Kriegstüchtigkeit

Kommentar: Unser Bild vom Krieg ist falsch

03:57 Minuten
Blick auf den Grünen Bunker am Heiliggeistfeld. Seit 2019 wird der graue Hochbunker an der Feldstraße mit einem fünfstöckigen Pyramidenbau mit Dachgarten, Hotel, Multifunktionshalle, Ausstellungsräumen, Flächen für Stadtteilinitiativen und Urban Gardening sowie Gedenkorte für Opfer des NS-Regimes aufgestockt.
Der Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg in St.Pauli hat inzwischen eine ganz andere Verwendung erfahren. © dpa / Markus Scholz
Ein Kommentar von Simone Schmollack · 25.06.2024
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Unsere Vorstellung vom Krieg ist vor allem von den Bildern zerstörter Städte des Zweiten Weltkriegs geprägt. So würde der Kriegsfall aber gar nicht aussehen. Stattdessen sollten wir auf Desinformation und Sabotage achten.
Haben Sie sich schon ein Bett in Ihrem Keller gebaut? Und dort jede Menge Wasserflaschen, Knäckebrot, Hülsenfrüchte und Dosenfleisch deponiert? Dazu  batteriebetriebene Lampen, eine Splitterpinzette und genügend Schmerzmittel? 
Nein? Dann sind Sie auf jeden Fall kein Prepper, also niemand, der für eine Katastrophe ausgerüstet ist. Dabei sollten Sie das sein. Nimmt man die Hinweise aus dem „Sachstandsbericht zur Entwicklung eines modernen Schutzraumkonzepts“ des Bundes ernst, müssen wir uns alle auf einen worst case vorbereiten. Denn es könnte bald wieder Krieg herrschen in Deutschland. Jedenfalls droht Russlands Diktator Putin immer wieder mit Atomraketen und jüngst mit einer, wie er es ausdrückt, „asymmetrischen Antwort“, sollten westliche Waffen Russland erreichen.

Der Krieg ist zurück in den Köpfen

Da ist es dann nur logisch, dass auch das Bundesinnenministerium kürzlich neue Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung erlassen hat, von Richtlinen über die Befehls- und Kommandogewalt im Ernstfall bis zu Fragen der Versorgung der Zivilbevölkerung und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.
Das alles geht natürlich nicht ohne die Bundeswehr. Die ist aber nicht in der besten Verfassung, muss laut Verteidigungminister Pistorius erst wieder „kriegstüchtig“ gemacht werden. Dafür will er nicht nur die klassischen Streitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe neu strukturieren und mit Cyber- und Weltraumkriegern ergänzen, sondern auch die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wiederbeleben. „Im Ernstfall“, so sagt es der SPD-Minister, „brauchen wir wehrkräftige junge Frauen und Männer, die das Land verteidigen können.“
Der Krieg ist also zurück in Deutschland – zumindest in den Köpfen der Politiker.
In der Köpfen der jungen Leute scheint er noch nicht angekommen zu sein: Zwar befürwortet eine Mehrheit der Bundesbürger:innen verschiedenen Umfragen zufolge eine Wehrpflicht, aber ausgerechnet jüngere Menschen wollen nicht zum Bund. Ich kann es verstehen: Klimakrise, Wohnungsnot, eine überalterte Gesellschaft – junge Menschen schauen in keine rosige Zukunft. Und jetzt sollen sie auch noch lernen, ein Sturmgewehr zu bedienen?

Desinformation statt Bomben

Auch sonst  gibt es ein Problem: Die meisten Schutzbunker, die im Zweiten Weltkrieg vielen Menschen das Leben retteten, existieren heute nicht mehr. Aus manchen wurden Häuser, aus anderen Tiefgaragen. Was also tun, wenn Putin seine Drohung wahr macht und Raketen nach Berlin, Hamburg, München schickt? Die Katastrophenexperten haben Vorschläge: nicht nach Hause hetzen, sondern so rasch wie möglich in den nächsten Keller, in ein Kaufhaus oder in einen U-Bahn-Schacht fliehen. Auch Tunnel sollen Schutz vor Einschlägen bieten.
Aber warum das alles? Unsere Vorstellung vom Krieg scheint vor allem von den Bildern geprägt zu sein, die wir aus dem Zweiten Weltkrieg kennen. Doch so würde der Kriegsfall hier nicht aussehen. Die Katastrophenexperten jedenfalls erwarten – trotz der Bilder aus der Ukraine – im Kriegsfall hierzulande keine „flächendeckenden Bombardements“. Ganze Städte so wie im Zweiten Weltkrieg würden jedenfalls nicht zerstört. Stattdessen müssen wir vor allem vermehrt mit sogenannter hybrider Kriegsführung rechnen.
Heute sollten Sie vielmehr auf gezielte Desinformationen achten, die auf Ihrem Handy und in den sozialen Netzwerken landen können. Auch mit Spionage und Sabotage ist zu rechnen, darunter auf Bahnstrecken. Bevor Sie sich also zum Gespött der Leute machen, weil Sie Decken in Ihren Keller tragen, packen Sie lieber genügend Wasserflaschen und Stullen in Ihr Reisegepäck.
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