Ein Schiff wird kommen
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Weißer Strand, türkises Wasser: Die mosambikanische Insel Inhaca ist ein Paradies. Das hat auch die Kreuzfahrtgesellschaft MSC erkannt und steuerte bis März ihre Schiffe dorthin. Dann kam Corona und mit der Krise überraschend eine neue Chance.
Über den weißen Strand der Ilha dos Portugueses fegt ein leichter Wind. Sand wirbelt durch die Luft, schon um acht Uhr morgens ist die Sonne unerträglich warm. Hier, auf dieser kleinen Insel vor der Küste Mosambiks, im Südosten Afrikas.
Unter Sonnensegeln breiten Verkäufer Schnitzereien und Schmuck aus. Frauen reihen Tücher an langen Leinen auf, junge Männer stellen hektisch Bier und Limonade in mit Eis gefüllte Kühlboxen. Seit Stunden laufen die Vorbereitungen. Alles soll bereit sein, wenn gleich die Touristen kommen. Es ist Samstag, Anfang Dezember 2019. Samstag ist Kreuzfahrttag. In wenigen Stunden wird ein schneeweißes Kreuzfahrtschiff der Firma MSC am Horizont zu sehen sein.
"Ich bin Hermengeldo Chongo, ich bin hier geboren. Seit 14, 15 Jahren arbeite ich auf eigene Rechnung. Früher habe ich Bier für meinen Vater verkauft. Später habe ich dann angefangen, Kleidung zu verkaufen. Verschiedene Kleidungsstücke, Hemden. Wenn die Touristen hier auftauchen, versuchen wir unser Glück."
Eine Strandbar nur für Touristen
Hermengeldo Chongo ist 35 Jahre alt, ein bulliger Mann. Unter dem schwarzen Tanktop zeichnet sich ein muskulöser Oberkörper ab, er trägt Ziegenbart, sein Blick ist weich. Chongo steht an seinem Verkaufsstand, um ihn herum wirbeln Dutzende Batiktücher im Wind. Wie alle Marktverkäufer lebt er auf der Hauptinsel Inhaca, nur ein paar hundert Meter entfernt. Die Ilha dos Portugueses selbst ist unbewohnt.
"Alles, was ich bisher in meinem Leben erreicht habe, habe ich dank MSC geschafft. Ich habe ein kleines Haus auf Inhaca, eine kleine Wohnung in Maputo. Ich habe kein Auto, aber immerhin ein Dach über dem Kopf. Meine Kinder haben zu Essen. Dank MSC konnte ich sogar heiraten. Jeder kann es soweit bringen. Hier gibt es für jeden etwas zu tun."
MSC steht für Mediterranean Sea Company, die zweitgrößte Reederei der Welt. Ihre Kreuzfahrtschiffe steuern auf ihrer Südostafrika-Route auch die Ilha dos Portugueses an. Genauer gesagt: die eigene MSC-Lodge auf der Insel. Vor ein paar Jahren hat das Unternehmen hier einen großen Beachclub errichtet. Hier sollen die Kreuzfahrttouristen essen, trinken, feiern, entspannen. Nur wer bei MSC angestellt ist – als Bademeister, als Servicekraft – hat Zutritt. Die Marktverkäufer müssen draußen bleiben. Dafür sorgt eigenes Sicherheitspersonal.
Keine Besucher, kein Geschäft
Gegen zehn Uhr ist es soweit. Am Horizont: ein gigantisches Schiff. Im Schneckentempo schiebt es sich Richtung Insel. Aus der Ferne sieht es aus wie ein schwimmender Plattenbau mit Dutzenden Etagen. Auf dem Rumpf des Schiffes steht in dunkelblauer Farbe MSC, dahinter das Logo des Konzerns: ein Kompass.
Unruhe bricht aus. Junge Männer in neongelben MSC-Shirts schwingen sich in Schnellboote und steuern auf das Kreuzfahrtschiff zu. Die Spannung der 200 Marktverkäufer ist greifbar. Alle blicken gebannt zum Horizont. Nach ein paar Minuten drehen die Schnellboote ab, eines nach dem anderen, leer. Ratlosigkeit unter den Verkäufern. Nach und nach verbreitet sich die Nachricht: MSC lässt den Ausflug ausfallen. Für den Nachmittag sei ein Unwetter angekündigt. Kein Tourist wird an diesem Tag das Kreuzfahrtschiff verlassen.
