Viel Raum für große Historie und Gefühle
Mit der selten gespielten und opulenten Oper "Krieg und Frieden" von Prokofjew feiert Jens-Daniel Herzog als neuer Intendant seinen Einstand am Nürnberger Staatstheater. Stellt er anfangs geschickt aktuelle Bezüge her, verliert er sich am Ende doch in Pathos.
Ungekürzt kommt Prokofjews Mammut-Oper nach Leo Tolstois Historienroman "Krieg und Frieden" auf knapp fünf Stunden Spieldauer. Für die erste Opernpremiere der neuen Spielzeit in Nürnberg haben Musikdirektorin Joana Mallwitz und Intendant Jens-Daniel Herzog sich für eine auf gut drei Stunden gekürzte Fassung entschieden, in der dennoch viel Raum für große Historie, große Gefühle und bombastische Klänge ist.
22 Solisten singen die vielen Rollen dieser Oper, und mit Chor, Extrachor und Statisterie präsentiert das Staatstheater Nürnberg zusätzlich ein enormes personelles Aufgebot auf der von Mathis Neidhardt konsequent schwarz gehaltenen Bühne des Opernhauses.
Napoleon Bonaparte als Staatsmann in den TV-Nachrichten
Regisseur Jens-Daniel Herzog stellt in der ersten Hälfte den Bezug zur Gegenwart durch geschickte Abstraktionen her, indem die Kostüme der russischen Gesellschaft auch der heutigen Mode entsprechen und Napoleon Bonaparte als Staatsmann durch TV-Nachrichten flackert. Nach der Pause, wenn die Gräuel des Krieges in den Vordergrund rücken, verliert sich dieser zeitgenössische Bezug allerdings mehr und mehr.
Unter den Solisten ragt das tragische Liebespaar Natascha und Andrej heraus, gesungen von der Sopranistin Eleonore Marguerre und Bariton Jochen Kupfer. Auch Zurab Zurabishvili als Pierre auf der Suche nach dem Sinn des Lebens liefert ein besonders eindrückliches Rollenportrait.
Regisseur Herzog zeigt in 13 Szenen mit Nebenschauplätzen ein zwischen Pathos und Satire schwankendes Bild einer Gesellschaft in der Krise: Geldgier, Skrupellosigkeit, Oberflächlichkeit und Gefühlskälte kommen bei vielen Protagonisten in zeitloser Gültigkeit zum Ausdruck.
Donnernd einstürzende Theaterwand
Der russische Patriotismus in Prokofjews Werk trägt unverkennbar propagandistische Züge, und die klagende russische Volksseele wirkt gegen Ende des Opernabend immer erdrückender. Insofern entsteht der Eindruck, dieses selten gespielte, opulente Werk sei auch in der Absicht gewählt worden, die neue Spielzeit mit einem weit hörbaren, mächtigen Paukenschlag zu eröffnen.
Nürnberg setzt all seine Kräfte mächtig in Bewegung, bis hin zur donnernd einstürzenden Theaterwand. Ob sich Volkes Stimme heute und hier in "Krieg und Frieden" wiederfinden kann, darf dennoch angezweifelt werden. Zu groß sind Pathos, Kitsch und Propaganda-Faktoren in diesem oszillierenden Werk zwischen interpretierter Geschichtsstunde einerseits und musikalischem Pomp andererseits.