G8-Ausschluss Russlands wäre "ein großer Fehler"
Der ehemalige UN-Botschafter Deutschlands, Gunter Pleuger, widerspricht Forderungen nach Sanktionen gegen Russland. Vor allem das G8-Gremium sei bestens geeignet, um über die Krise in der Ukraine zu verhandeln.
Britta Bürger: Wenn Bundeskanzlerin Merkel und der russische Präsident Putin mehrmals am Tag miteinander telefonieren, dann sind im Hintergrund schon viele andere Drähte und Akkus heiß gelaufen. Für die Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine liegen mal wieder alle Hoffnungen auf der Kunst der Diplomatie. Und wer könnte darüber besser Auskunft geben als ein Mann, der selbst jahrelang im diplomatischen Dienst an höchster Stelle aktiv war: Gunter Pleuger. Er hat Deutschland unter anderem bei den Vereinten Nationen in New York vertreten und den deutschen Vorsitz im Weltsicherheitsrat geführt. Heute ist er Präsident der Europauniversität Viadrina. Schönen guten Morgen, Herr Pleuger.
Gunter Pleuger: Guten Tag, Frau Bürger.
Bürger: Wenn von den diplomatischen Kanälen die Rede ist, was müssen wir uns darunter genau vorstellen? Können Sie uns dieses Kanalsystem beschreiben?
Pleuger: Ja. Ich glaube, man muss doch wissen, dass in solchen Krisensituationen, wie wir sie jetzt haben – und das ist eine sehr schwerwiegende Krise -, wie man zur Lösung einer solchen Krise kommt. Und da ist es zunächst mal so, dass, glaube ich, Drohungen und Sanktionen eher hinderlich sind und Krisendiplomatie in einem solchen Fall nicht etwa ein Zeichen von Schwäche ist, sondern ein Gebot der politischen Vernunft.
Bürger: Diplomatie ist Wahrnehmungsvermögen, hat Henry Kissinger mal gesagt. Man muss die Welt auch mit den Augen der anderen sehen. Ist das die wichtigste Fähigkeit?
Pleuger: Das ist eine der besonderen Voraussetzungen, um erfolgreich diplomatisch verhandeln zu können. Man muss sich zunächst mal in die Schuhe des Gegenübers versetzen, um zu analysieren, was ist denn für den Verhandlungspartner annehmbar und politisch möglich. Und das ist deshalb wichtig, weil zweitens der Verhandlungspartner in der Diplomatie ja von ihnen völlig unabhängig ist. Deswegen gibt es bei solchen Verhandlungen nie einen Gewinner und einen Verlierer, denn keiner wird bereit sein, als Verlierer nachhause zu gehen. Also muss man eine Lösung anstreben, mit der beide Seiten leben können.
In der Diplomatie darf es keine Verlierer geben, sagt Pleuger
Bürger: Heißt das, man darf ein land wie Russland im Grunde gar nicht als politischen Gegner betrachten?
Pleuger: Nein, nicht als politischen Gegner, aber als Verhandlungspartner in einer gegebenen Situation. Sie müssen sehen, dass Sie nur zwei Instrumente haben: Entweder Sie überzeugen den Verhandlungspartner davon, dass das, was Sie wollen, auch in seinem Interesse ist, oder aber Sie machen mit dem Verhandlungspartner einen Deal. Jeder gibt etwas, jeder bekommt etwas. Das sind die beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, um zum Erfolg zu kommen. Und die entscheidende Voraussetzung ist, dass zwischen den Verhandlungspartnern ein Verhältnis des Vertrauens geschaffen wird, denn es muss natürlich für beide Seiten sicher sein, dass das, was vereinbart worden ist, dann auch von beiden Seiten umgesetzt wird.
Bürger: Aber wie lässt sich mit so einem schwierigen Partner wie Russland überhaupt Vertrauen aufbauen?
