Den Tätern ein Gesicht geben
Stefan Ruzowitzky nennt seinen neuen Film selbst ein "Non-Fiction-Drama". "Das Radikal Böse" – so heißt das Werk und es widmet sich den Massenerschießungen von Juden im Osten Europas durch die deutsche Wehrmacht ab 1941. Der österreichische Regisseur erzählt im Interview von seinen Intentionen.
Waltraud Tschirner: Herr Ruzowitzky, es gibt in Ihrem Film, in dem Oscar-prämierten Film "Der Fälscher" eine Figur, gespielt von Devid Striesow, der eigentlich all das schon in sich hat, was der Film jetzt auf den Punkt bringt: Ein ganz normaler Mensch, ein kultivierter Mensch geradezu, der ein liebevoller Vater ist und der eben dann doch als KZ-Kommandant einfach ein Ungeheuer ist.
Warum mussten Sie sich diesen schweren Themas noch mal in einem neuen Film annehmen?
Stefan Ruzowitzky: Der Zusammenhang stimmt und ist auch nicht zufällig. Ich war im Zuge der Recherchen für "Die Fälscher" auf diesen Zugang gestoßen, auf die Bücher von Browning in erster Linie. Und das hat mich damals sehr fasziniert, interessiert, weil ich so ein bisschen für mich selber darauf gekommen bin, warum mich das alles so interessiert oder ich mich damit beschäftige.
Eben nicht in erster Linie, weil es da noch irgendwelche Täter festzumachen gäbe, sondern wegen der psychologischen Analyse, dass man sagt jetzt gerade als Geschichtenerzähler, wo man sich ja von Berufs wegen damit beschäftigt, warum ticken Menschen so, wie sie ticken, und gerade in so einem Extremfall ist das dann natürlich besonders interessant. Deswegen auch der Zugang wie jetzt hier beim "Radikal Bösen", wo es eben in erster Linie darum geht, wie halt ganz normale, nette, mehr oder weniger kultivierte Menschen plötzlich zu solchen massenmörderischen Bestien werden können.
Tschirner: In Ihrem Film ist das, finde ich, wirklich Neue und gut Funktionierende, dass Sie eine Machart gefunden haben, diese Mischung aus diesen Wehrmachtssoldaten, denen man aber ansieht, sie haben zwar die Uniform, es sind aber heutige Gesichter - woran auch immer man heutige Gesichter erkennt -, und dazu gibt es einfach Stimmen aus dem Off. Ich vermute mal, das hat ganz viel Hirnschmalz gekostet, dahinzukommen und dann wirklich was richtig Neues für diesen Punkt zu finden?
Ruzowitzky: Ich muss jetzt ganz, ganz eitel auch sagen, dass es mich selber positiv überrascht hat, wie gut das funktioniert und dass das echt so einen Mehrwert des Verstehens bringt. Ich kann mich erinnern, als ich das erste Mal diese Zitate gelesen habe - das ist ja teilweise so abartig grausam, wo man sich denkt, wenn man das liest, was für moralische Aliens müssen das sein, was für Monster, die so was denken und so was aussprechen -, und wenn man das dann kontrastiert sieht mit diesen pickeligen Jungsgesichtern, dann kommt man darauf, womöglich waren die Täter damals genauso unsichere Pickelgesichter, die sich halt in dem einen wichtigen Moment nicht getraut haben zu sagen, jetzt mache ich nicht das, was alle anderen machen, sondern jetzt beziehe ich einmal in meinem Leben eine moralische Position. Und das, finde ich, leistet der Film irgendwie sehr nachdrücklich.
Grausamkeiten als etwas zutiefst Menschliches
Tschirner: Aber um noch mal nachzuschieben, Sie haben da schon offenbar eine ganze Weile dran getüftelt, weil, man muss ja genau diese Mischung erst mal finden, dass der potenzielle Zuschauer überhaupt bereit ist - es ist ja ohnehin eine große Herausforderung -, aber dass der bereit ist und sich hingibt und sagt, ja, das Thema gucke ich mir so an.
Ruzowitzky: Ich glaube, die Balance, die es zu finden gab, ist, dass man einerseits den Tätern ein Gesicht gibt, um eben das auszudrücken, was da ja auch meine Experten wie dieser Priester, der französische, zum Beispiel sagt, diese Grausamkeiten, dieser Genozid ist etwas zutiefst Menschliches, das ist nichts Unmenschliches, wir haben die Anlage dazu.
Aber ohne jetzt in die Falle zu laufen, durch eine Dramatisierung zu einer Identifikation zu führen, dass man sich als Zuschauer mit denen identifiziert und mit denen mitlebt und leidet und dann ein empathisches Verständnis für die bekommt, das wollte ich auf keinen Fall.
Aber ohne jetzt in die Falle zu laufen, durch eine Dramatisierung zu einer Identifikation zu führen, dass man sich als Zuschauer mit denen identifiziert und mit denen mitlebt und leidet und dann ein empathisches Verständnis für die bekommt, das wollte ich auf keinen Fall.
Tschirner: Es ist immer wieder verblüffend, also, man hört immer neue Zitate, Sie haben auch schon davon gesprochen, für mich zum Beispiel eins, wo mir die Luft zum Atmen wegblieb, ein Familienvater, der es wirklich für eine humane Tat hält, Kinder erschossen zu haben, kleine Kinder, weil sie ja ohne Mutter sowieso hätten ganz schlecht weiterleben können.
Und man denkt, meine Güte, wie weit kann es gehen auch, dass man sich im Kopf Dinge zurechtdreht! Also, da ist auch für mich immer noch die Frage, obwohl ich so viele Wahrheiten in dem Film hatte: Es ist klar, es ist Gruppendynamik, es ist Ansage von oben, es sind Befehlsverweigerungen, die man nicht eingehen will mit allen Folgen, Männlichkeitsgebaren, also, man kann da vieles zusammen aufzählen, und denke ich: Aber genau in dem Moment, wo ich einen Menschen gegenüber habe und den erschießen muss, das Leben auslöschen, da muss doch irgendeine Schwelle sein, da muss doch irgendwas funktionieren, warum tut es das so selten?
Ruzowitzky: Nein, das ist auch ... Also, gerade dieser Teil mit den Kindern ist für mich trotz aller psychologischen Erklärungsansätze jener Teil, wo ich auch nicht mehr mitkomme. Weil es mir auch so gegangen ist, in dem Moment, wo ich selber Kinder bekommen habe, wird man dafür sensibilisiert. Und da verkrampft sich in einem alles, wenn man nur liest, dass irgendwo ein Kind bei einem Unfall verunglückt ist, oder in Spielfilmen sieht, dass Kindern etwas angetan wird. Und das sind Leute, die eben selber Familienväter sind, die selber Kinder haben. Und wie die das dann vor sich rechtfertigen können, dass sie so was machen, also, da fehlt mir dann auch das psychologische Einfühlungsvermögen.
Tschirner: Wie haben sie überhaupt recherchiert? Das sind ja wirklich sehr aussagestarke und in der Mischung noch stärkere Geschichten, die wir uns da angucken und anhören. Welche Quellen hatten Sie?
Ruzowitzky: Das sind sehr viel interessanterweise Zitate aus Gerichtsprotokollen. Weil, in den 60er-, 70-Jahren wurden da einige der Täter vor Gericht gestellt. Das sind dann Zitate aus den Protokollen, als die erstmals befragt wurden, was auf eine Weise die Sache ja noch mal grausamer macht.
Weil das heißt, dass die Täter in den 60er-, 70er-Jahren geglaubt haben, sich mit solchen Aussagen noch verteidigen zu können, oder geglaubt haben, dass das ihr Gegenüber verstehen würde oder sie in einem besseren Licht dastehen lassen würde, wenn sie eben gesagt haben, ja, ich habe mich eben bemüht, nur Kinder umzubringen, weil das ein Akt der Barmherzigkeit war. Wo man auch sieht, wie nachhaltig diese Gehirnwäsche war, der die Leute sich da unterzogen haben.
Weil das heißt, dass die Täter in den 60er-, 70er-Jahren geglaubt haben, sich mit solchen Aussagen noch verteidigen zu können, oder geglaubt haben, dass das ihr Gegenüber verstehen würde oder sie in einem besseren Licht dastehen lassen würde, wenn sie eben gesagt haben, ja, ich habe mich eben bemüht, nur Kinder umzubringen, weil das ein Akt der Barmherzigkeit war. Wo man auch sieht, wie nachhaltig diese Gehirnwäsche war, der die Leute sich da unterzogen haben.
Tschirner: Sie kontrastieren im Film diese Aussagen, die man sich anhört, und die Bilder dazu immer wieder mit psychologischen Versuchsanordnungen. Es fängt beim Rorschachtest an, geht mit allen möglichen Experimenten buchstäblich weiter, die man zum Teil auch als Filme schon gesehen hat. Das funktioniert ganz gut, warum haben Sie das gemacht, ist das genau Ihre persönliche Schnittmenge zwischen dem Historiker Ruzowitzky und dem Psychologen?
