Kriegsverbrecher und Attentäter

Eine unheilige Allianz der Anti-Kosmopoliten

04:43 Minuten
Der Attentäter steht verpixelt zwischen zwei Polizisten in einem Gerichtssaal im neuseeländischen Christchurch.
Der mutmaßliche Christchurch-Attentäter muss sich nun vor Gericht verantworten. © Mark Mitchell / Getty Images
Von Sabine Adler · 04.04.2019
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Was hat der Attentäter von Christchurch mit dem Massenmörder Anders Behring Breivik gemein? Unter anderem dies: Beide verehrten die serbischen Kriegsverbrecher Radovan Karadžić und Ratko Mladić. Ein bosnischer Politologe hat ihre Pamphlete analysiert.
Der eine tötete 77 Jugendliche einer sozialdemokratischen Nachwuchsorganisation in Norwegen, der andere 50 Muslime in einer Moschee in Neuseeland. Doch obwohl sich beide Opfergruppen stark unterscheiden, entdeckte der bosnische Politologe Jasmin Mujanović zwischen den Attentätern einige Gemeinsamkeiten:
"Beide verbindet die ultrarechte Kritik an den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten 30 Jahre sowohl in Norwegen als auch in Australien bzw. Neuseeland. Die Entstehung multikultureller Gesellschaften, in denen die Muslime die angeblichen Profiteure sind, weil sie in ihre Länder immigrieren konnten. Breivik hat in Norwegen die Sozialdemokraten beschuldigt, die Architekten dieser kosmopolitischen Gesellschaft zu sein."
Sowohl der Australier als auch der Norweger haben vor ihrer Tat Pamphlete verfasst. Jasmin Mujanović analysierte Breiviks über 1.000 Seiten.

Sie verstehen sich als Vorreiter des Anti-Islamismus

Bei dem Attentäter von Christchurch war der Umfang weit geringer, und er hat sich eindeutig auf Breivik bezogen, sagt der 32-jährige bosnische Wissenschaftler, der herausfand, dass beide Terroristen die Leidenschaft für verurteilte serbische Kriegsverbrecher teilten und sie als Vorreiter im anti-islamischen Kampf feierten.
"Bizarrerweise war Breivik ganz besonders davon angetan, wie Karadžić westlichen Medien gegenüber den Bosnienkrieg verkaufte. Er stellte Bosnien als eine unhaltbare, unnatürliche Gesellschaft dar, weil sie multikulturell war und in der die Serben angeblich unterdrückt wurden. Sowohl Karadžić als auch Mladić ging es mit ihrer Ideologie um die Rechtfertigung des Krieges und Genozids, der Vertreibungen und der Konzentrationslager. Sie sahen sich in einem Kampf der Zivilisationen, zwischen Christentum und Islam. Bosnische Muslime waren für sie Eindringlinge und Fremde in Europa."
Das Graffiti in Belgrad zeigt den bosnischen Serben Radovan Karadzic, der für seine Beteiligung an Kriegsverbrechen zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.
Das Graffiti in Belgrad zeigt den bosnischen Serben Radovan Karadzic, der für seine Beteiligung an Kriegsverbrechen zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde.© AFP
Karadžić bezog sich seinerzeit auch auf den bosnischen Literaturnobelpreisträger Ivo Andrić, erklärt Jasmin Mujanović, der zwischen seiner Geburtsstadt Sarajewo und der Elon University in North Carolina pendelt. Der Schriftsteller Andrić hatte die Gleichzeitigkeit von Muezzin-Rufen und Glockengeläut als eine Art Kulturkampf in Bosnien dargestellt. Ihn aber für die Rechtfertigung des Bosnien-Krieges heranzuziehen, sei eine Instrumentalisierung des durchaus umstrittenen Literaten gewesen, sagt Mujanović per Skype.

Christchurch-Attentäter reiste zum Balkan

Breivik soll eine Obsession für den Balkan entwickelt haben, der Australier wiederum hatte auf seine Waffen die Namen von serbischen und kroatischen mythologischen Figuren beziehungsweise historischen Schlachten graviert. Er reiste sogar nach Europa. Hiesige Behörden prüfen, ob er auch in Deutschland war. Wahrscheinlich machte er Station in Kroatien, Montenegro, Bosnien und Serbien, sicher in Bulgarien. Und doch ist der Australier quasi ein Second-Hand-Verehrer der serbischen Kriegsverbrecher, der offenbar Karadžić-Songs liebte. Jasmin Mujanović:
"Der Song ist eins der massenhaft billig produzierten Propagandalieder der serbischen Nationalisten, die den Genozid, Krieg, Karadžić und Mladić verherrlichen. Mit diesem Song wird jetzt per Video eine neue Geschichte erzählt, die sich unter weißen Nationalisten rasend schnell verbreitet hat. Zu sehen ist ein furchteinflößender Akkordeonspieler in Fleckentarn-Uniform. Er wird zu einem meme. Der alte Kämpfer verwandelt sich in einen sogenannten Kebab-Vernichter, was ein sarkastischer Ausdruck für einen Türken- oder Muslim-Mörder ist. Der Christchurch-Attentäter hörte im Auto den Original-Song und in seinem Manifest bezieht er sich auf das Video, nennt sich selbst einen Kebab-Vernichter."
In diesen sogenannten Internet-Memes wird Geschichte verhöhnt, mutiert sie zur Comedy. Viele junge Leute erfahren erstmals im Netz etwas über den Genozid an der muslimischen Bevölkerung in Bosnien auf diese pervertierte und zynische Art. Die weißen Ultrarechten machen das auch mit dem Holocaust, um antisemitische Stimmungen zu bedienen. Für solche Tabu-Brüche gibt es offenbar ein begeistertes Publikum.
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