Kreditvergabe und Sündenfall
Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood untersucht in ihrem Essay "Payback" die Idee von Schuld. Dabei geht sie weit in die Geschichte zurück und zeigt, welche religiösen Ursprünge die Idee von Schuld hat. Biblischen Ursprungs ist auch ihre Idee, alle sieben Jahre ein Sabbatjahr einzurichten und alle Schulden zu vergeben.
"Es geht mir nicht um Schuldenberatung, Haushaltsdefizit, das monatliche Auskommen mit Geld, um Spielschulden oder Einkaufs-Sucht", erklärt Margaret Atwood. Der kanadischen Autorin geht es um Schuld als menschliche Erfindung. Und darum, wie dieses Konstrukt Gier und Angst des Menschen widerspiegelt und vergrößert.
In fünf Kapiteln folgt Atwood ihrer Faszination mit dem Schuldbegriff. Die begann, als in ihrer Kindheit verboten war, zu Hause über drei Dinge zu reden: Sex, Religion und Geld. In "Payback" geht Atwood der Frage nach, wie die beiden letzteren seit Jahrtausenden eng miteinander verwoben sind: Nicht nur, weil der christliche Glaube auf Schuld und deren Vergebung beruht. Oder weil Christen im Vaterunser beten "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." In der Sprache, die Jesus sprach, erklärt Atwood in einem Interview mit dem kanadischen Sender CBC, haben "Schuld" und "Sünde" den selben Ursprung.
"In Aramäisch ist es dasselbe Wort: Eine Schuld ist eine Sünde. Es ist eine Sündenschuld, eine Schuldsünde."
Die Ursprünge des Schuldbegriffs und die Notwendigkeit, aufgenommene Schuld zu bezahlen, liegen aus Atwoods Sicht deutlich vor der Geburt Jesu: in dem uns angeborenen Sinn für Gerechtigkeit, den auch Affen haben. Die Autorin zitiert aus einem Experiment, in dem Schimpansen eine Weile Kieselsteine gegen Gurkenstücke tauschten. Die unausgesprochene Handelsvereinbarung führte zu reibungslosem Austausch von Waren, bis ein Schimpanse für seinen Kiesel eine Traube bekam.
Margaret Atwood: "80 Prozent der Affen waren so verärgert, dass sie komplett aufhörten, zu tauschen. Sie hatten kein Vertrauen mehr in das System. Dasselbe passiert gerade weltweit in mega-ökonomischem Ausmaß. Die Menschen haben das Gefühl, dass Ungerechtigkeiten verübt wurden - manche bekamen Trauben, andere nicht mal ein Gurkenstück. Also haben sie aufgehört zu handeln."
Atwoods vertieft sich nicht in die genauen Ursachen und Folgen der Finanzkrise. Manchmal sind die Parallelen, die sie zwischen Tierwelt, Religion Literatur und Mythologie einerseits und der aktuellen Schuldendynamik andererseits zieht, mehr abenteuerlich als wissenschaftlich fundiert. Doch zu einer unumstößlichen Erkenntnis führt ihre unterhaltsame Erforschung des Begriffs der Schuld von ägyptischen Gottheiten über den Kaufmann von Venedig, Faust und Mephisto, Madame Bovary und Geizhals Scrooge aus Charles Dickens "Weihnachtslied":
"Es kommt immer der Moment, wo Schuld bezahlt werden muss. Sonst würde niemand seine Rechnungen zahlen. Schulden müssen fällig werden."
Atwood stellt in "Payback" die Frage: Was ist die größere Sünde: Schulden aufzunehmen oder Schulden zu gewähren? Auf die Literatur übertragen heißt das: Wer trägt mehr Schuld: Faust, der Mephisto seine Seele verspricht für die Erfüllung seiner Wünsche auf Erden? Oder Mephisto, der diesen Handel akzeptiert? In der US-Hypothekenkrise heißt die Frage: Trifft die Menschen, die zu große Kredite aufgenommen haben, die größere Schuld, oder die Banken, die sie ihnen gewährten?
"Schulden zu haben, ist nicht unbedingt eine Sünde. Erst in dem Moment, wenn man sie nicht bezahlt. Besonders, wenn es eine Mega-Schuld ist. Sünde im Sinne von 'moralisch falsch' ist, was anderen weh tut. Diese großen Schulden betreffen viele Menschen - wie beim aktuellen Zusammenbruch des Systems."
Atwood kommt zu der Schlussfolgerung: für beide Seiten des Handels ist es befreiend, Schuld zu vergeben und macht einen provokanten Vorschlag: "Was wäre" schreibt sie "wenn wir, wie in der Bibel im 3. Buch Mose geschrieben, alle sieben Jahre ein Sabbatjahr einrichten, in dem alle Geldschulden vergeben werden? Und alle 50 Jahre ein biblisches Jubeljahr, indem auch die Akkumulation von Reichtum rückgängig gemacht wird?" Die Kanadierin erfindet zur Illustration dieses Gedanken einen Scrooge, der über den bekehrten Geizhals von Dickens hinauswächst und sich darauf besinnt, worin nach Atwoods Ansicht des Menschen größte Schuld liegt - im Ausbeuten der Natur:
"Mein dritter Scrooge schafft das. Er versteht, dass er nicht nur seinen Mitmenschen etwas schuldig ist, sondern dem Planeten, auf dem er lebt."
"Das alles mag für viele klingen wie tränenreiches Idealismus-Geschwätz für Menschen, die an Märchen glauben", gibt Atwood in "Payback" zu. Doch auch für Realisten hat sie nach ihrer spannenden Reise zu den Wurzeln unseres Systems aus Schuld und Kredit, Sünde und Vergebung einen Denkanstoß: "Vielleicht müssen wir alles anders addieren, subtrahieren und messen", schreibt sie am Ende ihres Buches. Und weiter: "Vielleicht müssen wir sogar ganz andere Dinge addieren, subtrahieren und messen, um die wahren Kosten unseres Lebensstils zu berechnen."
In fünf Kapiteln folgt Atwood ihrer Faszination mit dem Schuldbegriff. Die begann, als in ihrer Kindheit verboten war, zu Hause über drei Dinge zu reden: Sex, Religion und Geld. In "Payback" geht Atwood der Frage nach, wie die beiden letzteren seit Jahrtausenden eng miteinander verwoben sind: Nicht nur, weil der christliche Glaube auf Schuld und deren Vergebung beruht. Oder weil Christen im Vaterunser beten "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." In der Sprache, die Jesus sprach, erklärt Atwood in einem Interview mit dem kanadischen Sender CBC, haben "Schuld" und "Sünde" den selben Ursprung.
"In Aramäisch ist es dasselbe Wort: Eine Schuld ist eine Sünde. Es ist eine Sündenschuld, eine Schuldsünde."
Die Ursprünge des Schuldbegriffs und die Notwendigkeit, aufgenommene Schuld zu bezahlen, liegen aus Atwoods Sicht deutlich vor der Geburt Jesu: in dem uns angeborenen Sinn für Gerechtigkeit, den auch Affen haben. Die Autorin zitiert aus einem Experiment, in dem Schimpansen eine Weile Kieselsteine gegen Gurkenstücke tauschten. Die unausgesprochene Handelsvereinbarung führte zu reibungslosem Austausch von Waren, bis ein Schimpanse für seinen Kiesel eine Traube bekam.
Margaret Atwood: "80 Prozent der Affen waren so verärgert, dass sie komplett aufhörten, zu tauschen. Sie hatten kein Vertrauen mehr in das System. Dasselbe passiert gerade weltweit in mega-ökonomischem Ausmaß. Die Menschen haben das Gefühl, dass Ungerechtigkeiten verübt wurden - manche bekamen Trauben, andere nicht mal ein Gurkenstück. Also haben sie aufgehört zu handeln."
Atwoods vertieft sich nicht in die genauen Ursachen und Folgen der Finanzkrise. Manchmal sind die Parallelen, die sie zwischen Tierwelt, Religion Literatur und Mythologie einerseits und der aktuellen Schuldendynamik andererseits zieht, mehr abenteuerlich als wissenschaftlich fundiert. Doch zu einer unumstößlichen Erkenntnis führt ihre unterhaltsame Erforschung des Begriffs der Schuld von ägyptischen Gottheiten über den Kaufmann von Venedig, Faust und Mephisto, Madame Bovary und Geizhals Scrooge aus Charles Dickens "Weihnachtslied":
"Es kommt immer der Moment, wo Schuld bezahlt werden muss. Sonst würde niemand seine Rechnungen zahlen. Schulden müssen fällig werden."
Atwood stellt in "Payback" die Frage: Was ist die größere Sünde: Schulden aufzunehmen oder Schulden zu gewähren? Auf die Literatur übertragen heißt das: Wer trägt mehr Schuld: Faust, der Mephisto seine Seele verspricht für die Erfüllung seiner Wünsche auf Erden? Oder Mephisto, der diesen Handel akzeptiert? In der US-Hypothekenkrise heißt die Frage: Trifft die Menschen, die zu große Kredite aufgenommen haben, die größere Schuld, oder die Banken, die sie ihnen gewährten?
"Schulden zu haben, ist nicht unbedingt eine Sünde. Erst in dem Moment, wenn man sie nicht bezahlt. Besonders, wenn es eine Mega-Schuld ist. Sünde im Sinne von 'moralisch falsch' ist, was anderen weh tut. Diese großen Schulden betreffen viele Menschen - wie beim aktuellen Zusammenbruch des Systems."
Atwood kommt zu der Schlussfolgerung: für beide Seiten des Handels ist es befreiend, Schuld zu vergeben und macht einen provokanten Vorschlag: "Was wäre" schreibt sie "wenn wir, wie in der Bibel im 3. Buch Mose geschrieben, alle sieben Jahre ein Sabbatjahr einrichten, in dem alle Geldschulden vergeben werden? Und alle 50 Jahre ein biblisches Jubeljahr, indem auch die Akkumulation von Reichtum rückgängig gemacht wird?" Die Kanadierin erfindet zur Illustration dieses Gedanken einen Scrooge, der über den bekehrten Geizhals von Dickens hinauswächst und sich darauf besinnt, worin nach Atwoods Ansicht des Menschen größte Schuld liegt - im Ausbeuten der Natur:
"Mein dritter Scrooge schafft das. Er versteht, dass er nicht nur seinen Mitmenschen etwas schuldig ist, sondern dem Planeten, auf dem er lebt."
"Das alles mag für viele klingen wie tränenreiches Idealismus-Geschwätz für Menschen, die an Märchen glauben", gibt Atwood in "Payback" zu. Doch auch für Realisten hat sie nach ihrer spannenden Reise zu den Wurzeln unseres Systems aus Schuld und Kredit, Sünde und Vergebung einen Denkanstoß: "Vielleicht müssen wir alles anders addieren, subtrahieren und messen", schreibt sie am Ende ihres Buches. Und weiter: "Vielleicht müssen wir sogar ganz andere Dinge addieren, subtrahieren und messen, um die wahren Kosten unseres Lebensstils zu berechnen."