Kreis Siegen-Wittgenstein

Vom Reiz des Durchschnitts

Schneebedeckte Fachwerkfassaden im Kreis Siegen-Wittgenstein
Schneebedeckte Fachwerkfassaden im Kreis Siegen-Wittgenstein © picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Von Michael Frantzen |
Der Durchschnitt vom Durchschnitt ist im Kreis Siegen-Wittgenstein zu finden. Sagt jedenfalls der Prognos Zukunftsatlas, in dem 402 kreisfreie Städte und Landkreise analysiert werden. Keiner ist durchschnittlicher als ... genau.
Wolfgang Suttner: "Wir nähern uns jetzt der Tango-Welt. Wir gehen jetzt ins Foyer vom Lyz. Unser großes Theater. Und heut is hier ein Tango-Abend."
Der Durchschnitt – in Siegen-Wittgenstein tanzt er Tango. So wie jeden Montag-Abend. Wolfgang Suttner runzelt die Stirn. Tango – das ist nicht so seins. Der Kulturdezernent der Kreisstadt Siegen hat mal wieder Überstunden gemacht, bis vor ein paar Minuten saß er noch zwei Stockwerke höher in seinem Büro, dem ehemaligen Hausarbeitsraum des alten Mädchen-Lyzeums, und brütete über irgendwelchen neuen Projekten. Soll schließlich vorangehen – im laut Prognos-Institut durchschnittlichsten aller deutschen Kreise.
"Das hab ich mitgekriegt. Ja. Ja?! Is ja schon mal gut, ein durchschnittlicher Kreis zu sein. Da fällt man nicht so auf. Da kann man machen, was man will."
Suttner hat eine ganze Menge gemacht in den letzten 20 Jahren. "Kultur Pur" etwa – ein jährlich stattfindendes Festival. Oder das "Kabarett im Lyz" etabliert. Dieter Nuhr hatte hier einen seiner ersten Auftritte, gerade erst waren Sebastian Pufpaff und Sissi Perlinger da. Die Champions League des deutschen Kabaretts gibt sich im südlichsten Zipfels Nordrhein-Westfalens, hinter den Bergen, die Klinke in die Hand: Andere würden das groß an die Glocke hängen, es auf Facebook, Twitter oder Gott-weiß-wo posten: Doch Suttner lässt das kalt. Die Leute kommen auch so. Zuweilen sogar von ganz weit weg.
"Hier sieht man noch...das liegt natürlich noch da: Das ist die Pressemappe der Ausstellung. Paul McCartney Painting. Wo wir weltweit...Hier! Wo ist das gewesen?! The Guardian, näh?! Guck mal: The Guardian!"
Die Beatles-Legende in Siegen mit ihrer Malerei: Ist zwar schon eine Weile her, doch noch immer kann sich Wolfgang Suttner wie ein kleiner Junge über seinen bislang größten Scoop freuen. Da haben sie alle nicht schlecht gestaunt: Die Kollegen in den Kulturmetropolen, in Köln, Berlin, London. Dass es einen Superstar wie McCartney ausgerechnet in die westdeutsche Provinz zog – zu Herrn und Frau Mustermann, nur mit dem Unterschied, dass sie in der Gegend rund um das Rothaargebirge vorzugsweise Dickel, Krämer und Treude heißen.
Suttner: "Paul McCartney hat mir damals gesagt, ich mache das gerne in Siegen. Weil ich komme aus Liverpool. Das is ne Stahl-Stadt, das is quasi Provinz. Bei euch is auch ne Stahl-Standort. Is auch... Provinz. Und warum soll ich in irgendein großes Museum gehen: Ich bin kein berühmter Künstler, ich will das einfach mal präsentieren."
War ein großer Publikumserfolg, auch wenn ein paar Kritikern nörgelten: Das würde ja passen: Ziemlich durchschnittliche Kunst in der so ziemlich durchschnittlichsten Ecke Deutschlands auszustellen. Wolfgang Suttner hebt die Hände. Die alte Leier. Siegen-Wittgenstein als Kreis gewordenes, gesichtsloses Mittelmaß – dieses Label macht dem Kulturdezernenten nicht erst seit der Veröffentlichung des Prognos-Zukunftsatlasses vor gut zwei Jahren zu schaffen. Ist ja auch einiges schief gelaufen in den letzten vier, fünf Jahrzehnten – vor allem in Siegen, der Stadt mit den knapp 100.000-Einwohnern und dem Image-Problem. Zu viele Bausünden, zu viel Beton, zu viel Verkehr. Und nach neun werden die Bürgersteige hochgeklappt: Fehlt doch noch, meint Suttner schnaufend. Er hat das alles schon hundert Mal gehört – genau wie die rhetorische Frage: Was ist schlimmer als Verlieren? Siegen natürlich.
