Krim-Krise

"Neuen Kalten Krieg kann sich Russland nicht leisten"

Soldaten der Ukraine haben Stellung bezogen vor einem Panzer und der Fahne des Landes in Balaklava auf der Krim.
Soldaten der Ukraine haben Stellung bezogen in Balaklava auf der Krim. © picture alliance / dpa / Pavlishak Alexei
Horst Teltschik im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Derzeit rächten sich die Fehler der Vergangenheit, so Horst Teltschik, ehemaliger Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Der Westen sei auf viele Vorschläge Putins wie eine gesamteuropäische Freihandelszone nicht eingegangen.
Jörg Degenhardt: Immerhin, sie reden noch miteinander, der Obama mit dem Putin, Berlin mit Moskau – am Telefon. Nur auf den großen Gipfeln wollen sie es vorerst nicht mehr tun. Ein Zeichen dafür, wie ernst die Lage in der Ukraine ist. Die neuen Machthaber in Kiew sehen das Land gar am Rande einer Katastrophe. Sie befürchten angesichts der faktischen Besetzung der Halbinsel Krim durch russische Kräfte einen Krieg mit dem übermächtigen Nachbarn und haben deshalb die NATO um militärischen Beistand gebeten.
Das alles vollzieht sich so rasend schnell, dass man sich mit Sorge fragt: Was passiert als Nächstes in der ehemaligen Sowjetrepublik? Kommt es wirklich zum Blutvergießen und bleibt uns im Westen nur die Rolle des Zuschauers, der zwar an beide Seiten appellieren, aber sonst nichts machen kann? Horst Teltschik ist mein Gesprächspartner, ehemaliger Kanzlerberater und über viele Jahre Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Guten Morgen, Herr Teltschik!
Horst Teltschik: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München.
Der ehemalige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik, aufgenommen am 17.01.2008 in München.© picture alliance / dpa / Matthias Schrader
Degenhardt: Putin will nur die Muskeln spielen lassen, der beißt nicht! – Sie gehören auch zu denen, die nicht an eine Invasion des Kreml in der Ukraine glauben. Warum nicht?
Teltschik: Ja, weil erstens Russland die Souveränität der Ukraine mehrfach auch vertraglich wie durch Erklärungen immer wieder bestätigt hat und immer wieder erklärt hat, dass sie die Souveränität nicht infrage stellen. Sie haben nur jetzt das Argument, dass auf der Krim eine Mehrheit der Bewohner nicht nur prorussisch ist, sondern sie sind russische Staatsbürger. Und Russland hat leider auch dafür gesorgt, dass viele auf der Krim auch russische Pässe bekommen haben, sodass sie in der Tat das Argument in der Hand haben, wir wollen unsere eigenen Bürger schützen. Ich glaube, wenn sie versuchen würden, gewaltmäßig die ganze Ukraine unter Kontrolle zu bekommen, dann stehen wir wirklich wieder vor dem Beginn eines neuen Kalten Krieges. Und das will auch Russland nicht, das kann sich Russland auch nicht leisten.
Degenhardt: Also ist die ganze Aufregung um die Entwicklung in der Ukraine auf der Krim übertrieben?
"Wir wissen nicht, wohin sich die Krim entwickelt"
Teltschik: Nein, die ist nicht übertrieben, um Gottes willen. Wir haben ja gesehen, was während des Maidans passiert ist, dass man aufeinander geschossen hat, wobei man auch nicht weiß, welche Kräfte auf dem Maidan auch auf die Sicherheitskräfte der Ukraine geschossen haben, da ist ja vieles undurchsichtig geblieben. Und nach wie vor sind sowjetische Soldaten auf der Krim und wir wissen nicht, wohin entwickelt sich die Krim.
Das heißt, es gibt jetzt zwei Ebenen, über die man Ordnung schaffen muss. Das ist einmal die Ukraine selbst, wir haben ja eine provisorische Regierung, wir haben einen provisorischen Präsidenten. Das heißt, es muss jetzt zuallererst auch in der Ukraine eine ordnungsgemäß gewählte Regierung, ein Präsident ins Amt kommen, die müssen entscheiden, wie sie die Zukunft der Krim sehen. Die Krim will ja eine gewisse Autonomie, wie weit ist Kiew bereit, der Krim eine Autonomie zu gewähren, wie soll sie aussehen? Also, man muss innenpolitisch Ordnung schaffen.
Und gleichzeitig muss man natürlich parallel auf internationaler Ebene sprechen. Ich verstehe nicht, warum der NATO-Russland-Rat nicht einberufen worden ist, Russland ist Mitglied dieses Rates. Jetzt treffen sich endlich die Außenminister. Wenn eine Außenministerdelegation nach Kiew gereist ist, um Hilfe zu leisten, Frage: Warum geht nicht eine vergleichbare Delegation nach Moskau oder warum reisen nicht Regierungschefs nach Moskau, um mit Putin zu sprechen?
