Franzobel: Groschens Grab
Zsolnay, Wien 2015
288 Seiten, 18,40 Euro
Dieser Kommissar hat das Zeug zum neuen Brenner
Der Sprachspieler Franzobel schickt in seinem zweiten Krimi "Groschens Grab" wieder einen schrulligen Kommissar auf Verbrecherjagd. Ganz nebenbei entsteht so eine meisterhafte Gesellschaftssatire auf Österreich.
Es scheint in Mode zu kommen, dass Träger renommierter Literaturpreise sich auch mal an einem Krimi versuchen. Ob Booker- oder Büchnerpreisträger, Pynchon oder Lewitscharoff, sie machen sich einen Spaß daraus, unter Pseudonym oder nicht, Krimis zu schreiben. Auch in der mittlerweile unübersichtlich gewordenen deutschsprachigen Krimiflut setzt der österreichische Sprachspieler Franzobel einen drauf und legt seinen mittlerweile zweiten Kriminalroman vor.
Vor einem Jahr hat der Ingeborg-Bachmann- und Arthur-Schnitzler-Preisträger mit "Wiener Wunder" sein Debüt als Krimiautor abgeliefert, nun schickt er seinen Kommissar Groschen wieder auf Verbrecherjagd. Dabei nutzt er alles, was sich in der Kriminalfiktion bewährt hat: einen schrulligen Kommissar, der erklärtermaßen viel von seinem Schöpfer hat, äußerst skurrile Fälle - und alles umspült von Franzobels Worterfindungsreichtum.
Polizisten mit Heurigenausstrahlung
Seinen Kommissar, ein unauffälliger, aber letztendlich blitzgescheiter Mitvierziger, hat Franzobel mit einem Augenzwinkern Falt Groschen getauft. Ein skurriler, manchmal missmutiger Typ, der von Hautausschlägen und Quaddeln geplagt ist, aber eigentlich nichts anderes als allergisch auf sich selbst ist. Sein Instinkt allerdings stimmt, so dass Groschen bereits auf den ersten Seiten Unheil wittert. Es gilt den Mord an der 82-jährigen Bestsellerautorin Ernestine Papouschek aufzuklären. Die betagte Dame schrieb Greisenpornos, drängte sich werbewirksam in jede Talkshow, war reich und berühmt und kurz darauf tot. Die Ermittlungen führen den Kommissar hinter hohe Klostermauern, ins dunkle Sarajewo, in eine Künstlerkommune, in der freie Liebe propagiert wurde – und immer wieder durch die Gassen Wiens.
Wie schon in seinem Debüt, setzt Franzobel auch in "Groschens Grab" auf Lokalkolorit. Mit dem Kommissar streift man buchstäblich durch die Wiener Suburbs, weit entfernt vom Wiener Ring und seinen Lodenmantelträgern und bekommt auf vielfältige Weise jenes "Yin und Yang der Österreicher" serviert, das man eigentlich keinem Ausländer erklären kann. Nach dem Lesen weiß man nur zu gut, was z.B. mit einem "Polizisten mit Heurigenausstrahlung" gemeint ist.
Franzobel gilt als "Worterfindungsmeister" und Menschenkenner
Das kann Franzobel: sehr genau und oft parodistisch seine Personen zeichnen. Nicht grundlos gilt der populäre und polarisierende Autor als "Worterfindungsmeister" und Menschenkenner. Mit Franzobels Parcours der Verdächtigen entstehen so großartige Kleinportraits. Den tätowierten Rockernachbar mit langem Kinnbart und Silberringen an Mund und Ohren, der seinen Hund Adolf ruft, zeichnet Franzobel in wenigen Strichen als eine Mischung aus Türvorsteher, Motorradrocker und Neonazi; auch der hager asketische, durch und durch disziplinierte Priester blinkt mit seinem roten Gesicht wie ein "Pimmelgesicht" vor dem Kruzifix. Das liest sich skurril, das ist launig, wie manche Kapitelüberschrift "Katholische Backe", "Kabarettistendiät" oder "Anleitung zur Benützung von Kleinfamilientoiletten". Ein Spannungsfeuerwerk ist es nicht, vielmehr ein meisterliches Portrait Österreichs.
Franzobels Welt ist verschroben aktuell und zeitgeschichtlich auf dem neuesten Stand. Eine Mischung aus phantastischem Realismus und Wiener Volksstück. Seitenhiebe auf die Doppelmoral der katholischen Kirche regnet es heftig, auch auf korrupte österreichische Politiker oder Immobilienkonzerne. Es sind diese Anspielungen, die Franzobels Kriminalroman zu einer Gesellschaftssatire machen und herausheben aus der österreichischen Krimiflut. Sein Kommissar Falt Groschen hat das Zeug dazu, ein weiterer Starkommissar wie Brenner zu werden – jener schwadronierende Ermittler, mit dem sein Landsmann Wolf Haas Bestseller am laufenden Band produziert. Also Achtung: Ansteckung ist möglich!