Kriegsberichte

Wem trauen, um wen trauern?

Regisseur Marcel Ophüls zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur
Regisseur Marcel Ophüls sprach über seinen Film "Veillées d’armes - Die Geschichte der Kriegsberichterstattung" © Deutschlandradio - Bettina Straub
Von Thorsten Jantschek |
Reporter, Fotografen, Filmemacher und Wissenschaftler trafen sich im Berliner Haus der Kulturen zum Thema "Krieg erzählen". Sie diskutierten über kulturelle Mythen, Desinformation und Propaganda auf der einen Seite und das Leiden der Opfer auf der anderen – als schwere Belastung für die Sprache der Berichterstatter.
"Libyen 2011, ganz an Anfang der Revolution kam ich da hin. Was ich dort fand, war ein absolutes Chaos. Junge Leute, ein Spektakel, eine Performance aus Krieg und Befreiung. Ich war aber da, um die libysche Revolution zu erfassen. Aber was war das?"
Erzählt Jon Lee Anderson, Kriegsreporter für den "New Yorker":
"In der Nähe der Frontlinie traf ich einen Mann, dessen Sohn an der Front war. Er umklammerte mich und weinte, erzählte von Angst um seinen Sohn. Für mich war das wie eine Schablone für das, was da passiert. Ich war dann selbst an der Front und einen Tag später traf ich den Vater und sein Sohn war tot. Von diesem Augenblick an stellte die Geschichte von diesem Mann Osama und seinem Sohn Mohamed, der vielleicht eine Stunde nachdem er mich umklammert hatte, getötet worden war, für mich eine unmittelbare Beziehung zu dem her, was da geschah."
Nun sitzen sie lässig auf den Podien im Berliner Haus der Kulturen der Welt, diskutieren engagiert und eloquent über das Erzählen im Krieg. Der Kontrast zwischen dem, worüber sie sprechen, ihre Arbeit, und dieser Arbeit selbst wurde vielleicht am deutlichsten als der Regisseur Marcel Ophüls auf der Bühne steht, um in seinen fast vierstündigen Filmessay über die Arbeit der Kriegsreporter in Sarajevo in den 1990er-Jahren einzuführen.
Drehen, Schneiden, Reflektieren
Warum nicht den Krieg singen? In einem Duett mit einem Chanson von Georges Brassens? Statt ihn zu erzählen. - Was wie die Schrulle des 86-jährigen weltbekannten Regisseurs erscheint, hat Methode. Denn je länger man in diesem Film den Journalisten in ihren schusssicheren Westen, gepanzerten Wagen, beim Drehen, Schneiden und Reflektieren zusieht, je mehr man von ihren Skrupeln erfährt, von Zweifeln, wem man trauen kann, und um wen man trauern muss, desto zweifelhafter erscheint das Mitteilungsmedium Sprache, desto offensichtlicher wird die Last, die auf der Sprache, auf dem Erzählen von den Kriegen lastet.
Und zwar von Anfang an, wie die kroatische Schriftstellerin und Journalistin Slavenka Drakulic betont:
"Kein Krieg beginnt von einem Tag auf den anderen. Es mag aus der Ferne, wenn man zum Beispiel in Deutschland lebt und wenig Ahnung von Afghanistan, Syrien oder dem ehemaligen Jugoslawien hat, so scheinen, dass man sagt: 'Oh mein Gott, die leben doch fantastisch zusammen und jetzt gibt’s plötzlich einen Krieg. Wie kommen Nachbarn dazu, sich gegenseitig umzubringen?' Ich glaube, jeder Krieg braucht eine lange Vorbereitung: Jemand muss die Feinde erfinden, wirkliche oder vorgestellte. Und jemand muss die Menschen davon überzeugen, dass diese Feinde gefährlich sind. Und wie macht man das? Natürlich mit verschiedenen miteinander verbundenen Erzählungen."
Kulturelle Mythen, Lügen, Desinformation und Propaganda auf der einen Seite, pervertierte Sprache also. Und das Leiden der Opfer, das kaum eine Sprache finden kann und doch erzählt werden muss, auf der anderen Seite.
"Es ist doch ganz schwer, Gegenwärtigkeit zu erzeugen."
So der Historiker Valentin Groebner, der die Tagung mit kuratiert hat:
"Das heißt, mit dem auseinanderzusetzen, was jetzt gerade passiert, wenn das Massaker für Medien selbst zu einer Kriegswaffe geworden ist und in der wie zum Beispiel in Syrien die Nachrichtenkanäle des Internets selbst zu einem Mittel von Desinformation, Gegeninformation und erneuter Desinformation werden."
Skepsis gegenüber der Sprache
Die Erzählungen über den Krieg - etwa in Bosnien, in Ruanda, in Afghanistan oder dem Irak - sind an diesem Wochenende imprägniert von einer tief sitzenden Skepsis gegenüber der Sprache.
Carolin Emcke, Kuratorin der Tagung und selbst als Berichterstatterin in Kriegs- und Krisengebieten unterwegs:
"Fast alle Menschen, die hier auf der Tagung sind, artikulieren das Gefühl, dass sie versagen, dass ein Spalt sich auftut, zwischen dem, was man glaubt gesehen zu haben, gehört zu haben, gelitten zu haben, beobachtet zu haben, und der Möglichkeit, davon Menschen zu erzählen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben. Die Skepsis, ob es gelingt, diese Erfahrung zu vermitteln. Das hängt nicht nur von dem Zweifel der Sprache ab, sondern es hängt auch davon ab, ob man glaubt, ob es jemand gibt, dem man das erzählen kann. Es ist auch die Frage, ob wir diese Erzählung jemandem zumuten können. Glauben wir, dass jemand es aushält, dass wir die Last, die auf uns liegt, die wir in diesem Krieg erfahren haben, gewissermaßen teilt in der Sprache.
Und vielleicht ist dass der Grund, warum wir - ganz am Ende jenes Films von Marcel Ophüls über die Kriegsberichterstatter - einen Chirurgen in Sarajevo sehen, der unter menschenunwürdigen Bedingungen operiert, und vor der Kamera sagen soll, wie es ihm dabei geht? Er schweigt und beginnt, einen Gospel zu singen:
"Nobody knows the trouble I’ve seen."
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