Russlands Angriff

Konventioneller Krieg statt Cyberwar

16:31 Minuten
Ein Bombenloch in einem Wohnhaus in Kiew, Ukraine am 26.02.2022.
Zerstörte Wohnhäuser © picture alliance / dpa / Le Parisien / Philippe de Poulpiquet
Lennart Maschmeyer im Gespräch mit Vera Linß und Marcus Richter |
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Bevor Panzer auf ukrainisches Territorium rollten, hatte Russland die Ukraine bereits digital angegriffen. Doch statt des erwarteten großen Cyberkriegs tobt ein brutaler militärischer. Dessen Mittel seien effektiver, sagt Politologe Lennart Maschmeyer.
Raketeneinschläge auf Marktplätzen, zerstörte Wohnhäuser, flüchtende Menschen – der russische Angriffskrieg in der Ukraine erzeugt täglich neues, schreckliches Leid. Abseits dieses militärisch brutalen und deutlich sichtbareren Teils des Konflikts gibt es online und digital Attacken von beiden Seiten und außergewöhnliche Aktionen.
Anfang Januar, noch bevor die ersten Panzer auf ukrainischem Territorium rollen, greift Russland die Ukraine im Netz an. Regierungsseiten und auch Banken-Websites werden lahmgelegt. Außerdem kommt die Malware Hermetic Wiper zum Einsatz, um auf infizierten Rechnern Daten zu zerstören.
Rätselraten gibt es rund um den Ausfall eines ukrainischen Satellitennetzwerks zeitgleich zum militärischen Angriff Russlands. Ende Februar ist dann eine neue Eskalationsstufe erreicht.

Hackercommunity in zwei Lager geteilt

Das Hackerkollektiv Anonymous erklärt Wladimir Putin den Krieg. Die Homepage des Kremls und andere Regierungsseiten werden mit Zugriffsversuchen geflutet und brechen zusammen. Auch Medien wie Russia Today und der Energiekonzern Gazprom werden attackiert. Die Seiten sind teilweise immer noch down.
Die Antwort von russlandtreuen Hackern lässt nicht lange auf sich warten: Mehrere Facebookseiten von ukrainischen Militärs, Politikern und Journalisten zeigen plötzlich Videos an, die die ukrainische Armee als geschwächt darstellen sollen. Dahinter steckt, erklärt Facebook-Betreiber Meta, eine Hackergruppe mit Verbindungen nach Belarus.
Generell teilt sich die hackende Onlinecommunity aktuell in zwei Lager. Die einen – wie Anonymous – unterstützen die Ukraine. Große Ransomwaregruppen wie Conti dagegen wollen Russland verteidigen.

Aufruf zur Bildung einer IT-Armee für die Ukraine

Wie groß die Bedeutung von Hacktivismus ist, wie es jetzt oft genannt wird, zeigt der offizielle Aufruf des ukrainischen Digitalministers, der letzte Woche per Twitter bekannt gab, eine IT-Armee zusammenzustellen, und um Talente warb.
Wenig später folgte bei Telegram eine Liste mit Zielen: russischen Firmen- und Regierungsseiten, die lahmgelegt werden sollen. Mehr als 250.000 Unterstützer haben sich bereits gemeldet. Die Moskauer Börse war offenbar eines der ersten Ziele.
Hinter all den Aktionen beider Lager steckt das Ziel, für Unruhe zu sorgen und das Vertrauen in offizielle Stellen zu destabilisieren. Doch dies sind alles eher aktivistische Aktionen.
Der Eindruck, dass der viel beschworene große Cyberangriff jetzt neben dem aktuell eskalierenden Angriffskrieg eine untergeordnete Rolle spielt, täusche nicht, sagt der Politologe Lennart Maschmeyer. Er forscht an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich zu Cyber Security.

Cyberkrieg – ein aufgebauschtes „Gedankenkonstrukt“

„Es gab die Erwartung, dass es jetzt große Cyberangriffe gibt und etwas auf einer Skala, wie wir es noch nie gesehen haben“, sagt er. „Weil es eben jetzt ein großer Krieg ist, in der einer der mächtigsten Staaten in diesem Bereich, also Russland, mitspielt.“ Er selbst sei aber schon länger skeptisch gewesen.

Es ist eben so, dass sich dieses Gedankenkonstrukt vom Cyberkrieg über lange Jahre gebildet hat und auch immer weiter aufgebauscht wurde, von Medienberichten aber auch vor allem von verschiedenen Cyber-Security-Firmen.

Lennart Maschmeyer

Natürlich gebe es eine Reihe von verschiedenen Möglichkeiten für Hackerangriffe. „Theoretisch ist ganz viel möglich“, sagt Maschmeyer. Cyberangriffe gegen ein bestimmtes Ziel, die einen bestimmten Effekt erzeugen sollen, verlässlich zu einer bestimmten Zeit realistisch umzusetzen, sei aber extrem herausfordernd.

„Militärische Mittel sind viel effektiver“

„Wenn es darum geht, wirklich Zerstörung zu erzeugen“, erklärt er, „sind militärische Mittel viel effektiver und nicht nur militärische Mittel, sondern auch traditionelle Mittel der Sabotage.“
Das Ziel Russlands sei, die Ukraine davon abzuhalten, nähere Beziehungen zum Westen zu haben und Mitglied in EU und NATO zu werden. Cyberangriffe seien neben anderen Formen der Unterwanderung einmal ein Teil der Strategie gewesen, dies zu erreichen.
„Das alles war nicht genug“, sagt der Politologe. „Deshalb hat Russland sich offensichtlich entschieden, dann stattdessen das Militär einzusetzen. Eigentlich das klassische Machtinstrument.“
(Leon Ginzel, hum)
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