Pleuger: Sehen Sie, es gibt natürlich verschiedene Wege der Diplomatie. Die bilaterale Diplomatie scheidet in diesem Fall wohl aus, weil zu viele Interessenten an dieser Krise beteiligt sind, und im multilateralen Bereich fällt zunächst mal die einzige große internationale Organisation, die UNO, aus, weil im Sicherheitsrat Russland und möglicherweise auch China ein Veto einlegen würden. Es bleibt deshalb nur, ein Forum zu suchen, in dem Russland und andere interessierte Staaten vertreten sind, ein Forum, in dem man über das Problem verhandeln kann, und das ist meines Erachtens die G8.
Ich halte es für einen großen Fehler, die Russen damit zu bedrohen, entweder am G8-Gipfel nicht teilzunehmen, oder gar die Russen aus der G8 auszuschließen, denn das ist ein Forum, was sich auch in der Vergangenheit schon in schwierigen Situationen bewährt hat. Als der Kosovo-Krieg ausbrach und der Sicherheitsrat durch ein Veto Russlands nicht in der Lage war, diesen Krieg zu legitimieren, da haben damals die Deutschen, die den Vorsitz in der EU und in der G8 hatten, gesagt, dann brauchen wir ein Forum, wo die Russen drin sind. In New York sind sie aus der Kontaktgruppe ausgeschieden, sie haben ein Veto im Sicherheitsrat eingelegt, also gehen wir in die G8 und verhandeln dort. Und der Erfolg war, dass nach extrem schwierigen Verhandlungen wir in der G8 die Resolution vereinbart haben, die dann im Sicherheitsrat angenommen wurde und den Kosovo-Krieg beendete. Deshalb glaube ich, dass die Vorstellung von Herrn Steinmeier, die G8 zu bemühen, genau die richtige Politik ist.
Bürger: Und doch hat ihm das Kritik gebracht. Man hat gesagt, das sei Berliner Beschwichtigungspolitik. Warum sehen manche denn in der Krisendiplomatie eher eine Schwäche?
Pleuger: Die Erfahrung zeigt, dass Drohungen und insbesondere Sanktionen, wenn sie überhaupt jemals wirksam sind, nur sehr langfristig wirksam sind und in der Regel einen Verhandlungsprozess, der zum Frieden und zur Lösung eines Konflikts führen soll, eher behindern.
Bürger: Schwäche oder Stärke – über die Kunst der Diplomatie in politischen Krisen sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Gunter Pleuger, dem Präsidenten der Europauniversität Viadrina. Er hat jahrelang selbst im diplomatischen Dienst der Bundesrepublik gestanden. – Haben denn die Europäer, Herr Pleuger, jetzt im Vorfeld des aktuellen Konflikts auch diplomatische Fehler gemacht?
Deutschland, Frankreich und Polen als mögliche Vermittler
Pleuger: Ich glaube, Fehler sind sicherlich auf allen Seiten gemacht worden. Aber der Punkt ist jetzt, dass wir mit einer Situation fertig werden müssen, so wie sie jetzt ist. Mein persönlicher Vorschlag wäre: Die drei Außenminister des Weimarer Dreiecks, also der französische, der deutsche und der polnische Außenminister, waren ja in Kiew und haben durch ihre Verhandlungen zwar nicht die Krise gelöst, aber zunächst mal das Blutvergießen in Kiew beendet, und das war ein großer Erfolg. Und warum sollen diese drei Außenminister nicht jetzt nach Moskau fahren, um dort Gespräche zu führen zur Gründung der entsprechenden Kontaktgruppe und die fact finding mission in der OSZE vorzubereiten. Das wäre zumindest einen Versuch wert.
Bürger: Diplomatische Verhandlungen sind ja keine Einbahnstraße. Die russischen Verhandlungspartner verfolgen ja ihrerseits auch eine bestimmte diplomatische Strategie. Was kann man sich in solchen Verhandlungen gegenseitig überhaupt zumuten? Wie wird da das jeweilige rechte Maß ausgelotet?
Pleuger: Das Maß wird dadurch ausgelotet, dass man, bevor man in die Verhandlungen eintritt, sich überlegt, was man A selbst nachhause bringen muss, damit das Verhandlungsergebnis als Erfolg betrachtet werden kann, und zweitens, was kann man dem Gesprächspartner oder dem Verhandlungsgegner zumuten, denn auch der muss ja zuhause begründen können, warum er die Krise so und nicht anders gelöst hat.
