Krisen, geplatzte Hoffnungen und Zukunftsängste

Von Bernhard Doppler · 07.06.2011
Mülheimer Theatertage, begründet bereits in den 70er-Jahren - eine Leistungsschau der deutschen Gegenwartsdramatik. Sieben, acht Inszenierungen, meist Inszenierungen von Uraufführungen werden ausgewählt. Prämiert wird mit dem Dramatikerpreis das beste neue Stück der Saison. Ein Treffen deutscher Schriftsteller? Der Autor Oliver Kluck, 2011 Neuling in Mülheim:
"… wenn das ein Autorentreffen sein soll. Ich habe bisher noch keinen Autor gesehen. Und man trifft sich als Autor hier nicht mit anderen Autoren."

Die Theater kommen aus Weimar, aus München, aus Leipzig, aus Berlin; das Produktionsteam, die Schauspieler – und oft auch die Autoren - stellen sich in langen Publikumsgesprächen dem Publikum. Doch dann fahren sie sogleich wieder ab. Die ästhetischen, dramaturgischen Konzepte der Autoren wären auch zu unterschiedlich, um sie vergleichen zu können. Der Leiter der Theatertage, Udo Balzer-Reher, zum Verfahren:

"Das ist eigentlich ganz einfach: Fünf Journalisten im Auswahlgremium und ein zweites Gremium, die Preisjury, die aber nicht nur aus Journalisten, sondern mehrheitlich aus Theaterleuten besteht, entscheidet über den Dramatikerpreis. Wir versuchen auch immer Autoren zu kriegen, und das ist uns dieses Jahr mit zweien gelungen, Andreas Marber und Feridun Zaimoglu sind ja auch in der Jury, und seit drei vier Jahren gibt es dann auch noch den Publikumspreis, der undotiert ist, und über diesen Preis entscheidet das wirklich klasse Publikum."

Die alte Frage, auch 2011, auch bei einem Dramatikerwettbewerb, welche Rolle spielt der Dramatiker überhaupt im Theater? Der Dramatikerpreis - ein Preis für einen Nebendarsteller? Das Schauspielhaus Wien, ausschließlich auf Gegenwartsdramatik spezialisiert, ist mit Kevin Rittenbergers "Kassandra" eingeladen. Zuerst gab es das Projekt, dann den Textlieferanten, ein Projekt über Krisen, über das "Rauschen der Gegenmaßnahmen", so wie das Motto der Spielzeit in Wien hieß. Zuerst die Regisseurin Felicitas Brucker, dann wurde Kevin Rittenberg als Autor angefragt.

"Kassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung" – inzwischen schon in Hamburg nachgespielt – thematisiert die Flüchtlingsbewegungen aus Afrika nach Europa, ihre Hoffnungen und das Dilemma der Europäer, die darüber berichten. Und wo ist der Autor bei "Verrücktem Blut", dem postmigrantischen Erfolgsstück vom Theater Ballhaus Naunynstraße? Ausgangspunkt ist ein französischer Film von Jean Paul Lilienfeld. Geprobt wird – Theater im Theater - Schillers "Räuber". Wer ist der Autor? Schiller? Die Schauspieler? Der Lehrer, der Regisseur, der mit der Waffe in der Hand die aufmüpfigen Schüler tyrannisiert. Shermin Langhoff:

"Das waren sehr geführte Improvisationen von der Dramaturgie und Regie, weil die Ausgangssituation der Plot relativ klar, dann sind wir los auf die Bühne und haben frei improvisiert und sobald ein Funken den Erpulat und Hillje als interessant erachtet haben und versucht haben auszubauen und das war auf einer rein improvisatorischen Ebene."

Dreimal - so oft wie kein deutscher Dramatiker, hat Elfriede Jelinek bereits den Mülheimer Dramatikerpreis kassiert. Aber anwesend ist sie in Mühlheim auch diesmal, wie erwartet, nicht. Ein Textsteinbruch scheint ihre "Winterreise", eine Auftragsarbeit der Münchner Kammerspiele. Intendant und Regisseur Johan Simons sieht vor allem Persönliches:

"Ich stelle mir immer vor, die Jelinek schreibt, sie sitzt hinter ihrem Computer und sie schreibt über die Welt, und hier hat sie wahrscheinlich über die Welt geschrieben, und dann nachts hat sie, so stelle ich mir das vor, sich das noch einmal überlegt, und dann ist so eine persönliche Geschichte hereingekommen. Ich versuche immer, den Rhythmus eines Schriftstellers, wie er schreibt, auszudrücken."

Präsent ist Elfriede Jelinek gerade in ihrer Abwesenheit, als Dramatikerin-Autorität, von der man sich – auch in oft kabarettistischen Anspielungen anderer Produktionen - zu befreien versuchte. Kleine Gliederung des Textes durch Personen, eher ein dramatischer innerer Monolog ist "Warteraum Zukunft" von Oliver Kluck in der Weimarer Inszenierung von Daniela Kranz auf drei Personen. Oliver Kluck sieht gerade in dem Unorganisierten seines Textes auch eine Möglichkeit, Schauspieler zu motivieren.

"Dieses Textchaos, das ich Ihnen da zugemutet habe, es ist ja nicht so schön organisiert wie bei Goethe und Schleier. Man muss sich das erarbeiten, erkämpfen auch und das macht die total wütend. Aber ich werde das mal beibehalten. Es ist ganz gut, wenn die sich ein bisschen streiten. Man hat ja auch immer den allwissenden Regisseur, der erklärt, wie das alles funktioniert, und die merken dann meist bei den Proben, dass da irgendetwas faul ist, und dann kriegen sie sich und streiten, und dann wird das erfahrungsgemäß gut."

"Warteraum Zukunft" – das ist nach den Dramen über Intellektuelle oder Künstler ein Drama über einen Ingenieur und seinen Arbeitstag – und vielleicht ist das auch ein neues Interesse. Der für manche Kritiker schon verdächtig erfolgreiche Gebrauchsdramatiker Lutz Hübner hat in "Die Firma dankt" die Umstrukturierung einer Firma zum Thema gemacht, Was Adam Krusenbein dabei erlebt, ist es: Satire, Realität oder ein kafkaesker Alptraum? Das Publikum rätselt gerne mit.

"Stille
Ich fürchte, Sie irren sich. Es kann nicht sein, dass ich der einzige Abteilungsleiter hier bin. Ich glaube schon."

Schon oft eingeladen, auch einmal prämiert: Fritz Kater. Auch dieser Autor war, abgesehen davon, dass Kater das Pseudonym ist für den Regisseur Arnim Petras, abwesend. Geplatzte Hoffnungen der Nachwendezeit. Mülheim und Neubrandenburg schienen weit entfernt. Das Publikum amüsierte sich, so scheint es, doch eher bei den "Astronauten im Schnee" von Felicia Zeller. Ein Chor der überforderten Mütter und der Au-Pair-Mädchen. Was hat häusliche Raumpflege mit Raumfahrt zu tun? Die deutsche Dramatik stellt 2011 auch solchen Fragen.

Link:
"Stücke 2011" - Mülheimer Theatertage
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