Mit Russland an den Verhandlungstisch
Der Europa-Parlamentarier Knut Fleckenstein (SPD), Vorsitzender der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen mit Russland, will die Krim-Krise diplomatisch lösen: Er wünscht sich, dass sich alle an den Verhandlungstisch setzen. Er betonte die Bedeutung wirtschaftlicher Sanktionen gegen Russland, äußerte aber gleichzeitig Verständnis für die Sorge deutscher Unternehmen.
Jörg Degenhardt: Der amerikanische Präsident sieht Russland in der Krim-Krise allein in der Ecke stehen, isoliert, sowohl in den Vereinten Nationen als auch in anderen globalen Gremien. Dies werde sich noch verstärken, meinte Obama gestern in Brüssel, dann nämlich, wenn Russland seine Aggression gegen die Ukraine fortsetze. Die Folge wären weitere Sanktionen und wachsende Konsequenzen, so der Friedensnobelpreisträger, ohne so richtig konkret zu werden. Ob das den Kreml beeindruckt? Was hilft überhaupt in der gegenwärtigen Situation – Gespräche, nicht nur mit Putin? Ich rede mit dem Europaabgeordneten der SPD, mit Knut Fleckenstein, er ist Vorsitzender der Delegation für die parlamentarische Kooperation zwischen Russland und der EU, und wir erreichen ihn in Moskau. Guten Morgen, Herr Fleckenstein!
Knut Fleckenstein: Schönen guten Morgen!
Degenhardt: Sie haben in Moskau eben das Gespräch gesucht mit Abgeordneten der Duma. Mit wem genau?
Fleckenstein: Ich habe mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, mit dem Vizepräsidenten und mit einigen Abgeordneten, die ich seit Längerem kenne, gesprochen und werde das heute weiterhin tun, nicht, um zu verhandeln, das ist ja gar nicht meine Aufgabe, aber zu verstehen, und zu verstehen, wie die Kollegen hier denken, was sie für möglich halten, was sie für unmöglich halten. Ich glaube, wenn man in einer so verfahrenen Situation ist, muss man sich zunächst bemühen, zu verstehen, was die andere Seite denkt, und da bin ich feste dabei.
"Schon leichtere Gespräche gehabt"
Degenhardt: Wie sind Sie denn aufgenommen worden? Eher skeptisch – ach, jetzt kommt da einer aus der EU, der steht eh auf der Seite der Interimsregierung in Kiew? Hat das nicht die Gespräche erschwert?
Fleckenstein: Nein. Wir haben selbstverständlich in der Vergangenheit schon wegen anderen Themen leichtere Gespräche hier gehabt. Aber es ist schon ein Interesse da, sowohl zu erklären, was in den vergangenen Wochen geschehen ist, als auch, gemeinsam darüber nachzudenken, was denn wohl in der nahen Zukunft geschehen kann. Und das ist für mich sehr wichtig, weil wir wollen ja möglichst nach Wegen suchen, wie man gemeinsam am Verhandlungstisch im Wege der Diplomatie weiterkommt und alles andere möglichst ausschließen.
Degenhardt: Was kann denn in naher Zukunft geschehen? Haben Sie vielleicht auch über die Idee von Bundesaußenminister Steinmeier gesprochen? Der hat ja zur Lösung der Krim-Krise die Einrichtung einer Kontaktgruppe neuerlich ins Gespräch gebracht.
Fleckenstein: Ja, das ist sicher auch ein Thema hier, wobei die Frage ist, wer so eine Kontaktgruppe koordinieren könnte, auf welcher Ebene das stattfindet, bei der OSZE oder eventuell bei der UNO. Wer hat kein Interesse sozusagen und kann deshalb ein besonders guter Makler sein? Da gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. Aber wichtig ist, dass ich hier in Moskau keine grundsätzliche Skepsis gegenüber einer solchen internationalen Begleitung der Arbeiten, die natürlich in erster Linie in der Ukraine stattfinden müssen, erlebt habe.
