Die gesamte Sendung 50 Jahre "Der Kommissar" können Sie hier nachhören (35:10 min.): Audio Player
Wie etwas gesagt wird, über das nicht geredet werden kann
10:15 Minuten
In der deutschen TV-Unterhaltung war in den ersten Jahrzehnten nach 1945 die Nazizeit kein Thema. Doch unterschwellig wurden Traumata und Schuldfragen doch verhandelt - auch in der Serie "Der Kommissar", für die Herbert Reinecker das Drehbuch schrieb?
Wird unterschwellig in der TV-Serie "Der Kommissar" auch die deutsche Schuld im Nationalsozialismus verhandelt? Zu diesem Schluss kommt zumindest ein Videoclip der Künstlergruppe reproducts von 1994: "Der Kommissar - Todesboten".
Das Video arbeite das zentrale Moment der "Kommissar"-Folgen heraus, sagt unser Autor Matthias Dell: und zwar das Überbringen der Todesnachricht an die Hinterbliebenen. Es lief häufig nach folgendem Muster ab:
Ewalt Tamm ist ermordet worden? – Ermordet? – Sagten Sie ermordet? – Ja, er ist erschossen worden, heute morgen gegen 4 Uhr.
"Das beständige Infragestellen, das nicht wiederkehrende Nichtglaubenkönnen – das alles fokussiert die Schuld, mit der der Drehbuchautor Herbert Reinecker ringt, der seine Figuren so sprechen lässt. So ist im 'Kommissar' das Schweigen über die deutsche Schuld archiviert", sagt Dell.
Die Regisseurin Regina Schilling hält es allerdings für fraglich, dass Reinecker sich bewusst mit dieser Schuld auseinandergesetzt habe. "Die Frage ist, ob er das wirklich tut oder ob er das eben auch ausblendet und das alles ganz unbewusst ist."
Offenbar war der Drehbuchautor tief in den Nationalsozialsimus verstrickt: Reinecker sei nicht nur SS-Mitglied gewesen, sondern auch Hauptschriftleiter der Propagandaorgane der HJ, "Der Pimpf" und "Junge Welt". Noch im April 1945 habe er einen Leitartikel mit Durchhalteparolen geschrieben, so Schilling. Nach Kriegsende habe er zwar erstmal abtauchen müssen, habe es aber doch irgendwie durch die Entnazifizierung geschafft.
"Ich muss das einfach komplett ausblenden"
Dass die Zeit des Nationalsozialismus am Set von "Der Kommissar" überhaupt Thema war, bezweifelt Schilling ebenfalls - obwohl mit Lilli Palmer eine von den Nationalsozialisten verfolgte Jüdin dort mitspielte. "Lilli Palmer erzählt in ihrer Autobiografie 'Dicke Lilli, gutes Kind', dass sie sich anfangs immer gefragt hat, was hat der Kellner hier gemacht, was hat der da gemacht?", so Schilling. "Und dann hat sie sich irgendwann gesagt, das hat keinen Sinn, ich muss das einfach komplett ausblenden. Und dann kann man wahrscheinlich auch lustig sein und Späße machen und es ist einfach nicht existent."
Das gilt offenbar auch für Heinz Rühmann, während der Nazizeit und danach ein gleichermaßen populärer Schauspieler, der meist in heiteren Rollen auftrat.
Rühmann habe für sie auch etwas Rätselhaftes, Melancholisches, auch eigentlich in diesem Liebsein ein verschlossenes Gesicht gehabt, sagt Schilling. "Wenn ich mir überlege, was der Rühmann wiederum erlebt hat im Dritten Reich. Der hat die Goebbels-Kinder inszeniert, Geburtstagsfilme für Goebbels, und weiß hinterher, sie sind alle von den Eltern umgebracht worden. Seine Frau ist von den Russen vergewaltigt worden, und er musste dabei zuschauen."
In ihrem Dokumentarfilm "Kulenkampffs Schuhe" (D 2018, 92 min.) befasst sich die Filmemacherin Regina Schilling am Beispiel der Fernsehunterhaltung mit der Kultur der Verdrängung in der Nachkriegszeit.
(uko)