Appell an die Menschlichkeit
Als die Ärztin Helga im Zweiten Weltkrieg in den Bergen Herzegowinas entführt wird, pflegt sie plötzlich die Verwundeten der "anderen Seite". Mit seinem Film "Die letzte Brücke" gelang Helmut Käutner 1954, die Trennung in Feinde und Freunde durch einen gemeinsamen Nenner zu ersetzen: Menschen.
"Die erste Brücke war die Brücke von Mostar. Die Leute dort unten in der Herzegowina nennen sie Türkenbrücke. Denn sie stammt noch aus der Türkenzeit. Seitdem sind viele fremde Eroberer herübergegangen von einem Ufer der Neretwa zum anderen. Es war Frühling. Aber es war Krieg!"
Es ist die Stimme des Regisseurs Helmut Käutner, die in den Film "Die letzte Brücke" hineinführt, nach Mostar, und mitten in das Jahr 1943. In diesen ersten Worten klingt schon an, was Käutners Kino auf so subtile Weise bewegend macht: Ein Humanismus ohne Pathos und eine vollkommen unheroische Sicht auf die Menschen: Da ist eine Brücke, die schon unendlich viel mehr erlebt hat als das, was in diesem Film geschehen wird. Jene Brücke, die ein halbes Jahrhundert später, während des Krieges in Bosnien und Herzegowina, zerstört werden wird. Jene Brücke, die hier, im Jahr 1943, noch intakt ist. Wir befinden uns im Frühling. "Aber es war Krieg."
Dieser Krieg tobt auch in den Bergen der Herzegowina. Die Deutschen haben den Balkan besetzt und halten - noch - die Partisanen in Schach. Im Lazarett der Wehrmacht arbeitet die Ärztin Helga Reinhardt. Maria Schell spielt diese junge Frau mit dem Schwung der Jugend und des Aufbruchs. Sie ist in einen jungen Offizier verliebt, fordert ihn mit ihrer offenen, direkten Art heraus. Auch ihren vorgesetzten Arzt verwickelt sie in Diskussionen. Und nach der Operation eines gefangenen Partisanen klingt sie bereits an, die große Frage dieses Films:
"Das da sind und bleiben für mich Banditen."
"Und warum haben Sie den Banditen dann zusammengeflickt?"
"Was hat denn das damit zu tun, ich bin doch Arzt. Objekt spielt doch gar keine Rolle."
"Nachdenklichkeit ist ja sehr schön und lobenswert, besonders für junge Mediziner. Aber im Krieg empfiehlt es sich, jede Art von Denken auszuschalten, weil man sonst ethische Bauchschmerzen bekommt, verstanden?"
"Gute Nacht, Herr Stabsarzt!"
Mit einem Trick wird Helga aus dem Krankenhaus gelockt und von Partisanen entführt. Sie wird gezwungen, deren Verwundete zu pflegen. Doch als unter den Partisanen Typhus ausbricht, bleibt sie freiwillig, um zu helfen. Spätestens jetzt fragt man sich, was "Die letzte Brücke" eigentlich für ein Film ist: Die Liebesgeschichte zwischen Helga und ihrem Offizier? Ein Kriegsfilm? Ein Anti-Kriegsfilm, der sich jugoslawischer Lieder bedient?
"Die letzte Brücke", am 11. Februar 1954 in den bundesdeutschen Kinos angelaufen, ist zunächst einmal ein mutiger Film. Diskussionen über die Verbrechen der Wehrmacht gab es in den 50er-Jahren nicht. Doch Helmut Käutner zeigt auf der Leinwand niedergebrannte bosnische Dörfer, tote Frauen, hilflos herumirrende Kinder. Die Weltkriegsgegner bekamen in den deutschen Filmen jener Jahre selten ein Gesicht. Käutner lässt seine Partisanen von deutschen Stars wie Bernhard Wicki oder Barbara Rütting spielen. Und er zeigt, wie seine Heldin ihren von Wicki gespielten Aufpasser Boro bald nicht mehr als Feind sehen kann.
Boro: "Warum nicht bei uns bleiben, helfen, freiwillig? Sie Faschismus hassen wie wir, ich glaube."
Helga: "Vielleicht, ... ich habe ein Vaterland.Wie Sie Boro, ich ..."
Begriffe wie Freund und Feind, Vaterland und Feindesland lösen sich im Laufe von Helmut Käutners Film auf angesichts der ärztlichen Aufgabe, zu helfen. Eben nicht in nationalistischen Bahnen zu denken, sondern der Utopie einer grenzüberschreitenden Verpflichtung zu folgen. Im Lager der Partisanen pflegt Helga deutsche wie bosnische Soldaten. Die Uniformen verlieren für sie jede Bedeutung. So wie für den Zuschauer. Nach der Uraufführung von "Die letzte Brücke" schrieb der Kritiker Gunter Groll in der Süddeutschen Zeitung.
"Hier endlich sind Soldaten, wie Soldaten waren. Weder Übermenschen, noch Unmenschen. Sondern Menschen. Sie erstrahlen weder in heldischem Glanze. Noch werden sie angeschwärzt. Sie kämpfen, ohne zu hassen. Sie leiden ohne viel Aufhebens."
Der 1908 geborene Helmut Käutner drehte während der Nazi-Zeit Filme, verweigerte sich jedoch Goebbels' Propagandamaschinerie. Er war ein Regisseur der leisen Opposition. Seine melancholische Ehebruchgeschichte "Romanze in Moll" wurde 1942 als defätistisch eingestuft, sein Reeperbahnfilm "Große Freiheit Nr. 7" mit Hans Albers in Deutschland als sittenzerstörend verboten, seine zarte Liebesgeschichte "Unter den Brücken" erzählt von Heimatlosigkeit und Unsicherheit und wird bis heute als Meisterwerk gefeiert. Aber erst nach dem Krieg, in "Die letzte Brücke", konnte Helmut Käutner endlich auch offen sagen, was er von der Ideologie jener Jahre hielt:
"Das geht nicht in meinen Kopf, Helga, Du hilfst dem Feind?"
"Hast du es einmal erlebt? Hast Du einmal zugesehen, wie die Menschen wegsterben unter den Händen? Und du kannst nicht helfen! Da lernst du begreifen, dass es keine Feinde mehr gibt."
"Ach was, Feinde. Banditen! Gesindel!"
"Nein! Menschen!"