Er ist wieder da: der Hitler-Vergleich
Wenn es darum geht, in der aktuellen Krisensituation den russischen Präsidenten Putin in die Ecke des Bösen zu stellen, werden immer öfter Vergleiche mit Hitler gezogen. Eine gefährliche Entwicklung, sagt der Journalist Daniel Bax.
Hillary Clinton hat es getan, Wolfgang Schäuble auch: Beide haben sie Putins Annexion der Halbinsel Krim mit dem Anschluss des Sudetenlands an Nazi-Deutschland verglichen - und damit den russischen Präsidenten indirekt auf eine Stufe mit Adolf Hitler gestellt. Gut, beide Politiker haben inzwischen versucht, ihre Aussagen zu relativieren, aber der Vergleich ist jetzt in der Welt.
Und der taz-Kollege Klaus-Helge Donath hat erst kürzlich bei Günter Jauch Verhandlungen des Westens mit Russland über die Zukunft der Ukraine mit dem Hitler-Stalin-Pakt verglichen - nur, dass damals Polen geteilt wurde und er nun befürchtet, der Ukraine könne das gleiche Schicksal drohen. Putin wäre in diesem Szenario also Stalin, während Obama und Merkel die Rolle des Hitlers zufiele. Klingt ziemlich irre!
Eine Steigerung kann es nicht geben
In der Internet-Gemeinde gilt es schon lange als ehernes Gesetz, dass jede Debatte auf Facebook und Twitter, je länger sie anhält, unausweichlich bei einem Nazi-Vergleich landet. Wie man sieht, trifft dieses Phänomen aber auch in der analogen Welt zu. Es ist zwar wenig überraschend, dass man gerade in Deutschland zuallererst die deutsche Geschichte vor Augen hat und dazu Parallelen zieht.
Bei erfahrenen Politikern und Publizisten kann man jedoch davon ausgehen, dass solche Vergleiche nicht einem plötzlichen Überschwang der Empörung geschuldet sind, sondern gezielt zur Skandalisierung eingesetzt werden. Der Nazi-Vergleich ist im politischen Diskurs so etwas wie die Atombombe. Eine Steigerung kann es nicht geben, danach wächst kein Gras mehr. Der unangenehme Nebeneffekt dieser beliebten Nazi-Vergleicherei aber ist, dass der historische Nationalsozialismus damit bagatellisiert wird.
Hitlers Menschheitsverbrechen geraten zum Detail, wenn sie zur kleinen Münze im politischen Streit verkommen.
Hitler und das Dritte Reich sind längst weltweit zum Inbegriff für das "absolute Böse" geworden. Auch in anderen Regionen ist der Vergleich deshalb populär: Jahrelang trommelte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu für ein hartes Vorgehen gegen den Iran, indem er wieder und wieder behauptete, Iran sei wie Nazi-Deutschland, und dessen Ex-Präsident Ahmadinedschad bereite mit dem Bau einer Atombombe einen zweiten Holocaust vor.
Inzwischen ist dieser Alarmismus etwas abgeklungen, Ahmadinedschad ist Geschichte. Aber wenn ein populärer deutscher Autor in seinem neuesten Sachbuch jetzt wieder alle Islamisten dieser Welt, ob demokratisch gewählt oder militant, mit Faschisten gleichsetzt, dann ist klar, worauf er hinaus will. Denn gegen Faschisten ist, so der Subtext, jedes Mittel recht - zur Not auch nackte Gewalt oder, wie in Ägypten, ein Putsch.
Ouvertüre zum realen Waffengang
Schon im Kalten Krieg wurde die Sowjetunion, zweifellos eine Diktatur, von strammen Konservativen gerne mit Nazi-Deutschland gleichgesetzt und zum ultimativen "Reich des Bösen" erklärt. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist diese platte Dämonisierung des politischen Gegners etwas aus der Mode geraten. Dass der Hitler-Vergleich jetzt im Verhältnis zu Russland wieder da ist, gibt Anlass zur Sorge. Denn oft genug bildete die rhetorische Aufrüstung die Ouvertüre zum realen Waffengang. Grund genug, bei solchen schiefen Analogien hellhörig zu werden.
Nicht immer aber haben Nazi-Vergleiche den gleichen Effekt. Manchmal fallen sie auch auf ihre Urheber zurück. Herta-Däubler Gmelin etwa, die ehemalige Justizministerin, musste einst ihren Sessel räumen, weil sie im Wahlkampf dem damaligen US-Präsident George W. Bush indirekt die Methoden eines "Adolf Nazi" vorgeworfen hatte. Es kommt eben immer darauf an, wen man mit Hitler vergleicht. Falsch ist es aber immer.
Daniel Bax ist Journalist und lebt in Berlin. Er arbeitet als Redakteur im Inlandsressort der "tageszeitung, die taz". er schreibt zu Politik- und Kulturthemen, aber u.a. auch für die ZEIT, das amnesty journal und die Publikationen von "Schule ohne Rassismus". Seit 2014 ist er im Vorstand des Vereins "Neue Deutsche Medienmacher", der sich für mehr Vielfalt in den deutschen Medien einsetzt.