Krieg in der Ukraine

"Es sind schon eher verzweifelte Bemühungen"

Flammen und Rauch kommen aus einem Haus in Mariupol. Ein ganzes Wohnviertel wurde beschossen.
In der Ost-Ukraine wird in den Wohnvierteln gekämpft © picture alliance / EPA / Sergey Vaganov
Gernot Erler im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler, setzt auf eine diplomatische Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Der SPD-Politiker beklagt aber, dass derzeit die Verfechter einer militärischen Lösung die Oberhand hätten.
Es sei schwer vorstellbar, dass Moskau einen militärischen Sieg der ukrainischen Seite über die Separatisten akzeptiere, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandradio Kultur. Es sei aber auch nicht denkbar, dass die Separatisten eine Chance hätten, mit militärischen Mitteln eine dauerhafte Selbständigkeit zu erreichen. Da die Konfliktparteien ihre Ziele militärisch nicht erreichen könnten, bleibe nur der politische Weg. Es gebe dazu keine vernünftige Alternative.
Moskau nutzt Einfluss auf Separatisten nicht
„Es sind schon eher verzweifelte Bemühungen im Augenblick", sagte Erler. Er habe den Eindruck, dass es zwei Ebenen gebe, die nicht miteinander kommunizierten. Da gebe es die Ebene der politischen Gespräche und das reale Geschehen vor Ort, wo die „Kriegsbereiten", die auf eine militärische Lösung setzten, immer mehr die Oberhand gewännen. Es gebe einen Einfluss Russlands auf die Separatisten, aber dieser werde von Moskau nicht genutzt.
„Wir müssen erkennen, dass es einen grundsätzlichen Dissens im Augenblick gibt", sagte Erler. Die russische Seite vertrete die These, es handele sich um einen innerukrainisches Problem, dass nur in direkten Gesprächen zwischen der Regierung in Kiew und den Separatisten gelöst werden könne. „Russland ist dann bestenfalls ein Mediator bei diesem Prozess." Die westliche Seite sei dagegen davon überzeugt, dass Russland an diesem Konflikt direkt beteiligt sei und deshalb an den Gesprächsformaten teilnehmen müsse und Mitverantwortung trage. „An diesem Punkt scheitert im Moment jedes Gespräch."
Russische Kampfjets gefährden zivilen Luftverkehr
Als bedrohliche Entwicklung bezeichnete der Russlandbeauftragte die Zunahme russischer Flüge mit Kampfflugzeugen. Sie flögen zwar über internationalem Gebiet, aber doch sehr nah an nationalen Grenzen, „sodass jedes Mal auch dann Abfangjäger der Nato aufsteigen müssen". Erler sprach von 150 Vorfällen dieser Art im vergangenen Jahr. „Das ist eine Vervierfachung gegenüber den normalen Zahlen." Die russischen Kampfflieger flögen ohne Ankündigung und seien nicht zu orten. „Das ist auch eine Gefährdung für den zivilen Luftverkehr", sagte Erler. Es sei dabei beinahe zu Zusammenstößen gekommen. Da einige russische Kampfflugzeuge auch nuklearfähig seien, wundere ihn nicht, dass am 5. Februar in Brüssel die nukleare Planungsgruppe der Nato zusammenkomme, um sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Die Reisetätigkeit, die legendäre Reisetätigkeit von Hans-Dietrich Genscher verblasst in diesen Tagen gewaltig angesichts des Programms, das der aktuelle Außenminister Frank-Walter Steinmeier absolviert – alles mit einem Ziel: die Ukrainekrise friedlich zu beenden. Trotz aller Mühen: Das Ziel scheint wieder in weite Ferne zu rücken angesichts der neuen Gewalt. Was tun, wie darauf reagieren? Diese Frage stellt sich, und wir stellen sie Gernot Erler, Sozialdemokrat und Russlandbeauftragter der Bundesregierung. Einen schönen guten Morgen!
Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wie viel Hoffnung haben Sie noch, dass dieser Konflikt am Ende ohne Gewalt gelöst werden kann?
Erler: Ja, es sind schon eher verzweifelte Bemühungen im Augenblick, weil man den Eindruck hat, dass es zwei miteinander nicht kommunizierende Ebenen gibt, nämlich die Ebene der politischen Gespräche, die ja immer wieder aufgenommen werden und vom deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier immer wieder auch versucht werden, zu nutzen, und auf der anderen Seite eben das reale Geschehen vor Ort, wo man den Eindruck hat, dass die Kriegsbereiten, die also auch die Idee haben, da den ganzen Konflikt militärisch zu lösen, immer mehr die Oberhand gewinnen.
Frenzel: Woran liegt das oder vielmehr, wo liegt die Verantwortung? Wir fordern ja immer wieder von Russland, Russland möge sich bewegen. Kann es vielleicht sein, dass Russland diesen Einfluss gar nicht mehr hat auf die Separatisten?
Erler: Also es gibt sicherlich einen Einfluss Russlands auf die Separatisten, aber inzwischen kann man überhaupt nicht mehr feststellen, dass der genutzt wird. Denn ich meine, wenn Russland zusagt, man wird auf die Separatisten einwirken – jetzt zum Beispiel diesen Rückzug von schweren Waffen, der bei dem letzten Gespräch der Außenminister noch mal bekräftigt wurde, auch tatsächlich umzusetzen – und hinterher ist nichts davon zu sehen, also überhaupt keine Bemühung von irgendeiner Seite, das auch wirklich umzusetzen, dann hat eben überhaupt nichts stattgefunden so offensichtlich, dass man darüber nicht mehr hinwegsehen kann.
