Kriegsverbrecherprozess in Kiew
Der Anwalt des verurteilten Soldaten hat gegen das Urteil bereits Berufung angekündigt. © pa/NurPhoto/Maxym Marusenko
"Alles spricht dafür, dass es ein faires Verfahren gewesen ist"
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Ein russischer Soldat wurde in der Ukraine wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil zeige, dass Gerechtigkeit möglich sei und beuge der Selbstjustiz vor, sagt Wolfgang Schomburg, früherer Richter am Kriegsverbrechertribunal.
Im ersten ukrainischen Kriegsverbrecherprozess ist ein russischer Soldat zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht in Kiew sah es als erwiesen an, dass der 21-jährige Panzersoldat einen Zivilisten in der Region Sumy erschossen hatte. Ukrainischen Ermittlern zufolge war der russische Konvoi des Soldaten zuvor angegriffen und zurückgeschlagen worden.
Der 21-jährige aus Sibirien stammende Mann hatte die Tat gestanden. Ein Vorgesetzter habe ihm befohlen, den Ukrainer zu erschießen. Daraufhin habe er ihm in den Kopf geschossen, erklärte der Soldat.
Schneller Beginn der Verfahren ist wichtig
Dass die Kriegsverbrecherprozesse in der Ukraine so zügig beginnen, sei eine Besonderheit, betont der frühere Richter Wolfgang Schomburg. Er war der erste deutsche Richter am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag und Richter am Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda in Tansania.
"Das ist sehr wichtig", sagt Schomburg und verweist darauf, dass es in Ex-Jugoslawien und Ruanda noch nicht so gewesen sei. Die einzelnen Fakten, die jetzt im Ukraine-Krieg zusammengetragen würden, könnten später ein großes Bild ergeben. Erst dann könne man feststellen, ob die Beweise auch für eine Klage gegen die höheren Ränge ausreichten - und damit auch gegen politisch Verantwortliche wie den russischen Außenminister Sergej Lawrow oder Präsident Wladimir Putin.
"Ich habe selten zu so einem frühen Zeitpunkt ein so transparentes Verfahren angesehen, das sofort auf die Füße gestellt wurde", sagt Schomburg. "Dazu kann man den Kollegen in der Ukraine nur gratulieren und alles, was man gesehen hat, spricht dafür, dass es ein faires Verfahren gewesen ist."
Die strenge Verfolgung sei auch bei einfachen Soldaten wichtig, so Schomburg. Sie folge dem Grundsatz, dass alle Menschen, Täter wie Opfer, gleich seien. "Auch ein im Krieg begangenes Delikt muss die gleiche Antwort erfahren wie ein Mord in einer friedlichen Gesellschaft."
Schomburg räumt ein, dass es zu denken gebe, dass der Panzersoldat erst 21 Jahre alt sei. Er kritisiert, dass Putin seine jüngsten Bürger an die Front schicke, sogar Wehrpflichtige. Es sei aber gut, dass es gleich zu Beginn ein solches Warnsignal gebe, das deutlich mache, dass es in der Ukraine Gerichte gebe und Soldaten unmittelbar nach der Tat zur Verantwortung gezogen werden könnten.
Prozesse verhindern Selbstjustiz
Solch ein Prozess zeige den Opfern, dass es auch in so einer Situation so etwas wie Gerechtigkeit und Strafen geben könne, sagt der Jurist. Sonst "bestünde mit Sicherheit die große Gefahr, dass Angehörige von Opfern oder diejenigen, die die Taten beobachtet haben, Selbstjustiz üben."
Es sei wichtig, dass die mit diesen Verfahren verbundenen Unterlagen nicht untergingen, unterstreicht der Jurist. Deshalb gebe es eine Vereinbarung zwischen der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, die Unterlagen auszutauschen. In Den Haag gebe es bereits eine große Gruppe, die Informationen für die Staatsanwaltschaft zusammentrage, um weitere Anklagen zu starten.
Rekonstruktion der Befehlskette
"Es geht darum, aus den Einzeltaten den Befehlsgeber herauszufinden", so Schomburg. Die ganze Befehlskette müsse rekonstruiert werden, um eines Tages Putin zur Verantwortung ziehen zu können. Dabei müsse auch der Diebstahl von Getreide einbezogen werden sowie die Verminung der Häfen, denn viele afrikanische Länder seien auf die Getreidelieferungen angewiesen. Das seien auch Taten, die nach internationalem Recht strafbar seien.
(gem)