"Siegen is ja schon... Siegen: Die Stadt, auch vielleicht das Umland, hat schon nen gewissen Minderwertigkeitskomplex. Dass man zu sehr in der Provinz lebt. Aber: Es gibt viele deutsche Städte oder Umländer von Städten, ich weiß nich: Villingen-Schwenningen ist, glaub ich, die erfolgreichste Industrieregion Deutschlands, wir sind die dritterfolgreichste Industrieregion. Kennt doch keiner. Das ist für Deutschland spezifisch. Deutschland besteht aus Provinz."
Rund hundert Leute arbeiten für Suttner im Kulturbereich. Die Kommune und der Kreis sind wichtige Arbeitgeber für die knapp 275.000 Einwohner Siegen-Wittgensteins, noch wichtiger aber sind kleine und mittelständische Familien-Betriebe.
Suttner: "Ich kenn nen Unternehmen, wo 500, 600 Leute arbeiten. Wo die Chefin selbst noch raus fährt und sagt: So, da is einer krank, den besuch ich. Und das ist das Kapital. Die Menschen sind hier das ganz große Kapital."
"Wir gehen einmal runter. Wir müssen uns noch kurz Helme besorgen."
Der Durchschnitt in Siegen-Wittgenstein – er tanzt nicht nur Tango. Manchmal trägt er auch Hosenanzug und Helm. Melissa Sassmannshausen, Marketingleiterin der "EEW Group", lacht. Das mit dem Helm ist reine Vorsichtsmaßnahme.
"Hier dieses Schweiß-Verfahren: Die Schweiß-Anlagen: Was man hier sieht: Das ist so eines der Herzstücke der Produktion. Das Schweißen ist letztlich unsere Kernkompetenz."
Größer, weiter, höher: Wo immer Konstrukteure bauliche Superlative planen, spielen die Stahlrohre des Familienunternehmens aus Erndtebrück eine tragende Rolle. Hauptabnehmer sind die Öl- und Gasindustrie – und seit einigen Jahren Offshore-Windkraft-Betreiber. Macht im Jahr: 800.000 Tonnen Stahlrohre bei einem Umsatz von 700 Millionen Euro.
"Definitiv sind wir einer dieser Hidden Champions. Hidden Champions werden ja letztendlich dadurch gekennzeichnet, dass sie in der Öffentlichkeit nicht so präsent sind. Beziehungsweise mit ihren Produkten ja eher versteckt Marktführer sind. Ich denke, dadurch, dass der Wirtschafts-Standort Siegen-Wittgenstein nicht zu den allerpopulärsten gehört, sind wir da eben versteckt marktführend."
Sonderlich tragisch nehmen das weder die Geschäftsführung noch die Marketing-Frau. Sassmannshausen schaut entgeistert. Reicht ja, dass die Geschäfte gut laufen und sich der Einstieg in die erneuerbaren Energien bezahlt gemacht hat. Natürlich haben sie bei EEW auch von der Studie gehört; dass Siegen-Wittgenstein der durchschnittlichste Kreis Deutschlands sein soll. Für viel Gesprächsstoff hat es nicht gesorgt, meint Sassmannshausen lapidar. Sie selbst hätte sich nur gedacht: Die goldene Mitte?! Ist doch gar nicht so schlecht.
"Es ist einerseits nen Kompliment. Ich denke, Durchschnitt is jetzt in dem Sinne nicht schlecht. Andererseits haben wir sehr viele Aspekte, wo man sagen würde, Wittgenstein wäre letzten Endes überdurchschnittlich. Zumindest in den Bereichen Wirtschaft."