Bürger: Sie haben vorhin gesagt, Vertrauen sei essenziell in der diplomatischen Arbeit. Aber können Sie das noch konkreter machen, denn im Moment ist dieses Vertrauen ja nicht vorhanden?
Pleuger: Das kann entstehen durch Gespräche und durch gemeinsame Pläne, wie man eine Krise Schritt für Schritt löst. Jeder Schritt, der dann gemeinsam vereinbart und umgesetzt wird, schafft zusätzliches Vertrauen. Wenn wir die Krise nicht beseitigen, werden viele daran Schaden nehmen, auch Russland. Denken Sie, wie die internationale Finanzwelt und die Wirtschaft bereits jetzt auf diese Krise reagiert hat.
Bürger: Wenn Sie auf Ihre Erfahrungen mit Krisensituationen zurückschauen, wo stößt die Diplomatie an ihre Grenzen? Wo ist Schluss?
Pleuger: Die Diplomatie stößt jedenfalls dann an ihre Grenzen, wenn Sie versuchen, in Verhandlungen den Verhandlungsgegner in die Ecke zu stellen, oder ihn gar zu blockieren, denn dann geschieht etwas, was in zwischenmenschlichen Beziehungen nicht anders geschieht: Dann bockt der andere und sagt, wenn ich nichts gewinnen kann, dann habe ich auch nichts zu verlieren und brauche nicht darauf einzugehen, was mein Gegenüber will.
Pleuger: Worin sehen Sie die größte Gefahr der aktuellen Krisendiplomatie? Zurück zum Kalten Krieg?
Pleuger: Das ist keine Gefahr der Krisendiplomatie. Im Gegenteil! Die Krisendiplomatie will das ja gerade ausschließen. Eine solche Entwicklung, die natürlich keiner wünschen kann, würde umso eher eintreten, je weniger man verhandelt, je weniger man miteinander spricht, je weniger man versucht, Missverständnisse auszuschalten, und davon gibt es ja viele.
Zum Beispiel die russische Furcht davor, nun eingekreist zu werden von NATO und EU, ist ja etwas, was nicht real ist, aber die Furcht davor ist eine politische Realität, mit der man handeln muss und der man sich stellen muss. Ich glaube, es wäre zum Beispiel wichtig, Russland in Gesprächen zu sagen, die EU ist überhaupt keine Gemeinschaft, die ihre Einflusssphäre auf Kosten anderer auszudehnen versucht. In der ganzen Geschichte der Europäischen Union hat die Union noch niemals zu jemand anderem gesagt, Du musst hier Mitglied werden. Es waren immer andere Staaten, die sagten, wir möchten gerne Mitglied werden. Im übrigen ist die EU so konstruiert, dass Machtpolitik wie die einer Großmacht USA oder Russland überhaupt nicht möglich ist. Darüber muss man sprechen. Dadurch kann man Missverständnisse aufklären und Vertrauen schaffen.
Bürger: Sie haben die deutsche Krisenpolitik in Sachen Krim, Ukraine, Russland sehr gelobt. Was halten Sie denn von den russischen Diplomaten?
Pleuger: Ich habe im Laufe eines langen Diplomatenlebens mit meinen russischen Kollegen immer gut verhandelt, weil ich das beherzigt habe, was ich Ihnen vorher erklärt habe, nämlich dass man bestimmte Grundsätze der Diplomatie beachten muss, wenn man Erfolg haben will. Wenn man mit Diplomaten verhandelt, die aus anderen Staaten, auch aus anderen politischen Systemen kommen, dann muss man sich darauf einstellen und versuchen, Lösungen zu finden, die für beide Seiten akzeptabel sind.
Bürger: Das war jetzt aber auch eine sehr diplomatische Antwort, oder?
Pleuger: Nein! Das ist einfach das Handwerkszeug oder das sind die Grundregeln des diplomatischen Handwerks.
Bürger: Kluge Verhandlungen und verspieltes Vertrauen – die Stunde der Diplomaten im Konflikt um die Krim. Der ehemalige Diplomat Gunter Pleuger, heute ist er Präsident der Europauniversität Viadrina. Besten Dank fürs Gespräch!
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