Frenzel: Es gab ja jetzt wieder einige Telefondiplomatie, Bundeskanzlerin Merkel, der französische Präsident Hollande, alle, auch beide wieder mit der Aussage, Russland möge sich bewegen, Russland möge etwas tun. Russland bewegt sich ganz offensichtlich nicht. Helfen da diese Appelle noch weiter?
Russland spricht von einem inner-ukrainischen Konflikt
Erler: Wir müssen erkennen, dass es einen grundsätzlichen Dissens im Augenblick gibt, das ist jedenfalls mein Eindruck, nämlich, dass die russische Seite die These vertritt, das ist ein inner-ukrainisches Problem und deswegen auch nur lösbar, wenn die Regierung in Kiew direkten Gesprächskontakt mit den Separatisten aufnimmt – und Russland ist dann also bestenfalls ein Mediator bei diesem Prozess –, während die westliche Seite fest davon überzeugt ist, dass eben Russland Beteiligter an diesem Konflikt ist und deswegen auch bei den Gesprächsformaten beteiligt sein muss und Mitverantwortung trägt. Und an diesem Punkt scheitert im Augenblick jedes Gespräch, jedenfalls, wenn es dann nachher an die Umsetzung geht.
Frenzel: Der Konflikt ist ein ukrainischer einerseits, aber er ist ja wirklich nun ganz offensichtlich ein Konflikt zwischen dem Westen und Russland. Nun gibt es Nachrichten vom Wochenende - die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" hat damit groß aufgemacht -, dass auch die NATO wieder über eine neue atomare Strategie nachdenkt angesichts der Bedrohung, der vermeintlichen Bedrohung aus Moskau. Ist das eine richtige Antwort?
Erler: Also was man feststellen muss und was auch eine bedrohliche Entwicklung ist: dass es immer mehr russische Flüge mit Kampfflugzeugen gibt, zwar über internationalem Gebiet, aber doch sehr nah heran an die nationalen Grenzen, sodass jedes Mal dann auch Abfangjäger der NATO aufsteigen müssen, schon 150 Mal im letzten Jahr. Das ist eine Vervierfachung gegenüber den normalen Zahlen. Und diese Kampfflugzeuge, die da aufsteigen, die fliegen ohne Transponder, die sind also nicht zu orten, und die fliegen auch ohne Ankündigung, sodass das jedes Mal geklärt werden muss, das heißt, dann steigen Abfangjäger auf, begleiten sie, auf diese Weise ist Ortung möglich. Und das ist auch eine Gefährdung für den zivilen Luftverkehr, das ist eine Situation, wo es zu Beinahe-Zusammenstößen schon gekommen ist und die für sich alleine bedrohlich ist. Tatsächlich ist auch richtig, dass inzwischen dabei auch Flugzeuge sind, strategische Langstreckenbomber, die also auch theoretisch nuklearfähig sind oder praktisch nuklearfähig sind, was natürlich weitere Unruhe hervorruft. Insofern wundert es mich nicht, dass – wenn das stimmt –, dass die nukleare Planungsgruppe, die am 5. Februar sich in Brüssel trifft, der NATO, sich mit diesem Thema beschäftigen muss.
Frenzel: Herr Erler, ich frage Sie das als Russlandbeauftragter der Bundesregierung, aber vor allem auch als Sozialdemokraten, die ja immer für ein etwas anderes oder besonderes Verhältnis auch zu Russland, für eine Brückenfunktion standen. Wenn wir all das zusammennehmen, die Rolle im Ukrainekonflikt aber eben auch das, was Sie gerade beschrieben haben – muss man nicht sagen, diese Politik, diese Politik der Vermittlung ist gescheitert?
Keine Alternative zum diplomatischen Weg
Erler: Ich glaube, selbst wenn man so pessimistisch ist, zu sagen, ich sehe eigentlich wenig Hoffnungsschimmer, ist die Frage: Was ist denn die Alternative zu der augenblicklichen Politik, die auch die Bundesregierung, ich sagte am Anfang schon, fast verzweifelt hier betreibt? Haben wir wirklich eine Alternative dazu, zu versuchen, auf diplomatischem Weg eine politische Lösung zu finden? Alle wirklich kenntnisreichen Beobachter sagen: Es gibt eigentlich für beide Seiten hier keine politische Lösung. Es ist schwer vorstellbar, dass die russische Seite irgendeinen militärischen Sieg der Ukraine über die Separatisten akzeptieren wird, notfalls würden auch normale Verbände eingesetzt, aber es ist umgekehrt eigentlich auch nicht denkbar, dass die Separatisten irgendeine Chance haben, mit militärischen Mitteln eine dauerhafte Selbstständigkeit in Ruhe zu erreichen. Das heißt, beide Seiten können eigentlich ihre möglichen Ziele so nicht erreichen und es bleibt nur der politische Weg. Und darauf immer wieder hinzuarbeiten, ist, glaube ich, richtig, und dazu gibt es keine vernünftige Alternative.
Frenzel: Also die Hoffnung auf eine diplomatische Lösung stirbt zuletzt. Gernot Erler war das, der Russlandbeauftragte der Bundesregierung. Vielen Dank für das Gespräch!
Erler: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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