Über 20 versteckte Weltmarktführer gibt es im Kreis Siegen-Wittgenstein. Egal ob Röhrenhersteller oder Schraubenproduzenten: Innerhalb von ein, zwei Generationen haben hier einzelne Mittelständler im Kleinen geschafft, was den Großen im Ruhrgebiet – RWE, Thyssen-Krupp und wie sie alle heißen - bis heute nicht richtig gelingen will: Der Strukturwandel. Sich anpassen; strategisch vorgehen; schnell handeln: So lautet Sassmannshausens Mantra. Gibt ja auch ständig neue Herausforderungen.
"Wir merken in der Region einfach auch den demografischen Wandel. Dass nich mehr so viele junge Leute dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Hier muss man ganz eindeutig sagen, dass gerade hier in der Region der Kampf um junge Fachkräfte absolut entbrannt ist. Wir gehen in die Schulen, präsentieren unsere Ausbildungs-Möglichkeiten."
Bis zu 25.000 weniger Menschen – so lautet die Prognose für den Kreis Siegen-Wittgenstein für das Jahr 2040. Umso wichtiger, dass die jungen Leute bleiben – und nicht in die Großstadt gehen, wie einige von Sassmannshausens Bekannten. Drei Jahre hat sie in Gießen Betriebswirtschaftslehre studiert. Keine schlechte Zeit, meint die 24jährige. Doch ihr sei schon früh klar gewesen, dass sie zurück nach Erndtebrück wollte. In die alte Heimat; ab vom Schuss.
"Christoph Schorge, unser Miteigentümer des Unternehmens, vergleicht das immer so: Es gibt wahrscheinlich keinen schlechteren Standort in Deutschland außer der Zugspitze für die Produktion von Stahlrohren. Von Erndtebrück benötigen wir circa 30 Minuten bis zur nächsten Autobahn. Das ist definitiv ein Standortnachteil."
Schäfer: "Wir haben hier viele Eigentümer-geführte Unternehmen, die haben ne starke Identität mit ihrer Region, mit ihrem Standort."
... ergänzt Michael Schäfer, der Leiter der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung des Kreises Siegen-Wittgenstein.
"Die tun sich dann natürlich auch etwas schwer zu wechseln. Und das ist Gott sei Dank so. Wir haben keine Aktien- oder kaum Aktien-geführte Unternehmen, wo Unternehmens-Entscheidungen in Düsseldorf, Hamburg, Dortmund oder sonst wo getroffen werden. Sondern: Hier fallen die Unternehmens-Entscheidungen vor Ort."
(Schäfer schenkt Mineralwasser ein) "Ein Produkt der Frische."
Das einheimische Mineralwasser "57". Die Zahl, erklärt Schäfer, ein jovialer Typ mit zupackendem Händedruck, steht für den Prozentanteil, den die Sprudelproduzenten, zwei Siegerländer Jung-Unternehmer, vom Gewinn an soziale und humanitäre Projekte spenden. Verkauft sich gut, sogar in Läden im fast hundert Kilometer entfernten Köln. Eine Erfolgsgeschichte made in Siegen-Wittgenstein – das ist ganz nach dem Geschmack des Kreis-Wirtschaftsförderers. Irgendwelche Durchschnittswerte weniger.
"Das kann eigentlich nicht sein. Wir sind besser als der Durchschnitt. (lacht) Allein das Thema Erwerbslosigkeit in der Region: Wir sind seit Jahren im Lande Nordrhein-Westfalen unter den ersten drei Regionen mit der geringsten Arbeitslosenquote."
Strünck: "Eine Aussage wie: Wir sind absolut durchschnittlich, möchte keiner gerne hören."
... diagnostiziert Christoph Strünck, Soziologie-Dozent an der Universität Siegen. Es ist Dienstag-Mittag, kurz nach zwölf. Der Mittvierziger kommt gerade von seinem Seminar über Wohlfahrtsverbände. Unten auf dem 80er-Jahre-Campus stehen die Studierenden in der Mensa Schlange. Oben, im zweiten Stock des Gebäudes "AR – C", packt Strünck seine Tasche zur Seite und gesellt sich zu Karl Marx und Barack Obama. Die knallrote Miniaturbüste des sozialistischen Übervaters hat er von einem Besuch in Marx Geburtsstadt Trier mitgebracht, den Plastik-Obama von einem Trip in die Vereinigten Staaten:
"Ein amerikanischer Präsident, der sogar noch sprechen kann, wenn man den kleinen Knopf drückt." (Obama-Figur fängt an zu reden)
Ist Barack Obama ein überdurchschnittlicher Präsident? Oder nur Durchschnitt? Interessante Frage – meint Christoph Strünck.