Degenhardt: Sie kommen aus Brüssel bzw. aus Straßburg vom Europaparlament. Die Europäische Union steht an der Seite der neuen Ukraine, das hat EU-Ratspräsident Herman van Rompuy letzten Freitag bei der Unterzeichnung eines Partnerabkommens mit dem ukrainischen Interimsregierungschef Jazenjuk gesagt, gleichzeitig Sanktionen gegen Moskau beschlossen. War das wirklich klug oder einfach alternativlos?
Fleckenstein: Nein, ich glaube, dass es schon erwartet wurde in der EU in erster Linie und hier befürchtet, sage ich mal, dass irgendein Zeichen gesetzt wird, weil wir eben wirklich davon überzeugt sind, dass das, was auf der Krim und mit der Krim geschehen ist, völkerrechtswidrig ist. Das kann nicht völlig ohne jede Auswirkung bleiben. Ich glaube, es kommt hier jetzt auch in erster Linie darauf an, was man gemeinsam tun kann, um weitere Schritte, weitere Sanktionen nicht notwendig zu machen oder zu verhindern.
Degenhardt: Auf der einen Seite Sanktionen, die beschlossen wurden, Sie sagen gerade, sie sollen nicht weiter verschärft werden, auf der anderen Seite gestern, wie ich fand, doch ein bemerkenswerter Auftritt des Siemens-Chefs im „Heute-Journal“, der hat den russischen Präsidenten Putin verteidigt, er hatte sich mit ihm getroffen und diesen Besuch verteidigt, der sei schon lange geplant gewesen, und er sagte dann, der Siemens-Chef, man lasse sich von kurzfristigen Turbulenzen die langfristige Planung nicht verderben. Verschlägt Ihnen so viel Pragmatismus die Sprache?
"Niemand will einen bewaffneten Konflikt"
Fleckenstein: Ja, ich kann natürlich verstehen, dass große Firmen, die viel investiert haben, große Bedenken haben vor weiteren Sanktionen und auch ich hoffe ja, dass die gar nicht notwendig werden. Nur, wenn die Geschäftswelt sagt, Wirtschaftssanktionen, auf gar keinen Fall, das muss man schon trennen, der Sport sagt, das muss man schon trennen, die Kultur sagt, das muss man schon trennen, dann haben wir am Ende nur noch Armeen. Und das, glaube ich, will gar keiner. Insofern ist das verständlich, aber darf Politik nicht beeinflussen, was der Herr gesagt hat.
Degenhardt: Ist denn in der Ukraine und in der Krise Ukraine/Moskau aus Ihrer Sicht und nach Ihren Gesprächen, Herr Fleckenstein, das Schlimmste erst mal vom Tisch? Ich meine damit einen bewaffneter Konflikt zwischen Moskau und Kiew nach dem Eindruck der Gespräche, die Sie geführt haben.
Fleckenstein: Also ich habe hier niemanden gefunden und empfinde es auch als glaubhaft, der einen bewaffneten Konflikt möchte, um die Probleme, die es noch gibt, zu lösen. Ich glaube, dass es ganz besonders jetzt darauf ankommt, dass die ukrainischeÜbergangsregierung bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung die Minderheitenrechte auch der russischen Bevölkerung akzeptiert und deutlich macht, dass sie eine Verfassung erarbeitet, vielleicht in einer föderalen Struktur ihres Landes, in der alle Menschen sich zu Hause fühlen können. Und das ist in erster Linie eine Arbeit, die in der Ukraine geschehen muss, und zwar mit den Menschen, die dort betroffen sind, die aber auch über eine solche Kontaktgruppe eng begleitet werden kann. Und ich erlebe hier die Neigung, an solchen Dingen sich eher zu beteiligen als irgendwelche anderen Abenteuer einzugehen.
Degenhardt: Miteinander reden, das kann nie falsch sein, heute macht es wiederum der Europaabgeordnete der SPD Knut Fleckenstein in Moskau, er trifft erneut Abgeordnete der Duma. Herr Fleckenstein, vielen Dank für das Gespräch!
Fleckenstein: Ich danke Ihnen!
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