Degenhardt: Es gibt ja durchaus unterschiedliche Herangehensweisen an das Problem, wenn wir die Europäer vergleichen und die Amerikaner. Nach meinem Eindruck schlägt Obama harschere Töne an, er will Russland ächten, er will Russland aus Gesprächsrunden, etwa G8, drängen. Ist das nicht das verkehrte Konzept, muss man nicht jede Möglichkeit suchen, um den Dialog aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen mit Putin?
Russland einbinden statt abwehren
Teltschik: Ja, ich meine, es rächen sich natürlich Fehler in der Vergangenheit. Der Westen ist auf viele Vorschläge Putins und Russlands nicht eingegangen. Putin war ja erst in Brüssel vor Kurzem und er hat beispielsweise dort gesagt … Es liegt ja der Vorschlag auf dem Tisch, der übrigens mal von Prodi gemacht worden ist, dem früheren EU-Kommissionspräsidenten, eine gesamteuropäische Freihandelszone zu schaffen. Die Antwort der Europäer ist nichtssagend auf diesen Vorschlag. Man hätte von Anfang an überlegen müssen: Wie bindet man oder bezieht man Russland in Europa ein? Wenn man aber Russland ständig abwehrt und seine Interessen nicht wahrnehmen will, dann darf man sich nicht wundern, wenn Russland seine eigenen Interessen, die nicht immer mit uns kongruent sind, wie wir jetzt erleben, verfolgt.
Degenhardt: Was kann man denn daraus lernen für die allernächste Zukunft? Der Vorschlag, Schröder als Vermittler einzusetzen, den lassen wir jetzt mal beiseite, ich glaube, den kann man nicht so richtig ernst nehmen, aber die Idee einer Kontaktgruppe, die ist doch wahrscheinlich praktikabel und auch durch Putin annehmbar?
Teltschik: Wir gingen im Bundeskanzleramt nach '90 sogar so weit zu überlegen, ob man nicht einen gesamteuropäischen Sicherheitsrat einrichtet. Es gab ja die große Idee, die ja in Paris im November 1990 von allen unterzeichnet worden ist, damals auch von der Sowjetunion, und Russland ist ja eine Folgemacht der Sowjetunion, die Idee war eine gesamteuropäische Friedens- und Sicherheitsordnung.
Also, die heutige OSZE sollte das Instrument sein, die übrigens auch nicht in Erscheinung tritt. Bei der OSZE gibt es einen gemeinsamen Außenministerrat, den man hätte einberufen können oder den man immer noch einberufen könnte. Es sind ja Versuche gewesen, gesamteuropäische Lösungen zu finden, man hat sie nur nicht wirklich weiter verfolgt. Weder die Europäer noch die Amerikaner. Jetzt auf Drohgebärden mit Drohgebärden antworten, bringt ja nichts, das haben wir ja schon im Kalten Krieg erlebt.
Degenhardt: Was würden Sie dem deutschen Außenminister raten, der sich durchaus als Vermittler in Kiew mit in das Problem eingebracht hat?
Ukraine verlangt nach ganz Europa
Teltschik: Ja, Herr Steinmeier hat auch in Moskau hohes Ansehen. Aber wir haben ja auch schon in der Ukraine erlebt, dass die Menschen nicht nach einem europäischen Partner verlangt haben, sondern nach Europa verlangt haben. Die Zeit ist vorbei, wo ein westeuropäisches Land alleine agieren kann und Erfolg haben kann. Das müssen sie gemeinsam machen.
Da muss eben die Madame Ashton mit dem deutschen Außenminister, mit dem französischen, vielleicht auch noch mit dem polnischen und dem britischen, sich gemeinsam auf den Weg machen. Oder der EU-Präsident mit der Bundeskanzlerin, mit dem französischen Präsidenten und vielleicht kommt noch der amerikanische dazu, dass man hier wirklich auch den Russen das Gefühl gibt, dass man sie ernst nimmt, dass man sie gewichtig nimmt und dass man sie nicht nur jetzt an den Pranger stellt und sagt: Ihr schlimmen Kerle, ihr macht wieder alles kaputt!
Degenhardt: Horst Teltschik war das, über viele Jahre Chef der Münchner Sicherheitskonferenz zur Entwicklung in der Ukraine, die auf eine Katastrophe zulaufen könnte. Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Herr Teltschik!
Teltschik: Ja, gerne, Herr Degenhardt!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema