Krieg

Künstler an die Front!

Von Edelgard Abenstein |
Unter den Soldaten des Ersten Weltkriegs waren viele Künstler und Intellektuelle. Sie waren auch unter denen, die euphorisch quasi aufs Schlachtfeld stürmten, für die geistige Mobilmachung sorgten. Und das obwohl sie vorher in hohem Masse international – heute würde man sagen: vernetzt waren, Austausch und Freundschaften pflegten, das kosmopolitische stand hoch im Kurs - ein Widerspruch. In seinem aktuellen Buch interessieren den Verleger, Historiker und Autor Ernst Piper die kulturgeschichtlichen Aspekte des Ersten Weltkriegs.
"Ich kenne keine Parteien mehr. Ich kenne nur Deutsche". Ausgerechnet Max Liebermann, der antiwilhelminische Impressionist, griff entflammt die Parole des deutschen Kaisers auf, als er im August 1914 für die "Kriegszeit" ein kämpferisches Titelblatt entwarf. Geradezu explosionsartig erfasste der Kriegsrausch auch Künstler und Schriftsteller, Publizisten und Intellektuelle in ganz Europa.
Kosmopolitisch war man gestern. Weltläufigkeit galt als Landesverrat. Sprachreiniger zogen gegen Fremdwörter zu Felde: "Fort mit dem französischen Adieu. Der Deutsche grüßt 'Auf Wiedersehen." Aus der russischen Stadt St. Petersburg wurde Petrograd, und um in Großbritannien weiterhin den 'Messiah' hören zu können, erklärte man Händel zum Engländer. In allen kriegführenden Staaten strengte man sich an, ein Nationalgefühl der Zusammengehörigkeit herzustellen, und die künstlerische Moderne machte mit.
Franz Marc und August Macke meldeten sich freiwillig an die Front. Harry Graf Kessler, der einflussreiche Kunstsammler, Schriftsteller, Mäzen und Diplomat hatte in seinem Adressbuch 12.000 Menschen aus allen Ländern Europas verzeichnet, aber keine Bedenken, als belgische Bürger deutschen Vergeltungsaktionen zum Opfer fielen. Die Euphorie legte sich allerdings rasch unter dem Eindruck verheerender Kriegserlebnisse. Nun sprach das Grauen aus vielen Gedichten; verwüstete Landschaften bei Beckmann und Dix, bittere Anklage bei Kollwitz.
Die Faszination für Gewalt
Manchen Künstlern gelang es, im Windschatten der Katastrophe zu überleben. Rainer Maria Rilke im kaiserlich-königlichen Pressequartier, wo er monatelang auf Soldlisten vertikale und horizontale Linien zog; oder Paul Klee, der an einer süddeutschen Fliegerschule so viel Zeit für seine Malerei hatte, dass er mitten im Krieg den Kunstmarkt eroberte - auch weil die Konkurrenz aus dem Ausland weggefallen war.
Der Historiker Ernst Piper beschränkt sich nicht auf die anekdotischen Seiten seines Themas. Er berichtet nicht nur detailfreudig über den Zwist im Hause Mann zwischen dem pazifistischen Heinrich und dem chauvinistischen Thomas - eines der Glanzstücke des Buches. Ausführlich geht er auf die Lage der deutschen, französischen und russischen Juden ein, die versuchten sich als gute Patrioten zu erweisen, auf das Exil der Avantgarde in der Schweiz, dem einzig neutralen, aber tief gespaltenen Land inmitten Europas. Er nimmt die Mechanisierung des Krieges ins Visier samt der Rolle von Künstlern für die Propaganda sowie das Aufblühen der Kriminalliteratur als eine Variante der Kriegserzählung.
Im Zentrum der knapp-600-seitigen Studie stehen das Deutsche Reich und die Habsburgermonarchie, London und Paris hat der Autor fest im Blick, wenn er etwa die Debatten über die großen nationalen Literaturpreise vergleicht. Ab und zu schweift sein Blick über den Ozean, zum Beispiel in der Palästinafrage.
So entsteht ein materialsattes Kompendium. Zwar hätte man sich gelegentlich mehr Schärfe in der Analyse gewünscht: Weshalb zum Beispiel waren gerade Künstler und Intellektuelle so empfänglich für den Krieg? Doch man lernt viel über geistige Mobilmachung in diesem facettenreichen Epochenbild und wie in Sachen Faszination für die Gewalt die Weichen für das ganze Jahrhundert gestellt wurden.

Ernst Piper: Nacht über Europa. Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs
Propyläen-Verlag, Berlin 2013
592 Seiten, 26,99 Euro