Krieg in der Ukraine

Ist Pazifismus noch zeitgemäß?

"Stop War" steht auf einem Schild einer Fridays-for-Future-Demo gegen den Krieg Russlands in der Ukraine in Berlin
"Stop War": Eine Welt, in der Staaten keine Kriege mehr führen wollen oder können, ist für Tilman Brück ein realisierbares Ziel. © picture alliance / dpa / Geisler-Fotopress / Sebastian Gabsch
Ein Standpunkt von Tilman Brück · 04.03.2022
Pazifismus erscheint in diesen Tagen als eine veraltete, bequeme und utopische Ideologie. Der Ökonom Tilman Brück hält dagegen. Der frühere Leiter des Friedensforschungsinstituts SIPRI glaubt, dass die Utopie durchaus Realität werden kann.
Die Welt ist ins Wanken geraten. Putin hat den größten Krieg in Europa seit 1945 gestartet und droht sogar mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die überraschende Antwort aus Deutschland: Aufrüstung, Waffenexporte in Kriegsgebiete und kein Wandel durch Handel mehr.
Wie steht es dann vor diesem Hintergrund um den Pazifismus? Ist er noch zeitgemäß? Zeigt Putins Angriffskrieg, dass Pazifismus naiv und zum Scheitern verurteilt ist?
Es gibt viele Formen und Deutungen des Pazifismus. Als Ökonom und empirisch arbeitender Friedensforscher verstehe ich unter Pazifismus das Bemühen, eine regel- und normenbasierte Ordnung herzustellen, die die Ausführung von Gewalt nur legitimen staatlichen Institutionen erlaubt, etwa zur Verhinderung von Straftaten.

Differenzen mit friedlichen Mitteln klären

Eine pazifistische Welt ist also eine Welt, in der Staaten keine Kriege mehr führen wollen oder können, weil verbleibende Differenzen mit friedlichen Mitteln innerhalb von gemeinsamen Institutionen geklärt werden. Eine demokratisch legitimierte Minimalarmee, eine Art globaler Schweizer Garde, würde dafür sorgen, dass Staaten ihre Konflikte nicht gewalttätig werden lassen.
Zentral für das Verständnis von Pazifismus, aber auch von Frieden allgemein, ist die Rolle von Macht. Der Fokus in der pazifistischen Diskussion liegt oft auf dem Gewaltbegriff – und damit verbunden auf der Rolle von Waffen und dem Krieg als extreme Form von Gewaltanwendung.

Gewalt als Ausdruck unkontrollierter Macht

Aber Gewalt ist nur ein Ausdruck unkontrollierter, unbegrenzter Macht – zwischen Staaten oder, innerhalb von Staaten, zwischen Personen. Unregulierte Macht, Machtmissbrauch, ist die eigentliche Quelle von zerstörerischer Gewalt, die vielfältige Formen annehmen kann: von verletzenden Worten und Diskriminierungen über sexuelle Gewalt und Raubbau an der Natur zu den alles zerstörenden Atomwaffen.

Die neuesten Entwicklungen im Ukrainekonflikt können Sie in unserem Newsblog verfolgen.

Die Überwindung nicht-legimitierter Macht ist eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe im Pazifismus.
Als empirisch arbeitender Wissenschaftler glaube ich, dass Pazifismus keine Utopie ist, sondern zunehmend Realität werden kann. Menschen verhalten sich überwiegend friedlich, solange ihre Mitmenschen es auch tun – und wenn ihre Umgebung, die Regeln und Normen, die Institutionen, in denen wir leben, sie darin bestärken.
Pazifismus verlangt also nach einen institutionellen Rahmen, der Gewalt einschränkt.

Krieg ist kein Argument gegen Pazifismus

Auch auf globaler Ebene brauchen wir dringend Institutionen, die Regelbrüche ahnden oder gar verhindern können. Der Krieg in Ukraine ist kein Beweis für das Scheitern des Pazifismus. Im Gegenteil, der Krieg in Ukraine ist eher ein Beleg für die Fragilität einer nicht regelbasierten Weltordnung, einer Ordnung nach dem Recht des Stärkeren.
Meine Sicht auf Pazifismus hat drei wichtige Implikationen.
Erstens: Wir müssen langfristig und kohärent pazifistisch handeln. Es bringt nichts, nur Pazifist zu sein, wenn das Schießen schon begonnen hat. Klar können wir jetzt Fehler der Vergangenheit korrigieren, etwa unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland reduzieren, deren Import den Krieg in Ukraine finanziert. Dieselben Fehler setzen wir leider ungerührt im Handel mit beispielsweise Saudi-Arabien und China fort.
Zweitens: Um Pazifismus zu erreichen, müssen wir auch in anderen Dimensionen Macht regulieren, etwa im Umgang zwischen den Geschlechtern, zwischen Mensch und Natur, zwischen Arm und Reich, und zwischen Nord und Süd. Krieg ist nur ein Beispiel für Machtmissbrauch. #MeToo, Rassismus und die Klimakrise sind weitere Beispiele, die sich oft gegenseitig verstärken.
Drittens: Es geht nicht um Utopie, Revolution oder den großen Wurf. Regeln, Normen und Institutionen werden stetig weiterentwickelt. Schritt für Schritt können wir unsere Werte auf unser Handeln übertragen. Pazifismus kann nicht plötzlich die Fehler der Vergangenheit kurieren. Aber Pazifismus kann helfen, die Zukunft sicherer, gleichberechtigter und nachhaltiger zu machen.

Machtbeschränkung verhindert Gewalt

Nur eine Kultur der Machtbeschränkung, ein legitimierter Umgang mit Macht in allen Lebenslagen, im Inland und im Ausland, in der Gesellschaft und in der Wirtschaft, kann uns vor uns selbst schützen. Die Sanktionen der Bundesregierung gegen Putin sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Tilman Brück ist Entwicklungsökonom und Friedensforscher. Er promovierte in Oxford in Ökonomie, lehrte in Berlin, Rom und London, war Sprecher des Vorstands der Jungen Akademie und lebt und forscht jetzt in und bei Berlin. In seiner Forschung untersucht er, wie Menschen mit Krisen und Katastrophen umgehen. Er berät regelmäßig Regierungen, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft zu Fragen von Entwicklung und Frieden.
Er twittert unter @tilmanbrueck.

Tilman Brück posiert für ein Pressefoto.
© Tilman Brück
Mehr zum Thema