Krisen in der Geschichte

"Man macht ja kaum noch Pläne für die Zukunft"

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Eine Schreibkraft mit Maske an der Schreibmaschine während der Zeit der Spanischen Grippe. (1918-1920)
Angesichts der Coronakrise neigen wir dazu, die historische Dimension von Pandemien, wie die Spanische Grippe, zu vergessen. Hier eine Schreibkraft mit Maske aus jener Zeit. (1918-1920) © picture-alliance / akg-images
Birte Förster im Gespräch mit Anke Schaefer |
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Die Historikerin Birte Förster blickt auf die Coronakrise aus historischer Perspektive. Sie widmet sich der "Krisengeschichte" auch in einem Seminar für ihre Studentinnen und Studenten.
Der griechische Begriff "Krise" komme aus dem Medizinischen, sagt die Historikerin Birte Förster. "Da gibt es eben einen gewissen Zeitpunkt, am dem sich die Krise in die eine oder in die andere Richtung entwickelt." Krisen hätten immer eine Zeitdimension. Man müsse zu einem bestimmten Zeitpunkt handeln, um bestimmte Effekte zu erzielen.
Birte Förster auf der Frankfurter Buchmesse 2018
Die Historikerin Birte Förster befasst sich mit KRisen auch aus historischer Sicht. © Heike Huslage-Koch
Auf Corona bezogen wisse man, wenn man Montag mit dem harten Lockdown anfange, wäre man voraussichtlich Mitte Januar wieder bei Inzidenzzahlen von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. "Wenn wir damit bis nach Weihnachten warten, dann dauert es bis Februar", so Förster. Das meine sie, wenn sie davon spreche, dass pandemische Krisen zeitkritisch seien.

Leben mit Unsicherheit

An der Universität behandele sie gerade mit ihren Studenten in einem Seminar das Thema "Krisengeschichte". Dabei gehe es um Krisen vom Mittelalter bis in die Gegenwart. "Zuletzt haben wir über die HIV-Krisen diskutiert."
Die Weltgesundorganisation habe bereits erwartet, dass sich so etwas wie die "Spanische Grippe" vom Anfang des 20. Jahrhunderts auch im 21. Jahrhundert wiederholen werde, sagt die Historikerin. "Als moderner Menschen vergegenwärtigt man sich halt nicht ständig, dass man in einer grundsätzlichen Unsicherheit lebt." Im Moment werde uns diese Unsicherheit eben sehr bewusst. Wir seien ständig damit beschäftigt, unsere Gegenwart zu bewältigen.
"Man macht ja kaum noch Pläne für die Zukunft", sprach Förster über ihre Beobachtungen des eigenen Verhaltens. Normalerweise wäre sie sonst bereits dabei, ihren nächsten Sommerurlaub zu planen. "Das habe ich jetzt mal gelassen, weil die Gegenwart so eine große Rolle spielt."

Schwere Zeit für Studentinnen und Studenten

Förster erzählt auch von persönlichen Erfahrungen in ihrem Universitätsalltag: Eine ihrer Studentinnen habe gesagt, dass sie in dieser Zeit der Krise gelernt habe, wie wichtig Solidarität sei. "Das finde ich so von Anfang Zwanzigjährigen doch sehr beeindruckend." Sie verneige sich vor den Studentinnen und Studenten. "Worauf die sich seit fast einem Jahr alles einlassen." Es gebe im Geschichtsstudium nur noch virtuelle Veranstaltungen. "Die meistern das mit ungeheurer Bravour."
Für viele Studentinnen und Studenten sei es eine schwierige Situation, weil viele alleine lebten. "Ein sehr großes Problem scheint zu sein, dass wir diejenigen, denen es sehr schlecht geht, nicht erreichen, weil die gar nicht auftauchen", zeigt sich Förster besorgt. Da werde noch sehr viel nach der Krise nachzuarbeiten sein, aber das gelte nicht nur für die Studentenschaft.

Die Historikerin Birte Förster ist Akademische Oberrätin an der Universität Bielefeld mit dem Schwerpunkt Globalgeschichte. Sie arbeitet zu den Themen Infrastrukturgeschichte, Geschichte der Dekolonisierung, neuere Politikgeschichte, Geschlechtergeschichte und Mediengeschichte. 2015 war sie Mitbegründerin des Blogs "gefluechtet.de". Zuletzt erschien von ihr 2018 das Buch "1919. Ein Kontinent erfindet sich neu".