Der weiße Gigant am Horizont dreht ab, zurück nach Durban, Südafrika. "Es ist ein verlorener Tag. Ich kann den Schaden noch nicht genau abschätzen, aber für mich ist er ziemlich groß. Ich habe Verpflichtungen meinen Lieferanten gegenüber. Sie erwarten Einnahmen, das lässt sich nicht einfach ersetzen. Jetzt können wir nur auf die nächste Woche hoffen."
Ein junger Mann, fast noch ein Kind, zerlegt seine aus Holzlatten provisorisch zusammengezimmerte Strandbar. Bier und Softdrinks wollte er verkaufen, doch daraus wurde nichts: "Wir haben viele Sachen hierhergeschafft und müssen sie jetzt irgendwie wieder zurückbringen. Manche von uns haben kein Geld für die Rückfahrt. Sie haben sich schon für die Hinfahrt welches geliehen und darauf gezählt, dass sie hier etwas verdienen können. Und alles wieder zurückzubringen, wird auch schwierig. Ich bin enttäuscht. Wir hatten viele Ausgaben, und jetzt wissen wir nicht, wie wir sie begleichen sollen."
Die Verkäufer packen ihre Waren wieder ein, schleifen ihre prallen Stofftaschen zum Wasser, wo kleine Taxiboote auf sie warten. Wir fahren mit dem letzten Taxiboot zurück zur Hauptinsel Inhaca. Die Fahrt durch das tiefblaue Wasser dauert nur wenige Minuten. Die Anlegestelle ist eine brüchige Landungsbrücke aus Beton, rostige Stahlträger ragen aus dem Wasser.
Eine hügelige Sandpiste gesäumt von Palmen führt ins Inselinnere von Inhaca. Etwa 6000 Menschen leben hier. Viele Häuser sind weiß-rot bemalt – die Farben der Regierungspartei FRELIMO. An ihren Fassaden kleben unzählige Wahlplakate von Präsident Filipe Nyusi. Er regiert Mosambik seit 2014.
Am Marktplatz stapeln Marktverkäuferinnen fein säuberlich Tomaten, Kartoffeln und Möhren vor sich auf den Tischen. Ringsherum reihen sich Bars und Restaurants. Es riecht nach gebratenem Fisch. Es ist früher Nachmittag und es sind kaum Gäste zu sehen.
Ausgebremstes Potenzial
Angelo Manguele, 34 Jahre alt, ist Besitzer der "Erca Bar", der größten Bar am Marktplatz. In Flip-Flops und Bermudashorts steht er am Tresen, in seiner Hand ein Glas Cola mit viel Eis. Angelo trägt ein graues T-Shirt, darauf steht in großen schwarzen Buchstaben: "Africa is the future." Die Zukunft ist Afrika.
Von den Decken hängen selbstgebaute Lampen aus alten Rettungsbojen. In der Erca-Bar sind an diesem Nachmittag zwei Gäste, beides Freunde von Angelo. Als er ihnen das Kokos-Curry serviert hat, nehmen wir Platz an einem der weißen Plastiktische. Nach der Schule zog Angelo in die Hauptstadt Maputo, lebte auch eine Weile im benachbarten Südafrika.
"Als ich zurückkam, hatte ich eine ganz neue Sicht auf die Dinge. Ich habe versucht, einiges zu verbessern. Das Restaurant, in dem wir uns heute treffen, ist eine Frucht davon. Auch wenn es nur eine kleine Bude mit Schilfdach ist, wache ich trotzdem morgens auf und sehe das Potenzial, die Ideen, die man hier umsetzen kann: Kochen, Tanzshows, Feste für die Community zu organisieren."
Eine gute Idee – doch die Kreuzfahrtgesellschaft MSC hatte andere Pläne. Die zahlreichen Touristen kamen nicht wie erhofft nach Inhaca, sondern blieben im eigens gebauten MSC-Beachclub auf der Nachbarinsel. Es war für die Touristen nicht länger nötig, Inhaca zu besuchen, bei Angelo Manguele und seinen Kollegen zu essen, zu Gast bei der Lokalbevölkerung zu sein.
