Krimi um eine Stradivari
Eine echte Stradivari wird aus dem Heimatmuseum von Tejas Rojas gestohlen, ein 5000-Seelen-Ort in der chilenischen Provinz. Durch den nun auftauchenden Ermittler wirkt "Dantes Geige" zunächst wie ein herkömmlicher Krimi, doch ein Roman im Roman sowie ein umfangreicher Anmerkungsapparat mit Parallelhandlung machen das Buch zu einer willkommenen Abwechslung.
Man findet nur schwer Informationen über die Autorin: Alejandra Rojas, geboren 1958 in Chile. Allgemeinärztin war sie und Psychiaterin. Heute, das erfährt man im Internet, sei sie mit einem englischen Konzernmanager verheiratet und befinde sich mit Mann und Kindern auf permanenter Weltreise. Fünf Bücher hat Frau Rojas publiziert – krimiähnliche Romane sowie die Fotobiografie "Salvador Allende: Eine Epoche in Schwarzweiß". Erstmals erschien jetzt ein Prosawerk auf Deutsch, es ist der jüngste Krimi der Lateinamerikanerin, "Stradivarius Penitente" von 1999 (Die oder Der reumütige Stradivari, dt. "Dantes Geige").
Tatort ist ein 5000-Seelen-Ort in der chilenischen Provinz, Tejas Rojas ("Rote Ziegel", ein Dutzenddorf). Aus dem Heimatmuseum wurde das einzig wertvolle Stück gestohlen, eine Stradivari namens "Conde Fosca". Aufregung herrscht, die Polizei weiß nicht weiter. Ein Detektiv kommt aus der Hauptstadt, Emilio Rastelli; er recherchiert fleißig, doch immer verworrener wird der Fall.
Am Ende bleiben nur Vermutungen – und vier Verdächtige. Nummer eins: der Antiquitätenhändler des Ortes, Don Agustín Muencke, 73, schwul, von Schlaganfällen fast zerstört. Er hat (besessen von der Schönheit gewisser Instrumente) in der Raubnacht eine Geige angekauft und sie in seinen Sammlungen quasi verschwinden lassen. Nummer zwei: Muenckes Pflegerin und Erbin, die ansehnliche Mireya. Verdächtiger Nummer drei, Überraschung, ist Rastelli, der Mann aus Santiago. Er spielt ein doppeltes Spiel. Als Ermittler im Auftrag einer Assekuranz sucht er nach Tatspuren.
Insgeheim arbeitet er jedoch für einen Privatkunden, auch ein Besessener, der eine echte Stradivari wünscht, notfalls gestohlen. Während des Aufenthalts in Tejas Rojas spricht Rastelli gern mit Amador Román, dem wunderlichen Apotheker des Ortes; Amador ist Hobbydichter, ledig-schrullig und irgendwann der Verdächtige Nummer vier.
In der Gegenwart der Erzählung schreibt dieser Amador an einem Manuskript, "Stradivarius im Purgatorium", ein Roman im Roman (Rastelli und wir, die Leser, bekommen ihn kapitelweise vorgesetzt). Der tote Meister selbst spricht aus dem Opus, Antonio Stradivari (1644-1737); bußfertig im Fegefeuer sitzend, skizziert der Geigenbauer die Geschichte seiner "Conde Fosca", ihren Weg durch die Jahrhunderte, quer über den Alten und hinüber auf den Neuen Kontinent. Das "Stradivarius"-Manus enthält eine skurrile (Selbst-)Bezichtigung: Die "Conde Fosca" von Tejas Rojas, steht da, sei bereits vor Jahren aus dem Museum entwendet, durch eine Kopie ersetzt und in Europa verscherbelt worden. Der Name des Täters: Amador Román. So erzählt es der fiktive Antonio Stradivari, so schreibt es der Dichter Amador Román. Wahrheit oder literarische Erfindung? Wir erfahren es nicht.
"Dantes Geige" sei "ein Glücksfall von einem Roman, ebenso intelligent wie unterhaltsam", schreibt der Verlag. In der Tat: Rojas’ Buch zeigt deftige Charaktere, Exotik und Tristesse, Leidenschaft und Ironie, es enthält Rätsel, Geheimnisse, mithin viele jener Ingredienzien, die Lateinamerikas Prosa ab den Sechzigerjahren zum Exportschlager machten. Nur: In der Fülle bunter Bücher aus dem Süden, oft nach dem gleichen Rezept geschrieben (einem Stilmix aus García Márquez, Cortázar, Vargas Llosa & Co.), wirkt "Dantes Geige" beliebig.
Was sticht heraus aus dem Einerlei? Zum einen der kuriose Anmerkungsapparat, eine Parallelgeschichte in Fußnoten. Sodann die verständnisvolle Art, mit der die Autorin den mentalen Defekt ihrer Figuren darstellt – sofern die Obsession für ein liebliches Gerät aus Holz ein Defekt ist. (Muencke und die gestohlene Geige: "Wie ein Zuhälter strich er langsam über die Rundungen, seine zittrigen Finger versanken in der schmalen Taille, drangen in die Schlitze ein, und er nahm den Moschusgeruch des Holzes wahr, der ihm vorkam wie die Ausdünstungen einer Frau. ‚Mamma mia, bella Italia!’").