"Der Durchschnitt is ja immer eine der großen Zahlen in der Sozialwissenschaft. Wir wollen immer wissen: Wie ist die durchschnittliche Arbeitslosenquote? Wie ist das durchschnittliche Familienbild? Was man dabei vergisst, ist, dass wir auch immer die sogenannte Streuung haben. Wir haben dann die Extreme. Der Durchschnitt ist eben eine künstliche Zahl. Insofern ist der Durchschnitt auch immer eine Zahl, die man mit großer Vorsicht genießen muss."
Der Kreis Siegen-Wittgenstein: Purer Durchschnitt: Der Soziologe hält das für fragwürdig. Weil: Wissenschaftlich nicht haltbar. Einerseits. Andererseits: Wenn man das Label "durchschnittlich" mit "repräsentativ" ersetzen würde, erklärt Strünck, sehe die Sache schon anders aus.
"Das Siegerland spiegelt zugleich die Stärken und Schwächen des deutschen Wirtschafts-Modells. Denn es ist hier eine sehr stark Export-orientierte Industrieproduktion. Auch diese Bedeutung von kleinerer und mittlerer Industrie ist ganz wichtig für das deutsche Export-Modell. Da entstehen ja auch die meisten Arbeitsplätze. Aber: Wenn international irgendwann sich die Länder erkälten, dann wird es auch hier schwerwiegende Symptome in Siegerland geben."
Noch ist es nicht so weit, liegt die Arbeitslosigkeit im Kreis bei 5,4 Prozent – sprich niedriger als im Bundesdurchschnitt, vom NRW-Schnitt ganz zu Schweigen. Noch funktioniert das Export-orientierte Siegerländer Industrie-Modell. Die Frage ist nur: Wie lange noch? Christoph Strünck zuckt die Schultern. Wird sich zeigen. Der Soziologe schnappt sich seine Tasche. Die nächste Lehrveranstaltung ruft – und damit der Durchschnitt. Durchschnitt sind nämlich die meisten seiner Studierenden. 10, 15 Prozent sind extrem gut, derselbe Anteil extrem schlecht – und der große Rest: Durchschnittlich. Alles empirisch belegt, meint der Soziologe lachend. Anders als die Sache mit dem durchschnittlichsten Kreis Deutschlands:
"Ich glaube viel mehr, dass das Siegerland eine Region der Besonderheiten ist. Und das zeigen ja sogar einzelne Kennziffern: Es gibt eben eine überdurchschnittliche Arbeitsmarkt-Entwicklung. Es gibt einen überdurchschnittlichen Anteil von Industrie. Wir haben hier das größte zusammenhängende Waldgebiet in Deutschland."
Altrogge: "Wir haben auch schon Leute gehabt, die gesagt haben: Es is nich so schön bei euch. Ich sagte: Warum? Es is uns zu still."
Der Durchschnitt in Siegen-Wittgenstein: Er tanzt nicht nur Tango und hat den Helm auf: Mitunter trägt er auch grün und liebt die Abgeschiedenheit.
Altrogge: "Sie hören ja hier nichts. Keine Kirche. Manchmal ganz weit weg nen Flugzeug. Fährt kein Auto hier rum."
Muss man mit umgehen können. Diethard Altrogge, der Leiter des Regionalforstamtes Siegen-
So oft es geht, schaut Altrogge, der ungefähr so aussieht, wie man sich immer schon einen Förster vorgestellt hat, in Hohenroth vorbei - dem alten Forsthaus, dem Wildgehege, dem Staatsforst ringsherum.
"Die Lärche is da. Douglasie. Fichte. Tanne. Ahorn. Esche. Buche. Alle da."
In Deutschlands waldreichstem Kreis. Knapp 70 Prozent Wald, über 80.000 Hektar – das ist Rekord – und alles andere als durchschnittlich. Der Forstmann nennt es "das natürliche Kapital des Kreises". Wenn man so will, schaut sich Deutschland hier ins eigene Gesicht – das grüne. Altrogge kann einem das ziemlich gut plausibel machen. Der Wald sei ein bisschen wie unsere Gesellschaft heute: Es gebe die Alteingesessenen, sprich: Buche und Eiche; Zugezogene wie die Douglasie; und die graue Masse: Fichte.