Stattdessen muss Angelo nun Samstag für Samstag dabei zusehen, wie Freunde von ihm auf die Boote steigen, um auf dem Markt auf der Ilha dos Portugueses wenigstens etwas Geld zu verdienen. Inhaca ist dann wie ausgestorben, die Erca-Bar steht leer. "Auf mich wirkt das, als hätten sie sich in meinem Zuhause breit gemacht und hätten sich inmitten meiner Welt ihre eigene Welt erschaffen."
Zwei Milliarden Euro Umsatz
Angelo Manguele wirkt zunehmend aufgebracht, je länger wir uns über MSC unterhalten. Er raucht eine Zigarette nach der anderen und ist wütend auf MSC, aber auch auf sich selbst und die anderen Inselbewohner. Die Inselbevölkerung sei schlecht organisiert, sagt er, könne mit einem globalen Unternehmen wie MSC nicht auf Augenhöhe kooperieren.
"MSC ist ein großes Unternehmen. Was sagen sie uns? – Wir würden euch ja gerne helfen, aber dafür müsst ihr euch erst einmal organisieren. – Ein Unternehmen wie MSC kommt nicht nach Inhaca und bezahlt dann jeden einzelnen: den mit dem Auto, den mit dem Boot, den mit dem Restaurant. Was sie anbieten, sind Pakete. Wir brauchen also eine Organisation der Inselbewohner, die alles mit MSC abrechnet, und wir teilen das später unter uns auf. Aber momentan passt ihr System nicht zu unserem."
Mit MSC sieht sich die Insel Inhaca mit einem globalen Reisekonzern konfrontiert. MSC Cruises ist die weltweit größte Kreuzfahrtgesellschaft in privater Hand und der Marktführer in Europa, Südamerika und Südafrika. Seit 2004 sei das Unternehmen um 800 Prozent gewachsen, heißt es auf der Website von MSC. Im Jahr 2017 hat man rund zwei Millionen Gäste befördert und einen Umsatz von rund zwei Milliarden Euro erreicht.
Für Angelo Manguele ein ungleicher Kampf. "Ich bin überzeugt davon, dass sie in anderen Ländern, in Europa, wo sie auch Geschäfte machen, mit so etwas nicht davonkommen würden. Weil sie auf ein organisiertes Land treffen, das sagt: Unsere Bedingungen sind folgende. In unserem Land gelten unsere Bedingungen."
"Ein schmutziges Spielchen"
Am späteren Nachmittag fahren wir weiter ins Inselinnere, durch Mango- und Mangrovenwälder, entlang von Feldern, auf denen Männer und Frauen gebückt arbeiten. Wir sind verabredet mit dem Regulo von Inhaca, dem traditionellen Anführer der Lokalbevölkerung.
Ein kleiner, älterer Mann mit grauen Haaren kommt auf uns zu. Er trägt eine stattliche, hellbraune Uniform und begrüßt uns überschwänglich. Wir nehmen Platz auf einer auffällig neuen, prächtigen Holzterrasse. Unzählige reife Mangos hängen über unseren Köpfen. "In der Kolonialzeit war das hier ein totales Reservat. Das Einzige, was erlaubt war, war zu campen, ein paar Zelte für ein paar Tage, und danach musste alles wieder abgebaut werden. Ein Feuer machen, fischen, das alles war verboten. Und heute? Heute ist es für uns Einheimische immer noch verboten. Aber der Ausländer darf das. Und daher sage ich: Niemand sollte das tun. Aber mir hört niemand zu. Ich bin ein Nichts. Ich sage: Nein! Aber irgendjemand mit mehr Macht sagt: Mach doch!"