Schließlich spiegelt die Verfasserin auch körperliche Leiden mit viel Empathie. Gesunde Menschen, denkt der greise Muencke bitter, wüßten gar nicht, "was es hieß, eine Tasse in die Hand zu nehmen und Kanarienvogel dazu zu sagen, ein Foto anzuschauen und mehrere Minuten zu brauchen, bis einem ‚Ich’ dazu einfiel..." Diese Abweichungen, Schlenker, Exkurse machen den eigentlichen Reiz des Buches aus; sie machen es lesenswert.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Alejandra Rojas: Dantes Geige
Roman. Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008.
416 Seiten, 21,95 Euro.
Tatort ist ein 5000-Seelen-Ort in der chilenischen Provinz, Tejas Rojas ("Rote Ziegel", ein Dutzenddorf). Aus dem Heimatmuseum wurde das einzig wertvolle Stück gestohlen, eine Stradivari namens "Conde Fosca". Aufregung herrscht, die Polizei weiß nicht weiter. Ein Detektiv kommt aus der Hauptstadt, Emilio Rastelli; er recherchiert fleißig, doch immer verworrener wird der Fall.
Am Ende bleiben nur Vermutungen – und vier Verdächtige. Nummer eins: der Antiquitätenhändler des Ortes, Don Agustín Muencke, 73, schwul, von Schlaganfällen fast zerstört. Er hat (besessen von der Schönheit gewisser Instrumente) in der Raubnacht eine Geige angekauft und sie in seinen Sammlungen quasi verschwinden lassen. Nummer zwei: Muenckes Pflegerin und Erbin, die ansehnliche Mireya. Verdächtiger Nummer drei, Überraschung, ist Rastelli, der Mann aus Santiago. Er spielt ein doppeltes Spiel. Als Ermittler im Auftrag einer Assekuranz sucht er nach Tatspuren.
Insgeheim arbeitet er jedoch für einen Privatkunden, auch ein Besessener, der eine echte Stradivari wünscht, notfalls gestohlen. Während des Aufenthalts in Tejas Rojas spricht Rastelli gern mit Amador Román, dem wunderlichen Apotheker des Ortes; Amador ist Hobbydichter, ledig-schrullig und irgendwann der Verdächtige Nummer vier.
In der Gegenwart der Erzählung schreibt dieser Amador an einem Manuskript, "Stradivarius im Purgatorium", ein Roman im Roman (Rastelli und wir, die Leser, bekommen ihn kapitelweise vorgesetzt). Der tote Meister selbst spricht aus dem Opus, Antonio Stradivari (1644-1737); bußfertig im Fegefeuer sitzend, skizziert der Geigenbauer die Geschichte seiner "Conde Fosca", ihren Weg durch die Jahrhunderte, quer über den Alten und hinüber auf den Neuen Kontinent. Das "Stradivarius"-Manus enthält eine skurrile (Selbst-)Bezichtigung: Die "Conde Fosca" von Tejas Rojas, steht da, sei bereits vor Jahren aus dem Museum entwendet, durch eine Kopie ersetzt und in Europa verscherbelt worden. Der Name des Täters: Amador Román. So erzählt es der fiktive Antonio Stradivari, so schreibt es der Dichter Amador Román. Wahrheit oder literarische Erfindung? Wir erfahren es nicht.
"Dantes Geige" sei "ein Glücksfall von einem Roman, ebenso intelligent wie unterhaltsam", schreibt der Verlag. In der Tat: Rojas’ Buch zeigt deftige Charaktere, Exotik und Tristesse, Leidenschaft und Ironie, es enthält Rätsel, Geheimnisse, mithin viele jener Ingredienzien, die Lateinamerikas Prosa ab den Sechzigerjahren zum Exportschlager machten. Nur: In der Fülle bunter Bücher aus dem Süden, oft nach dem gleichen Rezept geschrieben (einem Stilmix aus García Márquez, Cortázar, Vargas Llosa & Co.), wirkt "Dantes Geige" beliebig.
Was sticht heraus aus dem Einerlei? Zum einen der kuriose Anmerkungsapparat, eine Parallelgeschichte in Fußnoten. Sodann die verständnisvolle Art, mit der die Autorin den mentalen Defekt ihrer Figuren darstellt – sofern die Obsession für ein liebliches Gerät aus Holz ein Defekt ist. (Muencke und die gestohlene Geige: "Wie ein Zuhälter strich er langsam über die Rundungen, seine zittrigen Finger versanken in der schmalen Taille, drangen in die Schlitze ein, und er nahm den Moschusgeruch des Holzes wahr, der ihm vorkam wie die Ausdünstungen einer Frau. ‚Mamma mia, bella Italia!’").
Schließlich spiegelt die Verfasserin auch körperliche Leiden mit viel Empathie. Gesunde Menschen, denkt der greise Muencke bitter, wüßten gar nicht, "was es hieß, eine Tasse in die Hand zu nehmen und Kanarienvogel dazu zu sagen, ein Foto anzuschauen und mehrere Minuten zu brauchen, bis einem ‚Ich’ dazu einfiel..." Diese Abweichungen, Schlenker, Exkurse machen den eigentlichen Reiz des Buches aus; sie machen es lesenswert.
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Alejandra Rojas: Dantes Geige
Roman. Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008.
416 Seiten, 21,95 Euro.