"Frieden ist noch möglich"
Besonders in Gefahr sind in Syrien und dem Irak derzeit die Christen, die syrisch-orthodoxe Kirche in Berlin bekommt jeden Tag zig Anrufe aus dem Kriegsgebiet. Aber trotz aller schlechten Nachrichten hat der Ökumenebeauftragte Amill Gorgis noch Hoffnung.
Dieter Kassel: Björn Blaschke berichtete über den immer größer werdenden Flüchtlingsstrom aus Syrien. Es waren vor allen Dingen Kurden, die versucht haben am Wochenende, über die Grenze in die Türkei zu kommen. Aber der Terror der IS bedroht alle, die das ganz bestimmte Islambild dieser Organisation nicht teilen, auch zum Teil Muslime, vor allem aber und nicht zuletzt in Syrien die dort lebenden Christen. Bei mir im Studio ist jetzt Amill Gorgis, er ist der Ökumenebeauftragte der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Berlin. Schönen guten Morgen!
Amill Gorgis: Guten Morgen!
Kassel: Sie haben Kontakt mit Christen, die in Syrien sind. Wenn Sie mit denen sprechen, wenn Sie Dinge hören von denen – können die sich überhaupt noch eine Zukunft in Syrien für sich vorstellen?
Gorgis: Also ich muss ehrlich gestehen: Viele von ihnen sitzen auf gepackten Koffern und möchten am liebsten lieber heute als morgen das Land verlassen und suchen Zuflucht eher hier in Deutschland oder in europäischen Ländern und nicht in den Nachbarländer. Das ist für sie eine sehr schwierige Situation. Besonders junge Leute wollen gar nicht in die Armee, weil sie wissen: Entweder müssen sie dort Menschen töten oder getötet werden. Es ist für viele Menschen tatsächlich eine Zerreißprobe. Einerseits ist es ihre Heimat, sie haben auch dort das Land mit aufgebaut und sich sehr stark engagiert – aber jetzt müssen sie einfach sehen, dass das Land überrollt wird von IS, und unter der Herrschaft des IS können sie sich keine Zukunft vorstellen.
"Ich stehe fassungslos da"
Kassel: Können Sie, wenn Menschen – das passiert ja, glaube ich, tatsächlich täglich inzwischen –, Menschen Sie anrufen aus Syrien und ja so etwas berichten und um Hilfe bitten, können Sie persönlich eigentlich helfen?
Gorgis: Also sehr begrenzt. Also die Anrufe, die ich bekomme, das sind teilweise jeden Tag zwischen 10 und 20 Anrufe, und ich stehe einfach fassungslos da. Ich kann nicht immer nein sagen, ich versuche zu trösten. Wir können nur begrenzt helfen. Ich bin unwahrscheinlich dankbar für die deutsche Bundesregierung und für die Bundesländer, dass sie hier Flüchtlinge aufnehmen. Das ist nicht selbstverständlich. Ich glaube schon, dass es ein großes Opfer ist, aber ich finde, angesichts der Tragödie und der Not der Menschen ist es angemessen, zu helfen und zu reagieren. Wir selber als Kirche und als christliche Gemeinschaft möchten auf der einen Seite nicht, dass IS siegt und die Menschen von dort vertreibt, denn dort liegen eigentlich unsere Wurzeln. Auf der anderen Seite: Wenn die Menschen vor so einer Bedrohung stehen, dann kann man eigentlich nicht die Hilfe verweigern. Das sind zwei Dinge, mit denen wir auch selbst kämpfen.
Kassel: Sie haben gesagt, Sie sind der Bundesregierung dankbar, aber haben Sie das Gefühl, dass die Weltgemeinschaft – wie man das immer so nennt – genug tut, sowohl, um die IS zurückzudrängen, als auch, um den Menschen dort zu helfen?
