Russland bringt Marine-Hauptquartier unter seine Kontrolle
Auf der Krim sind prorussische Uniformierte auf das Hauptquartier der ukrainischen Marine in Sewastopol vorgedrungen. Dutzende zum Teil Maskierte hissten zu den Klängen der russischen Nationalhymne auf dem Gelände die russische Flagge.
Mitglieder der "Selbstverteidigungskräfte" hätten die ukrainischen Offiziere herausgeleitet, berichten örtliche Medien. Die ukrainischen Mitarbeiter hätten keinen Widerstand geleistet und ihre Sachen gepackt, berichtet die Kiev Post, es habe keine Verletzten gegeben. Der Oberkommandeur der in Sewastopol stationierten Schwarzmeerflotte, Alexander Witko, verhandele über eine friedliche Übergabe, melden russische Agenturen.
Rund 200 unbewaffnete Aktivisten, von denen viele vermummt seien, seien auf das Gelände vorgedrungen, sagte ein Sprecher der ukrainischen Marine. Von ukrainischer Seite sei kein Schuss gefallen. Zuvor hatte das ukrainische Verteidigungsministerium die Erlaubnis zum Waffeneinsatz zur Selbstverteidigung erteilt.
Die "Selbstverteidigungskräfte" hätten Zivilisten, Frauen und sogar Kinder vorausgeschickt, berichtet Florian Kellermann in Deutschlandradio Kultur. Hinter ihnen seien Männer mit Schlagstöcken und Maschinengewehren auf das Gelände eingedrungen. Ukrainische Mitarbeiter hätten das Gelände unbewaffnet verlassen. Der ukrainische Oberbefehlshaber Sergej Gajduk wurde nach Angaben der russischen Streitkräfte "zum Verlassen der Basis gezwungen und weggebracht".
Prorussische Kämpfer haben am Nachmittag auch den Militärstützpunkt Nowooserne im Osten der Halbinsel Krim eingenommen. Reporter der Nachrichtenagentur AFP beobachteten, wie 50 ukrainische Soldaten unter russischer Aufsicht den Stützpunkt verließen. Zeitgleich hissten die Milizen die russische Flagge.
"Das entscheidende Signal, das die Krim uns und allen gibt, ist, dass eine bestimmte Phase in der russischen Wahrnehmung von Weltpolitik beendet ist“, sagte der Politologe Ewald Böhlke im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
"Erneutes Blutvergießen vermeiden"
Bereits am Dienstag war es auf der Krim zu einem Zwischenfall gekommen: Bei einer Schießerei an einer ukrainischen Armeeeinrichtung in Simferopol waren ein Soldat und ein Mitglied einer örtlichen Selbstverteidigungseinheit getötet worden.
Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk sagte, die Attacke auf die Militäreinrichtung zeige, dass der Streit "durch die Schuld der Russen von der politischen auf die militärische Bühne gegangen" sei. Der ukrainische Generalstabschef Michailo Kuzin schlug seinem russischen Kollegen die Einrichtung einer gemeinsamen Kommission vor, "um eine Eskalation und ein erneutes Blutvergießen zu vermeiden".
Die Krimtataren klagen über die Entführung und Ermordung eines entschiedenen Gegners des Anschlusses an Russland. Sie sprechen von einem "Auftragsmord", berichtet Florian Kellermann im Deutschlandradio Kultur. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen sind in den vergangenen Wochen sieben weitere Gegner der Krim-Regierung verschwunden.
Keine Anerkennung der "Republik Krim"
Die Ukraine legte formell Protest gegen die Anerkennung der Unabhängigkeit der Krim-Halbinsel durch Russland ein. Der russische Botschafter in Kiew, Andrej Worobew, sei einbestellt worden, erklärte das ukrainische Außenministerium. Dabei sei ihm eine Protestnote gegen die Anerkennung der "Republik Krim" durch Moskau übergeben worden.
Das russische Verfassungsgericht hat die Angliederung der ukrainischen Halbinsel Krim an Russland als legal eingestuft. Der von Präsident Wladimir Putin unterzeichnete Vertrag sei verfassungsgemäß, urteilte das Gericht einstimmig.
US-Vizepräsident Joe Biden nannte das russische Vorgehen einen "Landraub", den die Welt zurückweise, berichtet Marcus Pindur im Deutschlandradio Kultur. Russland stünde allein da, "nackt vor dem Rest der Welt wegen seiner Aggression", da sogar China im UN-Sicherheitsrat das Referendem auf der Krim nicht anerkannt habe.
Die Ukrainer sorgen sich um ihr Land, nachdem Putin angekündigt hat, dass er den Zerfall der Sowjetunion nicht hinnehmen werde. Der ukrainische Regierungschef Jazeniuk will eine gute Partnerschaft mit Russland, berichtet Sabine Adler aus Kiew im Deutschlandradio Kultur.
"Ein brutal kapitalistischer Staat"
"Krim ganz ergriffen" titelt heute die Tageszeitung "taz" doppeldeutig. Chefredakteurin Ines Pohl schildert im Deutschlandradio Kultur, wie die Redaktion der taz von ihren Lesern zum Teil als "zu amerikafreundlich respektive zu russlandkritisch" attackiert werde. "Erstaunlich" findet das Pohl: "Viele Menschen vielleicht auch gerade aus dem linkeren Spektrum verkennen, was für ein brutal kapitalistischer Staat Russland ist, wie menschen- und auch umweltzerstörerisch Putin Politik und Wirtschaftspolitik betreibt."
Den Krim-Konflikt mit dem Kosovo-Krieg zu vergleichen, wie es Putin oder Alt-Bundeskanzler Schröder getan haben, sei nicht erlaubt, sagte Ludger Volmer, früherer Grünen-Politiker und Staatsminister a. D. im Auswärtigen Amt, im Deutschlandfunk. Aus der damaligen Verletzung des Völkerrechts lasse sich nicht ableiten, dass heute Russland militärisch eingreifen dürfe.
Die Bekämpfung der Korruption gehöre zu den größten Herausforderungen für die Ukraine, meint die Historikerin Ludmila Lutz-Auras im Deutschlandradio Kultur. Denn die ukrainische Bevölkerung lebe in extremer Armut − und die geringen Verdienste machten die Menschen für Bestechungsgelder empfänglich.
scr