Krimiklassiker neu aufgelegt

Vorgestellt von Tobias Barth |
Wie Schatzkammern aus alten Tagen müssen die Rundfunkarchive auf Hörbuchverleger wirken: Dort lagern leicht verstaubt die Schmuckstücke, die zu heben und zu polieren jede archäologische Anstrengung wert ist. Der ganze Hörbuch-Boom ist ohne die Lagerstätten der ARD-Archive undenkbar, und das gilt nicht nur für die historischen Aufnahmen berühmter Schriftsteller oder für die dokumentarischen Fundstücke zur Zeitgeschichte.
Mehrere Verlage edieren nun auch die Kriminalhörspiele aus den ARD-Archiven, die Straßenfeger der frühen 60er Jahre ebenso wie etwa die Chandler-Krimis der 70er und 80er. Einen ganz besonderen Archiv-Schatz hat endlich der Hörverlag gehoben: Die Damen-Krimis des Saarländischen Rundfunks. Tobias Barth mit dem Hörbuchtipp

Das Cover der CD-Box hält zunächst eher abschreckende Informationen parat: "Die Dame im Nebel" - ein Krimi aus den 50er Jahren, vier Stunden lang. Das klingt nach Langeweile, nach Mottenpulver im Nerzmantel, nach billigen Gruseleffekten im Londoner Smog, nach Sonntagnachmittagsunterhaltung aus der Zeit, in der das gute alte Dampfradio mit Schlagermusik und seichter Unterhaltung das Wirtschaftswunderpublikum in Kittelschürze und Hausanzug zu unterhalten suchte. Weit gefehlt:

CD-Ausschnitt:
"Tja, meine Damen und Herren, es begann eigentlich alles in einer kleinen Bar. So passiert mir das oft. Manchmal beschließe ich, keinen Fuß mehr in solch ein Ding zu setzen, vielleicht könnte ich dann ein friedliches Leben führen. Übrigens, Philip Odell ist mein Name. "

Philip Odell – war das nicht dieser Detektiv, den man noch in den 80er Jahren ab und zu im Radio zu hören bekam – und der so überhaupt nicht langweilig war?

CD-Ausschnitt:
"Philip Odell, Irländer aus Dublin, wenn ich auch wenig Gebrauch von meiner Heimat mache, und mich meistens anderswo in der Welt herumtreibe wie nebenbei alle echten Iren. Einmal werde ich aber wieder in Dublin sein. Damals als dies alles passierte, war ich sogar auf dem Weg, Flugkarte in der Tasche, Koffer gepackt, alles fertig. Und dann, dann konnte mir doch nichts Gescheiteres einfallen als Heather McMara anzurufen.
Hallo...treffen wir uns in der kleinen Bar an der Picadelly-Street... Ja gern!"

Der Detektiv, dem es eigentlich nur um ein Rendezvous ging, den dann aber lawinengleich eine Mordsgeschichte überrollt? Ja, genau der ist es. Und es ist anregend, diesen alten Radiokrimi nach vielen Jahren einmal wiederzuhören. Worum geht es? Das erfährt Odell und mit ihm der Zuhörer in eben jener Bar von eben jener Frau:

"Mein Bruder ist tot. Man hat ihn ertrunken in der Themse gefunden...Er war der beste Schwimmer weit und breit. Ich glaube, er ist umgebracht worden.
-Was meint denn die Polizei?
Die meint, es war Selbstmord oder ein Unfall. Das glaube ich nicht. Philip, Sie müssen mir helfen den Mörder zu finden."

Philip Odell, Draufgänger und alter Geheimdienstler, lässt sich auf das Abenteuer ein. Drei weitere Morde geschehen während seiner Ermittlungen. Ein Sumpf tut sich auf und mit ihm die Krimi-Klischees: Erpressung und alte vertuschte Geschichten, Rache auf eigene Faust und der metaphorische Londoner Nebel.

"Alle, alle lügen. Lügen nach Strich und Faden. Immer wieder passiert das in solchen Fällen. Die meisten lügen, weil sie Angst haben, irgendein altes Skelett, das sie schön versteckt hielten, könne dabei ans Licht gezogen werden, auch wenn es gar nichts mit dem Fall zu tun hat. Einer aber lügt, weil er dem Strick entgehen will und sie oder ihn müssen wir finden...
-Du musst mir sagen, was ich tun soll.
Augenblick. Den Kopf zum Beispiel ein klein wenig nach links drehen, so, und jetzt ein wenig zurück. So ist es richtig ...Ich muss schon sagen, es ist die netteste Untersuchung, mit der ich je zu tun hatte..."

"Die Dame im Nebel" gehört zu den am meisten wiederholten Krimis in der ARD und hat dennoch nichts von seiner Frische verloren. Schnelle, gar nicht deklamatorische geben der Geschichte Schwung. Dort, wo die kriminalistische Spannung nachlässt, nutzt die geschickte Dramaturgie den Raum für komödiantische Dialoge. Überhaupt geht es neben der Ermittlung immer auch um Verführung – und das viel gescheiter als etwa bei James Bond. Für den Grusel sorgen im Hörspiel die Musikakzente.

"Warum gehen Sie denn nicht?
Ich habe Angst.
Dann lassen sie mich.
Tja, da lag Alexander, die Augen weit geöffnet, starrer Blick, die Zunge verdreht."

Natürlich zieht "Die Dame im Nebel" kräftig an den Registern der Krimiorgel und pfeift die altbekannten Weisen des Genres. Aber dem Autor Lester gelang es gerade dadurch, mit diesem Originalhörspiel bei der BBC zu landen. Und der deutsche Bearbeiter und Regisseur Albert C. Weiland machte mit seinem Philip Odell die unterhaltsame Krimiserie im deutschen Rundfunk populär.

Unglaublich erscheinen aus heutiger Sicht die Produktionsbedingungen: In nur acht Tagen entstand beim saarländischen Rundfunk das insgesamt vierstündige Hörspiel. In einer Hand hielt Weiland das Mikrofon, spielte selbst die Hauptfigur und dirigierte mit der anderen als Regisseur die Schauspielkollegen. Der Enthusiasmus und die für damalige Verhältnisse freche Sprechweise machten "Die Dame im Nebel" gleich mit der Radiopremiere zum Publikumsrenner – schön, dass es 50 Jahre später als CD zu haben ist. Ein Hörbuch, das seine Liebhaber finden wird – nicht nur unter Nostalgikern.


Lester Powell: Die Dame im Nebel
Aus dem Englischen von Marianne de Barde
Hörspielbearbeitung und Regie: Albert C. Weiland
Der Hörverlag 2005
4 CDs ca 260min
€ 24,95