Ruzowitzky: Ja, wahrscheinlich. Und wir haben es halt sehr stilisiert gemacht, weil, diese Tests, das sind so die Klassiker, die Standardtests, was man in der Oberstufe in der Schule auch lernt. Also, da ging es jetzt nicht darum, dass ich glaube, dass ich da jetzt meinem Publikum was völlig Neues darbiete, aber einfach noch mal so in dieser Unerbittlichkeit das gegenüberstelle und eben sage, hier ist, wie die Mechanik im Gehirn abläuft, und hier, gleich daneben, sehen wir dann auch die Auswirkung, was ja dann im Psychologieunterricht manchmal nicht so stattfindet, dass man sieht, den Milgramtest, es bleibt eben nicht dabei, dass einer in einer Versuchsanordnung auf den Knopf drückt und Menschen auf Befehl Schmerzen zufügt oder sterben lässt, sondern das passiert ganz konkret auch in der Wirklichkeit.
Ergründen, was da falsch gelaufen ist
Tschirner: Diese Unzufriedenheit, die man als Zuschauer oder als Leser solcher Geschichten, wo immer wieder in der Quintessenz steht, es sind ganz normale Menschen, die zu solchen Morden unter bestimmten Umständen befähigt sind, also, diese Unzufriedenheit, glaube ich, mit dem Fakt führt dazu, dass am Ende immer wieder Leute wie Sie auch kritisiert werden, weil man sagen kann: Na toll, jetzt stellt sich wieder einer hin und liefert uns genau die Erklärung dafür, dass so was ja ganz normal ist. Also, am Ende werden die verteidigt und geradezu freigesprochen von Ihnen. Wie gehen Sie mit solchen Vorwürfen um?
Ruzowitzky: Das ist natürlich immer eine Balance, wenn man Verbrechen und eben auch so schreckliche Verbrechen wie diese versucht zu erklären, dass das missverstanden werden kann als Entschuldigung. Aber andererseits glaube ich halt schon auch, dass man das gerade auch den Opfern schuldig ist, dass man sich mit den Tätern auch beschäftigt und versucht darauf zu kommen, was ist da falsch gelaufen, wie konnte so was passieren, was für politische, soziologische Mechanismen waren notwendig, damit es so weit kommen konnte, und wie kann man so was für die Zukunft verhindern.
Aber ich glaube, was auch ganz wichtig ist, dass man sagt, es gibt, also wie man auch im Film sieht, genug Gründe, die einen psychologisch ... oder psychologische Mechanismen, die einen dahinbringen, so schreckliche Dinge zu tun. Aber auf der anderen Seite gibt es sehr wohl immer auch die, die trotzdem eine andere moralische Position einnehmen, die trotz alldem nicht mitmachen, sich verweigern, nicht auf den Knopf drücken, nicht den Abzugshahn drücken. Das wird in dem Film auch gesagt. Es gibt Gründe, Böses und Schreckliches zu tun, aber es gibt sehr wohl auch genug Gründe, dass man was anderes macht und seine Integrität bewahrt.
Tschirner: Nach dem "Fälscher" und diesem neuen wird der Oscar-Preisträger Ruzowitzky jetzt für alle Zeiten in dieser Ecke festgenagelt werden, weltweit, denke ich. Ich vermute mal, gleichzeitig haben Sie vielleicht keine Lust. Wie können Sie fliehen?
Ruzowitzky: Ach, dazwischen habe ich ja Hollywood-Thriller gemacht. Ich kriege natürlich relativ viel Angebote mit Nazi-, Holocaust-Themen und sehr, sehr viele, praktisch die allermeisten davon sage ich ab, weil ich eben da nicht festgenagelt werden möchte.
Aber hin und wieder gibt es dann einfach Sachen, wo man dann einfach nicht widerstehen kann, wo man sagt, das ist einfach irgendwas, wo ich einfach jetzt Lust drauf habe, mich damit zu beschäftigen, wie es in dem Fall eben auch war. Und eben auch das Interesse, mal wieder eine ganz andere Form zu wählen, eben Dokumentarfilm.
Ich habe ja angefangen beim Fernsehen als Dokumentarist, und da wieder zurückzukommen und wieder mal auf der anderen Seite des Mikrofons zu sitzen, fand ich eigentlich auch wieder sehr schön.
Ich habe ja angefangen beim Fernsehen als Dokumentarist, und da wieder zurückzukommen und wieder mal auf der anderen Seite des Mikrofons zu sitzen, fand ich eigentlich auch wieder sehr schön.
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