Gorgis: Also ich muss sagen, die Hilfe jetzt, die gestaltet worden ist, kommt etwas zu spät, aber lieber zu spät als gar nicht. Und ich finde, dieses Bündnis, das man schmieden will, ist auch sehr wünschenswert, allerdings wünscht man sich von den Anrainerstaaten mehr Engagement, gerade von der Türkei. Also ich glaube, dass die Türkei nicht genug tut, um gegen IS vorzugehen beziehungsweise die Versorgungswege abzuschneiden. Da hätten wir uns mehr gewünscht, dass die Weltgemeinschaft mehr Druck ausübt auf die Anrainer-Staaten, um wirklich IS die Versorgungswege abzuschneiden. Mittlerweile ist IS nicht mehr eine terroristische Gruppe, sondern ein hochgerüsteter Staat und kämpft gegen einen Gegner, der wirklich kaum Waffen hat, der sich verteidigen kann.
"Man kann diese Ideologie nicht mit Waffen besiegen"
Kassel: Aber wäre denn eine stärkere militärische Hilfe auf der einen Seite und ein Abschneiden der Waffenversorgung der IS – wo man sagen muss, das ist nicht zuletzt inzwischen eine unfassbar reiche Terrororganisation, das heißt, die können auch sehr viel einfach kaufen auf dem Weltmarkt, da gibt es nun mal Waffen –, also wäre eine militärische Lösung wirklich alles, was Sie sich wünschen?
Gorgis: Also das glaube ich nicht, also ich glaube nicht, dass man diese Ideologie mit Waffen besiegen kann. Es muss schon ein Ruck durch die gesamte Medienlandschaft in den Anrainerstaaten sein, um wirklich diese Ideologie zu bekämpfen. Und da geschieht es meiner Meinung nach viel zu wenig. Selbst in der Bevölkerung: Man darf nicht von den Andersdenkenden, Andersglaubenden als Ungläubige reden. Sobald ich einen Menschen als ungläubig bezeichne, ist er nicht mehr lebenswert vor Gott und dann ist der Schritt eigentlich, ihn zu vernichten, gar nicht mehr so weit. Also man muss auch verbal abrüsten, auch die Sprache muss sich verändern, die ganze Kultur muss sich verändern. Und da meine ich, dass es dort zu wenig passiert.
Kassel: Aber kann es denn überhaupt noch sein, nach all dem, was passiert ist – jetzt ist natürlich die mit Abstand größte Bedrohung die IS, aber es hat ja auch schon vorher während des Bürgerkriegs in Syrien, der seit Jahren andauert, durchaus Zwischenfälle gegeben zwischen Bevölkerungsgruppen –, ist es überhaupt noch möglich, einen Frieden in Syrien zu schaffen, der nicht nur ein formaler Frieden ist, sondern der es wirklich ermöglicht, dass Christen, Kurden und Muslime unterschiedlicher Ausrichtung wieder zusammenleben können in diesem Land?
"Für manche ist unwiderruflich Vertrauen verloren gegangen"
Gorgis: Also ich glaube, dass es grundsätzlich möglich ist, aber es muss viel geschehen, damit so etwas auch möglich ist. Es ist sehr viel Vertrauen verloren gegangen, das muss man schon sagen. Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen: Die Menschen, die aus Mossul geflüchtet sind, die Christen, als die IS-Leute in Mossul einmarschiert waren, waren 300 Leute, und als sie in Mossul selbst waren, waren es plötzlich 5000 Leute. Und nicht die IS-Leute haben den Buchstaben „N", also für Nazarener, also für Christen, an die Türen der Christen markiert, sondern das waren die Nachbarn. Natürlich ist das ... Ich denke schon, für die Christen ist es zu verkraften, wenn ihre Häuser kaputt gehen, wenn ihre Gebetshäuser zerstört werden. Der Mensch ist anpassungsfähig und er kann sie wieder aufbauen. Aber viel schwieriger ist es eigentlich, mit dem Nachbarn, der ihn verraten hat, zusammenzuleben. Und hier, denke ich, ist für manche eigentlich unwiderruflich Vertrauen verlorengegangen. Aber das ist nicht vielerorts so. Man muss sehen, das noch zu retten, was zu retten ist.
Kassel: Sagt Amill Gorgis, der Ökumenebeauftragte der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Berlin. Herr Gorgis, ich danke Ihnen sehr, dass Sie zu uns gekommen sind.
Gorgis: Ja, schönen Dank!
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