Ukrainische Kulturschaffende

Kunst kann eine Brücke sein

Illustration: Abgeblätterte "Peace" Schrift auf einer Wand in der Ukraine, 2022.
Kunst kann ermöglichen, sich mit traumatischen Erlebnissen auseinanderzusetzen, wovon letztendlich die ukrainische Gesellschaft als solche profitieren könnte, sagt die Autorin Tanja Dückers. © imago / PantherMedia / Decha Anunthanapo
Überlegungen von Tanja Dückers |
Unter den aus der Ukraine nach Deutschland Geflohenen sind auch Schriftstellerinnen, Filmemacher und andere Kulturschaffende. Aus Sicht der Autorin Tanja Dückers sollten wir sie mehr unterstützen, damit sie ihre wichtige Arbeit hier fortsetzen können.
Unter den rund eine Million nach Deutschland geflohenen Ukrainer*innen befinden sich zahlreiche Kulturschaffende. Manche konnten noch relativ „geordnet“ ihr Zuhause verlassen, andere wurden regelrecht aus ihren Häusern gebombt und flohen mit dem, was sie am Leib hatten. Wie geht es ihnen in Deutschland?
Glück im Unglück hatte die Schriftstellerin und Übersetzerin Natalka Sniadanko aus Lwiw. Sie war zufällig mit ihrer Familie in Krakau, als der Krieg ausbrach:
Wäre ihr 18-jähriger Sohn zu diesem Zeitpunkt in der Ukraine gewesen, hätte er das Land nicht mehr verlassen dürfen. Mit Gepäck nur für ein Wochenende kam sie nach Deutschland.
Das Literaturarchiv Marbach konnte ihr ein Stipendium geben. Dass Natalka in Freiburg studiert hat und sehr gut Deutsch spricht, vereinfacht ihre Situation. Nach Deutschland geflohene Ukrainer*innen dürfen zwar sofort arbeiten, aber die oft bestehende Sprachbarriere vereitelt viele Pläne vom raschen Fußfassen.

Unterstützung ist zeitlich begrenzt

Deutschland war jetzt besser auf Flüchtlinge vorbereitet als im Herbst 2015. Es gibt viele Projekte zur Unterstützung von ukrainischen Kulturschaffenden. Aber die meisten bieten nur für begrenzte Zeit Unterstützung. Dann müssen erneut Anträge gestellt werden, in einem fremden Land, das nicht für bürokratische Spaziergänge bekannt ist.
Zudem muss man in der Lage sein, nach oft traumatischen Erfahrungen, im Kulturbetrieb eines anderen Landes zu „funktionieren“. Und: Stipendien und andere Zuwendungen werden bis auf 200 Euro mit Sozialleistungen verrechnet.

Jede Reise in die Ukraine ist lebensgefährlich

Wie Natalka Sniadanko, war auch die junge Regisseurin und Theaterautorin Anastasiia Kosodii bereits international erfolgreich, spricht fließend Englisch und kann jetzt hier und da arbeiten. Doch die Parallelwelt holt sie auch in Berlin ein: Ihre Eltern leben in Saporischschja in der Nähe des Atomkraftwerks. Im letzten Sommer hat Anastasiia es gewagt, sie zu besuchen.
Sie hofft, wieder zu ihnen reisen zu können, auch, um die dort am Boden liegende Theaterszene zu unterstützen. Die ehemaligen Kolleg*innen – nicht alle leben mehr – sind im Krieg, oder mit dem schwierigen Alltag beschäftigt. Vom fröhlichen Pendeltourismus, wie Friedrich Merz ihn heraufbeschwört, kann keine Rede sein. Jede Reise findet unter Lebensgefahr statt.

Traumatische Erlebnisse in Mariupol

Die Lyrikerin Oksana Stomina hat eine traumatische Flucht aus Mariupol erlebt. „Es ist unmöglich, das, was ich gesehen habe, auch nur ansatzweise zu teilen“, sagt sie und spricht von „mittelalterlichen Grausamkeiten, verstärkt durch moderne Technologien“. Derzeit arbeitet sie an einem Buch über die Ereignisse während der Belagerung mit dem Titel „Tagebuch von einem, der überlebt hat“.
Ein halbes Jahr war sie in München, gab Lesungen, erzählte ihre Geschichte. Im bayerischen Paralleluniversum musste sie oft an ihren Mann denken: Er kämpfte im Asowstal, befindet sich in russischer Gefangenschaft. Oksana hat nichts mehr von ihm gehört. Nun ist sie gerade zurück in Kiew und hofft, dort etwas über seinen Verbleib erfahren zu können.

Kunst macht Einzelschicksale sichtbar

Kunst kann ermöglichen, sich mit traumatischen Erlebnissen auseinanderzusetzen, wovon letztendlich die ukrainische Gesellschaft als solche profitieren könnte. Aufnahmen der Auftritte und Aufführungen geflohener Künstler*innen in Deutschland werden zudem fast immer über soziale Medien an die ukrainische Szene zu Hause geschickt und spenden dort Mut. Längst ist auf diese Weise eine Art Kulturbrücke ins kriegsgebeutelte Land entstanden.
Kunst vermag, hinter abstrakten Fakten, Einzelschicksale sichtbar zu machen, zu informieren und Empathie zu erzeugen. Vielleicht kann sie hierzulande die fortgesetzte Anteilnahme an den Geflohenen unterstützen. Wir sollten noch mehr tun, um es den Kulturschaffenden aus der Ukraine zu erleichtern, ihre Arbeit hier fortzusetzen und ihre Stimmen hörbar zu machen. Für sie, aber auch für uns.

Tanja Dückers, geb. 1968 in Berlin (West), ist Schriftstellerin, Publizistin und Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen u. A. die Romane „Himmelskörper“, „Der Längste Tag des Jahres“, „Spielzone“ und „Hausers Zimmer“, der Essayband „Morgen nach Utopia“ sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiografisch gefärbte Rückblick „Mein altes West-Berlin“. Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für ZeitOnline und das Deutschlandradio.

Tanja Dückers. Eine Frau mit langen Haaren lächelt.
© Anton Landgraf
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