Die Risiken liegen im Westen, in der NATO. Russland hat seit 2008 gebeten, die Interessen Russlands zu berücksichtigen. Die Europäische Sicherheit ist unteilbar.
Kriegsgefahr in der Ukraine
Gefahr aus dem Westen? Russland sieht durch die Erweiterung der NATO seine Sicherheit bedroht. © picture alliance / Anadolu Agency
Wie soll der Westen agieren?
53:42 Minuten
Russland sieht durch den Westen seine Sicherheitsinteressen verletzt. Deswegen verstärkt Moskau sein Militär in der Nähe zur ukrainischen Grenze. Deutschland, die EU und die NATO ringen um eine gemeinsame Antwort darauf.
Er sei in „großer Sorge“, sagt Riho Terras. Der estnische EVP-Abgeordnete war früher Befehlshaber der Streitkräfte seines Landes. Ein Krieg in Europa sei immer schlecht und die Entscheidung über einen Krieg liege beim russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Die NATO sei in ihrer jetzigen Verfassung nicht für einen Krieg bereit, findet Terras: „Ich glaube überhaupt nicht, dass es um die Ukraine geht. 2008 hat Putin schon gesagt, dass die Ukraine keine eigenständige Nation ist. Es geht darum, dass ein Land mit dem Bruttoinlandsprodukt von Holland versucht, der Welt zu zeigen, wie stark sie sind, obwohl sie gar nichts in der Hand haben.“
„Europäische Sicherheit ist unteilbar“
Nicht Russland, sondern die NATO habe den jetzigen Konflikt mit der Ukraine provoziert, meint der Leiter des Zentrums für Deutschland-Studien am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, Vladislav Belov. Der russische Präsident Putin sei nicht an einem Krieg, sondern an einer Lösung des Konflikts interessiert und wolle diese am Verhandlungstisch herbeiführen.
Die Sicherheitsexpertin und frühere strategische NATO-Analystin Stefanie Babst versteht das Vorgehen Putins an den Grenzen der Ukraine als Teil eines größeren Puzzles. Bisher habe der Westen dies „nicht kohärent gesehen“ und sei „sehr reaktiv“ gewesen.
Geschlossene Reihen des Westens
Aus dieser reaktiven Haltung versuche man jetzt, „mühsam wieder herauszukommen“. Unter dem Druck Russlands schlössen sich jedoch die Reihen in der Europäischen Union und der NATO nach und nach.
Sie rechne damit, dass der Westen zu einer gemeinsamen Haltung gegenüber Russland finden werde, so Babst: „Es gibt unheimlich enge Abstimmungen. Im Großen und Ganzen sehe ich, dass sich die Reihen schließen. Finnland und Schweden stellen sich ganz offen in ihren Parlamenten die Frage, ob sie nicht auch eine NATO-Mitgliedschaft anstreben sollten. Das ist auch ein Resultat der Aktivität des russischen Präsidenten.“
Instrumentalisierung der Ukraine „inhuman“
Die ukrainische Autorin, Übersetzerin und Verlegerin Kateryna Mishchenko beklagt, dass die ukrainische Perspektive in der gegenwärtigen Krise zu wenig berücksichtigt wird. Die Ukraine sei zu einem „Instrument der Erpressung“ geworden.
14.000 Ukrainer seien in den vergangenen acht Jahren ums Leben gekommen, anderthalb Millionen Ukrainer seien Binnenflüchtlinge in ihrem eigenen Land. „Es gibt einen großen Bedarf, miteinander zu sprechen. Aber die Ukraine gibt es in dieser Diskussion irgendwie nicht, obwohl die unmittelbare Gefahr auf unserem Territorium am realistischsten ist. Die Ukraine ist sehr verletzbar und sehr exponiert. Warum muss man unsere Alltagsruhe nehmen, damit jemand mit Putin spricht? Das finde ich inhuman und eigentlich falsch.“
Ukrainer mehrheitlich für NATO-Beitritt
Der seit acht Jahren dauernde Krieg habe in der Ukraine zu einer wachsenden Orientierung nach Westen geführt, sagt Mishchenko. „Vor dem Krieg 2014 gab es in der Ukraine ungefähr 18 Prozent der Bevölkerung, die für den NATO-Beitritt waren. Jetzt sind es ungefähr 60 Prozent. Früher waren die Ukrainer skeptisch gegenüber der NATO. Jetzt sehen sie die Mitgliedschaft als Möglichkeit, sich zu schützen.“
(ruk)
Es diskutieren:
- Stefanie Babst, Sicherheitsexpertin und ehemalige stellvertretende beigeordnete NATO-Generalsekretärin
- Kateryna Mishchenko, Autorin, Übersetzerin und Verlegerin
- Vladislav Belov, Leiter des Zentrums für Deutschland-Studien am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau
- Riho Terras, EVP-Abgeordneter im EU-Parlament und ehemaliger Befehlshaber der estnischen Streitkräfte