Literatur
Karl Schlögel: Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen
Hanser Verlag, 352 Seiten, 21,90 Euro
Die Ukraine und der Aufstieg Russlands
Ein Bündnis mit weitreichenden Folgen: Bohdan Chmelnyzkyj besiegelt 1654 mit Russland den Vertrag von Perejaslaw. © imago/United Archives International
Tragische Ironie der Geschichte
38:53 Minuten
Die beiden Nationen sind seit Jahrhunderten verbunden: Mit dem Bündnis von 1654 trugen die Ukrainer letztlich zum Aufstieg Russlands bei. Sie selbst gerieten in russische Abhängigkeit – mit katastrophalen Folgen bis heute.
Seit 1999 lenkt Wladimir Putin die Geschicke Russlands – zumeist als Präsident, zwischendurch als Ministerpräsident.
Nach innen hat er mit wachsender Rücksichtslosigkeit bürgerliche Rechte und Freiheiten beseitigt und das ganze politische System auf ihn, auf seine unumschränkte Macht, zugeschnitten. Nach außen hat er ständig Kriege geführt.
Das Bündnis von 1654
Die Ukraine, die Putin nun militärisch überfallen hat, ist seit 1654 mit Russland verbunden. Damals war Russland noch ein Randphänomen auf der Landkarte Europas, Ostmitteleuropa wurde beherrscht vom polnisch-litauischen Reich.
Gegen sie begehrten die Kosaken auf, die sich von der polnischen Vorherrschaft befreien und einen eigenen ukrainischen Staat aufbauen wollten. Doch dafür benötigten sie Unterstützung – und deshalb verbündeten sie sich 1654 mit dem russischen Zaren.
Dieses Bündnis stärkte die Herrscher in Moskau so sehr, dass Russland zu einer Macht im Osten Europas aufstieg, während die Ukrainer in russische Abhängigkeit gerieten, mit katastrophalen Folgen vor allem im 20. Jahrhundert.
Putins historisches Versagen
Europa hat bis in die Gegenwart viel zu wenig beachtet, welche historische und kulturelle Bedeutung die Ukraine für den europäischen Kontinent hat: Das beklagt seit Jahren der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel.
In seinem Gespräch mit Marie Sagenschneider auf dem Blauen Sofa der Frankfurter Buchmesse hat er bereits 2015 Putin als „failed man“ der russischen Politik bezeichnet.
Denn Putin habe die Chance verpasst, Wirtschaft und Gesellschaft seines Landes zu modernisieren.
Eine reiche Kulturlandschaft – nun unter Beschuss
Zugleich macht Schlögel deutlich, wie sich die Ukraine trotz widriger Bedingungen entwickelt habe – und welche kulturellen Schätze dieses Land birgt.
Schlögel ist fasziniert von der Vielgestaltigkeit der ukrainischen Städte –- Lemberg, Odessa, Charkow, „der bedeutendste Ort der europäischen Architekturmoderne“, schließlich Kiew, „wo selbst Puschkin die Stimme versagt“.
Es sind die Städte, die nun unter Beschuss der russischen Truppen stehen und deren Zerstörung droht.
(wist)