Sinneszellen für die Duftwahrnehmung zuständig sind."
Das Labor der Neurobiologie an der Universität Konstanz: Ein Greifarm fährt mit einer Spritze über einen von 20 kleinen Glasbehälter, saugt daraus Flüssigkeit auf. Alja Lüdke, Mitarbeiterin im Forschungsteam, beobachtet das Ganze aufmerksam.
Die Fliege wird in der Metallplatte eingequetscht
"Also das ist ein Duftroboter, wo wir in dieser Halterung die einzelnen Duftfläschchen haben. Und dieser Roboter geht mit seiner Nadel in die einzelnen Duftfläschchen und zieht praktisch die Luft über diesem Duftgemisch auf und injiziert anschließend das Duftgemisch in den Schlauch, der den Duft dann hier vorne auf die Fliege pustet.“
Dabei bewegt sich der Greifarm auf eine winzig erscheinende Metallplatte zu – das "Herzstück" des Versuchsaufbaus, erklärt Daniel Münch als weiteres Mitglied im Forscherteam.
"In die Metallplatte ist ein klitzekleiner Schlitz gefräst. Und in diesen Schlitz wird quasi die Fliege mit ihrem Hals reingesteckt, reingeschoben, so dass der Kopf oben rausschaut."
Erst saugt der Duftroboter das Aroma aus einem der Probegläschen, dann wird die Fliege, eingezwängt in der Metallplatte, damit besprüht. Die Konstanzer Forscher blicken in diesem Augenblick aber nicht auf die Fliege, sondern auf einen Monitor. Dort erscheinen Farbmuster, die auf den ersten Blick an abstrakte Gemälde erinnern. Daran sehen die Wissenschaftler, welche Düfte die Fliege gerade schnuppert.
"Das Tolle, was wir eben bei der Fruchtfliege machen können, ist, dass wir viele dieser unterschiedlichen Typen an Riechzellen mit einem Farbstoff färben können. Dann können wir die Aktivität als Helligkeitsänderung detektieren",
erklärt Professor Daniel Münch. Die Düfte von Krebszellen erzeugen dabei ein charakteristisches Farb- und Helligkeitsmuster. Taucht dieses auf dem Monitor auf, heißt das für die Wissenschaftler: Krebsalam! Doch nicht nur das: Die Riech-Rezeptoren der Fruchtfliegen können die einzelnen Düfte überraschend fein unterscheiden. Damit lassen sich selbst die Zellen unterschiedlicher Krebsarten voneinander unterscheiden.
Später einmal könnten die Riechsensoren aus den Tieren entfernt werden
Immer wieder entnimmt der Greifarm des Duftroboters eine Probe, sprüht sie auf die Fliege. Da steckt viel Elektronik drin. Die alleine reicht aber nicht aus. Auf den richtigen Riecher kommt es an – auf den der Fruchtfliege, sagt Forscherin Alja Lüdke.
"Jedoch sind elektronische Nasen und Sensoren nicht ganz so sensitiv wie zum Beispiel die natürlichen Duftrezeptoren der Fruchtfliege. Deshalb versuchen wir, diese Vorteile der natürlichen Duftrezeptoren jetzt zu nutzen."
Und so könnte ausgerechnet die nur wenige Millimeter große Fruchtfliege einen entscheidenden Beitrag zur zukünftigen Früherkennung von Krebs beitragen. In Zusammenarbeit mit der Universität La Sapienza in Rom arbeiten die Forscher an der Entwicklung eines kompakten Analysengerätes. Vorstellbar wäre, die Riechsensoren der Fruchtfliege aus den Tieren zu entfernen und isoliert in einen Versuchsaufbau zu integrieren.
"Ich kann mir schon vorstellen, dass diese Forschung dahin führen kann, dass Atemtestgeräte entwickelt so ähnlich wie diese Alkoholtestgeräte, wo man einmal hinein pustet, und das Gerät gibt ein grünes Licht oder ein rotes Licht. Und das grüne Licht bedeutet: Wir entdecken nichts! Und das rote Licht bedeutet: Jetzt muss man da mal genauer hinschauen."
Kein Wunder, dass viele Krebsforscher und Mediziner den weiteren Fortgang des Projektes aufmerksam verfolgen. Zu ihnen gehört der Onkologe Professor Helmut Oettle , der bis heute an der Berliner Charité forscht. Er weist allerdings auf eine Schwierigkeit hin: Der Geruchscocktail eines Menschen sei um ein Vielfaches komplexer als die Düfte der Aroma-Proben im Reagenzglas.
"Da kommt eine Mischung von Störfaktoren hinein, die man jetzt erst einmal auseinander dividieren muss."
Deshalb, glaubt Onkologe Helmut Oettle, ist das Konstanzer Forschungsprojekt längst noch nicht reif für den klinischen Alltag.
"Das kann Jahre, möglicherweise Jahrzehnte dauern. Aber der Weg muss eben gegangen werden, um herauszufinden, ob das eine Chance wäre."
Mehr zum Thema