Der 72-jährige Regulo erzählt von den Versprechen, die MSC den Menschen von Inhaca gegeben habe. "Vor ein paar Jahren noch wollten sie hier Hotels eröffnen. Ich weiß nicht, warum daraus nichts wurde. Ein Hotel schafft ja viele Arbeitsplätze. Aber später dann haben sie nur die Lodge drüben auf Portuguese Island eröffnet. Das da drüben ist überhaupt keine Lösung für uns Einheimische. Das da drüben ist ein schmutziges Spielchen, wenn ich es so sagen darf: ein schmutziges Spielchen, das uns kein bisschen weiterhilft."
Weil die Sonne bereits bald untergeht und die Sandstraßen im Dunkeln noch schwer zu befahren sind, müssen wir allmählich aufbrechen. Der Regulo wirkt nachdenklich nach unserem Gespräch. "Manchmal finde ich nachts keinen Schlaf und denke darüber nach, was ich für mein Volk tun kann. Zu sehen, wie die Gemeinde leidet, macht mich sehr unglücklich. Ich bin schon alt, aber ich wünsche mir, dass meine Kinder und meine Enkel und meine Familie eines Tages sehen werden, wie diese Insel wieder zu strahlen beginnt, so wie ich sie früher strahlen sehen durfte. Das würde mich glücklich machen."
Seit März kaum Gäste wegen Corona
Acht Monate später, Juli 2020: Wir sitzen in einem Garten in Berlin, es ist Sommer. Die ganze Welt steckt mitten in einer Pandemie. An vielen Orten steht das Leben still. Reisen, vor allem Kreuzfahrtreisen, wirken plötzlich wie aus der Zeit gefallen. Auch auf Inhaca war seit März kein Schiff.
Wir rufen Angelo Manguele, dem jungen Barbesitzer, über Facetime an. Auch die Insel war im Lockdown, erzählt er. Aber die Situation sei entspannt, auf der Insel gebe es bislang keine Fälle. Angelo führt uns durch sein Restaurant. Kaum ein Gast ist zu sehen. Angelo klingt frustriert. Seit Monaten habe sich wegen der Reisebeschränkungen kein Tourist auf die Insel verirrt. Es gebe keine Jobs, die Bewohner von Inhaca gingen wieder Fischen und Felder bestellen.
"Wir versuchen gerade, ein neues Geschäft mit Touristen aus dem Inland aufzuziehen. Inlandstourismus ist das Einzige, was momentan funktioniert. Wir versuchen, die Preise zu drücken, sodass sich die Locals das auch leisten können. An den Wochenenden kommen schon manchmal ein paar Leute, aber nicht viele. Die Situation ist noch zu unsicher, die Leute haben Angst." Vor ein paar Tagen kam das mosambikanische Fernsehen nach Inhaca: ein Ausflugstipp für Coronazeiten – beste Werbung für Angelo und die anderen Gastronomen der Insel.
Bei unserem Besuch auf der Insel im Dezember 2019 landen wir an einem verregneten Tag unter der Woche im Restaurant Lucas, auf der anderen Seite des Marktplatzes, schräg gegenüber von Angelos Erca-Bar. Im Ort ist nicht viel los, alle haben sich in ihren Häusern verkrochen. Schwere Tropfen fallen vom Himmel und den Dächern.
Lucas Gulube, der Besitzer, hat sich die Schirmmütze weit ins Gesicht gezogen. Die Gläser seiner Brille sind angelaufen. Lucas ist so etwas wie das gastronomische Gewissen Inhacas. Seit fünf Jahrzehnten ist der Mittsiebziger im Tourismus aktiv. 1991 gründete er sein eigenes Restaurant, das allererste Restaurant auf der Insel überhaupt. Heute hängen dicke Spinnweben unter dem tiefhängenden Schilfdach. Die Wände sind dekoriert mit alten Fotos von Feiern, mit Grüßen seiner Gäste. Viele sind verblichen.
"Am Anfang waren es nur ich, meine Frau und dieser Herr da drüben, André. Wir haben zu dritt angefangen. Es war immer ein Risiko, denn man konnte nie wissen, wie viele Personen kommen würden. Es gab auch kein Stromnetz, nur einen Generator, von dem wir etwas Strom bekamen. Der Gefrierschrank, den wir hatten, taugte nichts, wir konnten nicht viel kaufen."
