Putin verspielt Russlands Zukunft
Der Anschluss der Krim an das russische Staatsgebiet hat Wladimir Putin zwar Popularitätswerte wie lange nicht mehr eingebracht, aber zu dem Preis, dass westliche Investoren sich aus Russland zurückziehen. Er verspielt so die Chance, Russland zu einer modernen Industrienation zu entwickeln, findet Erik Albrecht.
Noch hat der Westen in der Krim-Krise keine harten Sanktionen verhängt. Doch tatsächlich spürt die russische Wirtschaft schon längst die Folgen des Konflikts: Der Rubelkurs fällt, Kreditzinsen für Unternehmen steigen, Investoren fliehen in Scharen. Allein in den vergangenen drei Monaten haben sie mehr Kapital aus dem Land abgezogen als im gesamten Jahr 2013.
Für die Halbinsel im Schwarzen Meer setzt der Kreml sein letztes bisschen wirtschaftspolitischer Verlässlichkeit aufs Spiel. Die Drohungen, Fabriken und Konten westlicher Unternehmen zu beschlagnahmen, versetzen dem ohnehin schon schlechten Investitionsklima den Todesstoß.
VW, Renault und Co werden sich in Zukunft wohl zweimal überlegen, ob sie wirklich ein neues Werk in der Autostadt Kaluga brauchen. Westliche Banken dürften russischen Konzernen nur noch unter hohen Risikoaufschlägen ihre Kreditlinie verlängern.
Popularität auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung
Die schwächelnde Wirtschaft wird das hart treffen. Die Annexion der Krim könnte Russland in die Rezession schicken, warnte jüngst die Weltbank. Präsident Wladimir Putin nimmt das in Kauf. Die Krim-Krise hat seine Popularitätswerte in längst vergessene Höhen geschraubt. Und den entschlossenen Wirtschaftsreformer konnte der Kremlchef im 15. Jahr an der Macht ohnehin nicht mehr glaubwürdig spielen.
WTO-Beitritt, Modernisierungspartnerschaft, ein russisches Silicon Valley – all das war einmal. Jetzt ist der Kreml scheinbar ernsthaft bereit, sich notfalls aus der Weltwirtschaft zu verabschieden. Selbst ein eigenes Kreditkartensystem will das Land aufbauen, um bei Sanktionen unabhängig von Mastercard und Visa zu werden.
Das Signal an den Westen ist deutlich: Wir brauchen Euch nicht. Nationalismus statt solider Wirtschaftspolitik. Manch einer in Moskau fantasiert selbst von Autarkie.
Kapitulation vor den eigenen Problemen
Der Krim-Konflikt ist damit auch eine Kapitulation vor den eigenen Problemen. Nicht nur die grassierende Korruption erstickt jede Chance auf ein solides Wirtschaftswachstum. Russland braucht einen Rechtsstaat, der den Namen auch verdient, und ein klares Signal an die Eliten auf allen Ebenen, Staat und Wirtschaft nicht als Selbstbedienungsladen zu betrachten.
Doch solche Reformen wären das Ende des Systems Putin. Auch deshalb kommt dem Kreml-Chef der Krim-Konflikt gerade recht. Die neue Eiszeit mit dem Westen liefert eine bequeme Erklärung dafür, warum es mit der Wirtschaft nicht aufwärts geht. Die Propaganda im Staatsfernsehen wird dazu ihr übriges tun. Schon jetzt ist eine Mehrheit der Russen bereit, für die Annexion Belastungen in Kauf zu nehmen.
Für die Machtelite um Präsident Putin ist die Krim dagegen eine Goldgrube. Nach den teuersten Olympischen Spielen aller Zeiten in Sotschi wird die Entwicklung der armen Halbinsel zu einem neuen Mammutprojekt – mit reichlich Gelegenheit, Geld aus der Staatskasse abzuzweigen.
Dabei könnte Russland eine seiner letzten Chancen verspielen, sich doch noch zu einer modernen Industrienation zu entwickeln. 90 Prozent des Exports sind Rohstoffe. Doch gerade der so wichtige Gasmarkt wandelt sich rasant. Flüssiggas und Fracking in den USA bedrohen Russlands Position. Umso wichtiger wäre es, die Wirtschaft zu diversifizieren, solange dafür noch genug Geld in der Staatskasse ist. Das geht nur mit kräftigen Investitionen aus dem Ausland. Putin dagegen war es wichtiger, den Nachbarn Ukraine zu destabilisieren.
Resignation statt Aufbruchstimmung
Russland hat Potenzial – auch in Zukunftsbranchen wie der IT-Industrie. Doch statt Aufbruchsstimmung herrscht in der gut gebildeten Mittelschicht Resignation. Noch kann der Kremlchef das Schlimmste verhindern. Er muss nur auf den Westen zugehen. Sonst dürfte der Traum von Russland als einer modernen Wirtschaftsnation auf Jahre hinweg ausgeträumt sein. Traurige Aussichten für Russlands Zukunft.
Erik Albrecht, geboren 1979, berichtet seit 2006 als Korrespondent für Hörfunk, Fernsehen und Agenturen über Russland und die Ukraine. 2011 erschien sein Buch "Putin und sein Präsident".