"Das ist so. Also Rein-Bestand. Und unsere Betreuung geht auch dahin, bei den Waldbesitzern das Laubholz mehr einzubringen, die Fichte auch nicht über Kahlschlag zu bewirtschaften. Wenn es nen ganz kleiner bäuerlicher Privatwald is: Ein Hektar, zwei Hektar. Dann wird irgendwann die alte Fichte geerntet über Kahlschlag. Und dann wird ne Hochzeit gefeiert. Oder nen Trecker gekauft. Das Auto kommt in die Inspektion. Oder wird nen Haus angebaut. Alles OK. Und dann wird wieder aufgeforstet, aber auch immer dann wieder mit Fichte."
Dauert halt seine Zeit, bis sich ein Siegerländer Waldbauer auf etwas Neues einlässt – hat Altrogge, der Zugezogene, feststellen müssen. Der Förster stammt aus dem Weserbergland, als Referendar kam er nach Siegen-Wittgenstein. Über dreißig Jahre ist das jetzt her.
"Ich wollte als Referendar auch gar nicht mehr hierhin zurück. Das war mir einfach hier zu schroff. Zu steil. Und dieser Menschenschlag. Schon eigenartig. Eigensinnig. Aber irgendwann hat's Klick gemacht und dann fand ich's klasse hier. Dann bin ich hiergeblieben."
In Nordrhein-Westfalens grüner Oase. Die Luft ist klar, das Wasser weich, der nächste Nachbar: Manchmal Kilometer weit entfernt. Kein schlechtes Umfeld um Kinder groß zu ziehen – fand Altrogge. Er hat drei: Zwei Töchter und einen pubertierenden Sohn. Die Mittlere hat gerade im Forstamt ein Praktikum gemacht. Die Große studiert in Marburg. Von ihr stammt auch die Wackelfigur auf seinem Schreibtisch.
"Das is Einstein. Der mit ständig den Vogel zeigt. Also nach dem Motto: Hör mal auf zu denken. Entspann mal. (lacht) Lass mal sein."
Der Durchschnitt – er tanzt immer noch Tango. Wolfgang Suttner schaut auf seine Armbanduhr. Kurz vor zehn: Die sechs, sieben Pärchen scheinen heute einen besonders langen Atem zu haben. Siegens Kulturdezernent steuert den Ausgang des Lyz an – ehe er im Treppenhaus des alten Mädchen-Gymnasiums vor einem Poster stehen bleibt. Es ist eine Reproduktion des bekanntesten Gemäldes von Paul McCartney, von der Ausstellung damals. Darauf zu sehen ist: David Bowie.
"David Bowie beim Kotzen. Oder: David Bowie is puking. Das war eins der Star-Bilder der Ausstellung. Und damals hat er gesagt: Meinst du, ich sollte Bowie fragen? Das Bild geht ja um die Welt. Hat er ihn gefragt. Und hat gesagt: Lieber David...die mögen sich nich...ich hab dich beim Kotzen gemalt. Und...(lacht) da hat er ihm geantwortet: Und ich hab dich beim Pissen gezeichnet." (lacht)
Auch nicht gerade durchschnittlich – das Verhältnis der Herren McCartney und Bowie. Suttner lacht. Die ach so durchschnittliche Provinz – sie hütet mehr Geheimnisse als gedacht.
"Es ist ja interessant, dass sich Deutschland eben nich nur in nen paar Zentren: Rhein-Ruhr-Raum oder Berlin artikuliert, auch kulturell, sondern auch auf dem flachen Land. Das heißt, im ländlichen Raum in Deutschland wird unglaublich viel gemacht. Und es ist ja sogar so, dass der ländliche Raum in vielen Punkten auch Experimentalraum is für Kultur."
In deutschen Landen im Allgemeinen – und in Siegen-Wittgenstein im Speziellen, der gar nicht so durchschnittlichen Heimat von Wolfgang Suttner und CO.
(Suttner läuft durch das Lyz)
(Hausmeister ruft:) "Wolfgang?!
Ja?!
Machst du das Licht aus?
Ja, klar."