Krimi

Ein Berufsverbrecher alter Schule

Von Knut Cordsen |
Um Geld, Juwelen und Gemälde geht es im siebten Wyatt-Roman von Garry Disher. Der Gangster kann als eine Vintage-Version des professionellen Verbrechers gelten, und Disher brilliert mit ähnlich wenig Worten wie sein Held.
In einer Zeit, in der nahezu alles retro ist, muss es natürlich auch den “Retrogangster” geben. So einer ist der Anfangvierzigjährige Wyatt, der in unseren Tagen als Vintage-Version des professionellen Verbrechers sein Unwesen in Melbourne und Umgebung treibt. “Er war ein Krimineller alter Schule: Geld, Juwelen und Gemälde”, schreibt Garry Disher in seinem jüngsten Wyatt-Roman nach “Gier”, “Dreck”, “Hinterhalt”, “Willkür”, “Port Vila Blues” und “Niederschlag”. "Dirty Old Town“ erzählt, wie es weitergeht mit diesem “Mann ohne Geschichte”, den Disher selbst als "Mythos“ bezeichnet.
Tatsächlich geht ein nicht unbeträchtlicher Reiz von dieser literarischen Figur aus, die nichts so sehr hasst wie Introspektion: “Er beschritt nie den Weg der Innenschau und es gab nichts, was er anderen mitteilen wollte.” Welcher Verbrecher hat schon in seinem Apartment die Regale voller Bücher und CDs stehen und an den Wänden Bilder hängen von Meistern der australischen Malerei wie John Brack, Mike Brown und Margaret Preston? Zudem sind Charaktere immer dann besonders spannend, wenn sie eine Kunst daraus machen, keine Spuren zu hinterlassen, wenn sie wie aus dem Nichts auf- und dann wieder untertauchen, wenn sie ohne jede menschliche Regung agieren.
Gleich zweifach gelinkt
Gar so leidenschaftslos ist der kühle, kaltblütige Wyatt aber im siebten Wyatt-Roman Dishers nicht. Mit der schönen Lydia Stark und ihrem Kompagnon Eddie Oberin plant Wyatt einen todsicheren Job: Sie wollen einen Juwelen-Transport der Gebrüder Henri und Joe Furneaux überfallen. Doch Wyatt wird gleich zwiefach gelinkt: Einerseits versucht man, ihn auszuschalten, bevor es an die Verteilung der Beute geht, und dann entpuppt sich das Raubgut obendrein auch noch nicht etwa als Geschmeide, sondern als ein Bündel Papiere: Inhaberobligationen und Schatzbriefe, die ein französischer Kurier namens Alain Le Page nach Melbourne geschmuggelt hat.
Mit diesem vermeintlich klügeren Gegenspieler liefert sich Wyatt ein wunderbares Duell, das in ein fabulöses Finale weit entfernt von Australien mündet. Aber nicht nur Le Page macht Wyatt zu schaffen. Da ist noch die durchtriebene Striptease-Tänzerin Khandi Canre alias Susan Roberts, die sich nicht nur einer reichlich derben Sprache befleißigt (Obszönitäten wie “Pissnelke” und “Kackschlampe” zieren ihr Vokabular): Sie will vor allem endlich die Tabledance-Stange eintauschen gegen eine gehörige Stange Geld.
Kurz, Garry Disher zeigt sich erneut auf der Höhe seines Könnens. Erzählt geradezu, indem er fast so wenig Worte macht wie sein Held. Dessen Motto lautet: “Worte sollten Wirkung erzielen, nicht verschwendet werden.” Zu loben ist neben der überzeugenden Übersetzung (zum Beispiel “er fühlte sich wie der letzte Husten”) auch das wieder einmal sehr gelungene Cover des Künstlers 4000, das uns kongenial jene düstere Titel gebende “Dirty Old Town” vor Augen führt.

Garry Disher: Dirty Old Town
Aus dem Englischen übersetzt von Ango Laina und Angelika Müller
Pulpmaster, Berlin 2013
322 Seiten, 13,80 Euro

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