Vor 2015 kamen Touristen aus aller Welt
Bevor Lucas sein Restaurant eröffnete, lange bevor das erste Kreuzfahrtschiff Inhaca erreichte, war das Zentrum der Insel ein anderes. Ein Beach-Resort, direkt an der Schiffsanlegestelle, das "Hotel Inhaca". Das größte Gebäude der Insel, mit Swimmingpool, Palmengarten und Bungalows für die Touristen.
Nachts war es blau beleuchtet, im Internet gibt es noch Bilder und Videos von damals. Die Gäste kamen aus aller Welt, ab Maputo eingeflogen mit dem Kleinflugzeug, 15 Minuten dauerte die Reise. "2015 hat diese Wirtschaftskrise angefangen. Von da an ging vieles den Bach runter. Das Hotel schloss die Türen, der Flughafen machte zu, die Fähre funktionierte nicht mehr. Wir haben weiter gearbeitet, aber ohne Richtung, ohne Ziel."
Heute rottet das ehemalige Hotel vor sich hin. Das Poolbecken ist leer, die Dächer der Bungalows von Rissen durchzogen, überall wächst meterhohes Gras. Als die ersten Kreuzfahrtschiffe kamen, war die Hoffnung groß. Ein Trugschluss. Kein Kreuzfahrttourist übernachtet je auf einer Insel, nur wenige finden den Weg in eines der Restaurants. Sie baden, schnorcheln – für alles Weitere ist im Beachclub und an Bord des Schiffes gesorgt.
Wir zeigen Lucas ein Video auf Youtube. Ein Kreuzfahrttourist hat Hochglanzaufnahmen von seinem Ausflug auf die Ilha dos Portugueses gemacht. Es zeigt, wie die Gäste im MSC-Beachclub abhängen, wie sie ihren Urlaub genießen, wie MSC ihnen chinesisches Essen und andere internationalen Spezialitäten am Buffet anbietet. "Das ist beeindruckend. Sie machen schönere Sachen dort als wir. Wir haben nichts dergleichen. Der Service, das ist wirklich beeindruckend."
Seine Frau ist inzwischen dazugekommen, auch sie schaut sich die Videoaufnahmen an. "Das ist reizend. Sehr schön. Und das nur einen Steinwurf von uns entfernt. Wir hoffen, dass eines Tages auch auf unserer Insel so etwas entsteht. Aber wir schaffen es nicht alleine. Wir haben keine Unterstützung, es gibt niemanden, der hier investiert."
"Sie beuten unser Land aus"
Lucas ist selbst seit vielen Jahren nicht mehr auf der Nachbarinsel gewesen, er sagt, er könne den Anblick nicht ertragen. Vom Strand Inhacas aus kann er die hölzerne Lodge von MSC auf der Ilha dos Portugueses sehen. Selbst wenn es erlaubt sei, er würde sie niemals betreten. "Das ist unser Land. Sie beuten unser Land aus. Also müssen wir auch etwas davon haben, dass sie hierher kommen und es ausbeuten. Wenn ein Unternehmen kommt und hier auf Inhaca Geschäfte machen will, dann sollten sie ein Hotel eröffnen, und zwar hier, auf Inhaca. Dort, auf der Ilha dos Portugueses, lebt ja niemand. Wenn es hier in diesem Viertel ein Hotel gäbe, eines im Zentrum und noch eines an einem anderen Ort, wären alle beschäftigt. Alle hätte Arbeit. Die Arbeit muss doch dorthin kommen, wo die Menschen sind."
Wir wollen nach den vielen Gesprächen mit der Lokalbevölkerung auch das Gespräch mit MSC-Vertretern suchen, wollen ihre Sicht auf die Klagen der Einheimischen verstehen. Immer wieder sehen wir einzelne Mitarbeiter von MSC mit Schnellbooten auf der Insel ankommen und auf Quads davonfahren. Sie sind schwer zu greifen, oft nur kurz vor Ort. Wir besorgen uns die Telefonnummer des MSC-Repräsentanten, der auf Inhaca leben soll und für MSC die Aktivitäten auf der Insel managt.
Nachdem wir wieder und wieder versetzt werden, entscheiden wir, das Büro von MSC aufzusuchen, den Manager zu überraschen. Das kleine Büro liegt etwas versteckt in einem Hinterhof in Strandnähe. Ein Mann, Mitte Vierzig, aus Südafrika stellt sich uns als Mike vor. Sechs Monate im Jahr lebe er auf Inhaca, er sei der "Lodge-Manager", verantwortlich für die reibungslose Abfertigung der Kreuzfahrttouristen im Beachclub. Er sei viel beschäftigt gewesen in den letzten Tagen, erzählt Mike. Warum wir nicht zum Beachclub auf die Ilha dos Portugueses kämen am nächsten Tag, er habe da zu tun und außerdem sei es ja ein sensibles Thema, das bespreche man am besten nicht in der Öffentlichkeit. Er werde einen seiner Mitarbeiter schicken, der uns abholen komme. Wir verabschieden uns.
Überraschungsbesuch beim Manager
Am nächsten Tag kommt niemand, um uns abzuholen. Wir machen uns auf eigene Faust auf den Weg. Wir schauen uns in der MSC-Lodge um, fragen herumstehende Mitarbeiter und finden Mike mit zwei Frauen, offenbar auch Südafrikanerinnen, auf einer der Terrasse mit weitem Meerblick. Mike sagt, er dürfe uns keine Auskunft geben. Er verstehe unser Anliegen, doch ohne die Genehmigung aus den Firmenzentralen in Johannesburg und Genf gehe gar nichts. Er notiert sich unsere Kontaktdaten und verspricht, sich zu melden. Dann muss er dringend los, keine Zeit für weitere Gespräche.
Wir beginnen zu verstehen, warum viele Bewohner von Inhaca unzufrieden sind mit dem, was auf ihrer Insel passiert. Ein Unternehmen wie MSC ist nicht greifbar. Es gibt keine Tür, an die sie anklopfen, niemanden, mit dem sie persönlich verhandeln können. MSC-Vertreter wie Mike kommen und gehen mit dem Schnellboot. Die Entscheidungsgewalt liegt in einer Firmenzentrale, viele tausend Kilometer von Inhaca entfernt.
Zurück in Deutschland kontaktieren wir mehrmals die MSC-Zentrale in Genf. Unsere Fragen bleiben bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. Wir haben den Verdacht: Bei Hunderten Kreuzfahrtrouten weltweit spielt eine kleine Insel im Indischen Ozean für die Firmenzentrale in der Schweiz keine große Rolle.
Eine Linie im Sand, die kein Local übertreten darf
Der nächste Samstag. Wieder ist Kreuzfahrttag. Wieder bauen die Inselbewohner ihre Verkaufsstände auf. Heute sagen die Wettervorhersagen nur Gutes. "Ich hoffe, dass heute ein Weißer vom Schiff kommt, damit ich etwas verkaufe. Das Problem ist, dass MSC seinen Gästen nicht sagt, dass es einen Markt von uns Einheimischen gibt. Wenn die Touristen dann von Bord kommen, haben sie oft kein Geld dabei. Die Leute sind nett. Wenn sie Geld haben, kaufen sie auch etwas. Aber die MSC-Verantwortlichen machen für uns keine Werbung. Sie sagen einfach nichts."
Und tatsächlich: Pünktlich um zehn Uhr erscheint wieder ein Kreuzfahrtschiff am Horizont, die Schnellboote brechen wieder auf – und dieses Mal kommen sie mit Touristen an Bord zur Ilha dos Portugueses zurück. Als die Touristen von den Schnellbooten steigen, reiht sich eine Gruppe Frauen am Strand auf, sie begrüßen die Gäste mit Tanz und lauter Trommelmusik. Kaum ein Tourist nimmt Kenntnis von ihnen, von dem Schild mit der Bitte um eine Spende, von den Waren, die auf dem Markt angeboten werden.
Weiter vorne, zwischen den Marktständen und dem Beachclub, hat jemand eine Linie in den Sand gezogen. Kein Local darf sie übertreten. So kommen die Touristen ungestört zur Lodge, wo kalte Getränke und frisches Essen warten. Im Beachclub posieren junge Frauen mit Selfiesticks, viele tragen eisgekühlte Cocktails mit sich herum. An ihren Armen ein dunkelblaues Bändchen, ihre Eintrittskarte in die MSC-Welt. Aus den Musikboxen dröhnt laute Partymusik, am Büfett herrscht großer Andrang.
Die rettende Idee: Gäste aus der Nähe
Am Nachmittag wird sich die Insel leeren. Die Marktverkäufer werden zurück nach Inhaca fahren. Am Strand werden Plastikbecher und Verpackungen zurückbleiben. Die lokalen MSC-Mitarbeiter werden bis in die Abendstunden aufräumen. Das Kreuzfahrtschiff wird dann schon längst am Horizont verschwunden sein. "In den letzten fünf Monaten war praktisch nichts. Es war gar nichts. Wir haben Verluste gemacht und nichts eingenommen. Wir waren im Prinzip fünf Monate geschlossen. Wir mussten ein paar Mitarbeiter entlassen. Keine Übernachtungen, keine Gäste im Restaurant. Nichts."
Zehn Monate später, Oktober 2020: Wir haben Kontakt gehalten mit Angelo Manguele, Immer wieder telefonieren wir. Er schickt uns Videos und erzählt uns von sich und der Insel. Nach langen Monaten des Wartens hat er eine Idee: ein Event für Touristen aus Maputo. Wenn schon kein internationaler Tourist nach Inhaca kommen kann, dann doch wenigstens Urlauber aus der Nähe.
Er macht Werbung auf Facebook, die Nachfrage ist enorm. "Wegen der Pandemie war die Veranstaltung auf 50 Personen begrenzt. Wir hatten schon nach der ersten Woche 30 Reservierungen. Die Leute haben einfach den Drang, mal wieder rauszukommen, Spaß zu haben. Wir haben hier einen sehr schönen Ort direkt am Strand gefunden, wo die Truppe zusammen kommen und trotzdem Abstand halten kann. Und einfach Spaß haben kann. Unsere Erwartungen wurden übertroffen. Schon in der zweiten Woche waren wir ausverkauft." Am letzten Samstag im Oktober ist es dann soweit. Das große Inhaca-Event steht an.
Die Nachfrage ist enorm
Weil wir selbst wegen der Pandemie nicht nach Mosambik reisen können, beauftragen wir einen mosambikanischen Kollegen. Pünktlich um sieben Uhr morgens verlässt die Fähre den Hafen von Maputo in Richtung der kleinen Insel. Auf dem Boot herrscht sofort große Vorfreude. Alle Gäste an Bord erhalten Armbänder wie im All-Inclusive-Urlaub.
Nach zweieinhalb Stunden erreicht die Fähre Inhaca. Angelo Manguele wartet mit anderen Inselbewohnern bereits am Strand, für alle Gäste wurden Unterkünfte vorbereitet, Essen bestellt. Auch ein Schnorchelausflug und eine Besichtigung des Leuchtturms wurden versprochen. Angelo ist sichtlich nervös. Je später der Abend, umso mehr Alkohol wird getrunken, umso ausgelassener ist die Stimmung unter den Besuchern. Angelo ist erleichtert, müde und sichtlich zufrieden. Genau so hatte er sich das vorgestellt. Genau so sollte es seiner Meinung nach auf Inhaca laufen.
"Nach diesem Event hier bin ich mir sicher, dass die Zukunft von Inhaca nicht mehr vom internationalen Tourismus abhängt. Das ist ein Gewinn für alle. Wir müssen nicht mehr darauf warten, dass jemand von weither zu uns kommt. Stattdessen kommen jetzt eben Mosambikaner. Wir haben schon das nächste Event geplant, an Silvester, ein Programm für drei Tage. Wir besuchen verschiedene Spots hier auf der Insel, Sonnenuntergang am Strand beim Leuchtturm. Und am Ende werden wir ein Feuerwerk machen, wenn es die Gemeinde erlaubt. Wir haben schon etliche Reservierungen dafür. Ich glaube fest daran, dass der Tourismus hier wachsen wird. Und davon werden wir alle profitieren."
Hinweis: Die Recherche wurde gefördert durch das Oxfam-Recherchestipendium.