Mit dem Taxi über die Frontlinie
Wer aus den Separatistengebieten in der Ostukraine über die Frontlinie fahren will, benötigt einen "Propusk". Ohne diese schriftliche Genehmigung bleiben nur teure Privat-Taxis. Sie verdienen gut an der ukrainischen Blockade des Donezk-Beckens.
Es regnet in Strömen am Busbahnhof von Donezk. Die Menschen quetschen sich unter das windschiefe Dach vor den Haltebuchten. Sie haben Angst, dass ihr Bus ohne sie abfährt. Denn keiner weiß, wann das sein wird. Schon fünf Busse sind verspätet, sie alle sollen über die Frontlinie fahren. Eine Frau mit Koffer wartet trotzdem drinnen, im kleinen Bahnhofsgebäude.
"Meine Tochter studiert in Charkiw, ich will sie besuchen. Nach zwei Monaten habe ich endlich meinen Propusk bekommen."
Die Menschen in den Separatistengebieten brauchen einen "Propusk", eine Genehmigung, um über die Frontlinie zu fahren. Trotzdem werden sie am Übergang genau kontrolliert. Daher die Wartezeiten dort, daher die verspäteten Busse, erklärt die Frau.
"Anscheinend will keiner, dass wir noch in die Ukraine fahren. Beide Seiten sind mit sich selbst und ihrer eigenen Politik beschäftigt."
Durch die Reihen geht ein beleibter Mann mit einer schwarzen Bomberjacke. "Nach Konstantinowka", wiederholt er - ohne "Propusk" und in zweieinhalb Stunden. Der Haken ist der Preis: umgerechnet 25 Euro - das Sechsfache eines Busfahrscheins. Trotzdem steigen drei Studentinnen ein in den geräumigen Wagen. Eine der drei stellt sich als Ira vor.
"Ich war bei der Beerdigung meines Opas, jetzt muss ich wieder zurück, ohne Propusk. Woher hätte ich den so schnell bekommen sollen."
"Die Politiker in Kiew sind schuld"
Der Fahrer Tolja nimmt überraschend die Ausfallstraße von Donezk nach Norden. In dieser Richtung gibt es eigentlich keinen Übergang über die Frontlinie. Links und rechts stehen die berühmten Donezker Kegel in der hügeligen Landschaft - die Abraumhalden der Bergwerke. Die zweispurige Straße ist frei, und Tolja gibt Gas.
"Die Reifen surren so, weil hier viele Panzer drüber gefahren sind. Sie haben Rillen hinterlassen. An allem sind die Politiker in Kiew schuld. Da sitzen nur Milliardäre im Parlament. Wir haben hier bei Donezk einen See, das wäre die Lösung: Man sollte sie alle in einen Plastiksack stecken und ersäufen."
Die Studentinnen sind etwas schockiert über Tolja. Sie wissen nicht so genau, wem sie die Schuld am Krieg geben sollen. Und erst das unmenschliche Propusk-System, sagt der Fahrer. Bei Wolnowacha hätten die ukrainischen Grenzer einen 90-Jährigen aus dem Auto geholt, weil er den Schein nicht dabei hatte. Der Alte habe geweint.
Da ist es passiert. Vorne trudelt ein Militärjeep plötzlich auf die rechte Spur. Tolja weicht aus und rammt den Jeep trotzdem, aber nur mit dem Kotflügel. Der Fahrer, der sich als Offizier bezeichnet, will für den Schaden aufkommen. Von nun an hält Tolja mit der Hand die Fahrertür zu und gibt Ratschläge:
"Gebt bloß Eure Telefone nicht raus, später, an den ukrainischen Checkpoints. Sie wollen sehen, wer ihr seid, woher ihr kommt. Sagt einfach, ihr habt keine Handys."
Gut verdienen an der ukrainischen Blockade
Wie Tolja durch die separatistischen Checkpoints kommt, ist sein Geheimnis. Er steckt den Kämpfern eine Schachtel Zigaretten durch die Fensterscheibe, und er zeigt einen Ausweis. Was für ein Papier das ist? Tolja lacht nur. Seine Fahrgäste jedenfalls bleiben unbehelligt.
Irgendwann biegt Tolja ab, es geht durch die sogenannte Pufferzone, das Niemandsland. Kleine, völlig durchlöcherte Straßen, bunt bemalte, geduckte Häuser.
Mitten im Dorf hält Tolja das Auto an, die Brücke ist zerstört. Wieder eine Überraschung: Tolja verabschiedet sich. Zu Fuß geht es auf die andere, die ukrainische Seite. Dort warten ein neues Auto, ein neuer Fahrer. Auch er, Schenja, hat den richtigen Ausweis, diesmal für die ukrainischen Checkpoints. So verdienen Tolja und Schenja ganz gut an der ukrainischen Blockade des Donezkbecken - einen Teil müssen sie vermutlich an die Kommandeure der Checkpoints abgeben.
"Im Donezkbecken gibt es weiterhin Feuergefechte", sagt die Radio-Sprecherin, vor allem in der Gegend von Schirokine. Das ist 130 Kilometer weiter südlich. Im Norden von Donezk ist es heute ausnahmsweise ruhig.
Links und rechts die Schützengräben der Ukrainer. Auf blau-gelb bemalten Betonklötzen steht: "Vorsicht, Minen!"
Im Auto wird die Stimmung lockerer. Es ist geschafft, die Front liegt hinter der kleinen Fahrgemeinschaft. Nur noch 40 Kilometer sind es bis zum Bahnhof. "Was für ein schöner Wald", sagt Ira. Dann unterhalten sich die Frauen schon über die Zigarettenpreise in der Ukraine.