Krisen, Kriege, Corona

Sechs Strategien zum Umgang mit Unsicherheit

Illustration: Eine Familie zieht und schiebt einen überdimensionalen Rettungsring über einen Strand.
Hilfe gesucht gegen die Unsicherheit angesichts all der Krisen der Gegenwart: Was kann jeder und jede Einzelne tun für einen konstruktiven Umgang damit? © Imago / fStop Images / Malte Müller
Die Corona-Krise und ihre Folgen, Kriege, aber auch Angst vor dem Klimawandel oder dem Artensterben. Es gibt viele Arten von Unsicherheiten. Was kann helfen, damit gut umzugehen? Was empfehlen Forschende?
Viele Menschen fühlen sich von den zahlreichen Krisen überfordert. Die Welt wird immer komplexer und wir müssen daher mit immer mehr Unsicherheiten umgehen.
Experten wie der Konfliktforscher Andreas Zick mahnen, dass Verunsicherung weitreichende Folgen haben kann – bis hin zur Gefährdung der Demokratie. Denn Menschen suchen Sicherheit, sie wollen Kontrolle haben. Und manche Menschen greifen dann zu Verschwörungsmythen, Populismus oder Extremismus, um zumindest vermeintlich wieder Kontrolle zu erlangen.
Was aber hilft, um einen gesunden Umgang zu finden? Die Wissenschaft spricht von Resilienz als der Fähigkeit schwierige und von Unsicherheit geprägte Lebenssituationen wie Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen und künftigen Krisen vorzubeugen. Und Resilienz können wir lernen, sagt die Wissenschaft.

Den eigenen Gefühlen Raum geben

Für viele Fragen, die uns umtreiben, haben wir noch keine Antworten. Es könne helfen, den Blick auf sich und die eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu lenken, sagt Heidi Möller, Psychologie-Professorin an der Universität Kassel.
Das sei konstruktiver, als sich „in vermeintliche Sicherheiten, in Rechthaberei zu flüchten“, sagt Möller, Und das gelte auch dann, wenn die Gefühle unangenehm sind.
Denn: Wer seine negativen Emotionen anerkennt, beruhigt das Nervensystem und macht so kreatives Denken wieder möglich. Dann kann man wieder verschiedene Zukunftsperspektiven entwickeln – und im Idealfall erkennen: Es muss nicht das schlimmste Szenario eintreffen.
Aber auch die positiven Gefühle sind wichtig: Psychologin Isabella Helmreich vom Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz rät dazu, zu üben, positive Emotionen bewusst zu empfinden und auf dieser Basis mit Optimismus und Zuversicht in die Welt zu schauen.

Die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen

Statt auf die Weltlage zu fokussieren, kann man sich fragen, ob die eigenen Bedürfnisse aktuell ausreichend erfüllt sind – oder ob man deren Erfüllung möglicherweise bedroht sieht.
So kann man die Motivation hinter eigenen Haltungen besser erkennen. Denn wenn man ein Bedürfnis als bedroht empfindet – beispielsweise nach Sicherheit, nach Kontrolle oder nach Mitbestimmung - kann sich das auf die eigene Haltung auswirken: Möglicherweise lehnt man bestimmte Dinge ab, um nicht die Erfüllung des eigenen Bedürfnisses zu gefährden. Durch diese Reflexion ist es möglich, besser zu erkennen, ob die eigene Reaktion in Form der ablehnenden Haltung tatsächlich sinnvoll ist oder nicht.

Blick verändern und Ängste relativieren

Angesichts von Ängsten, die die Entwicklung unserer Gesellschaft betreffen, rät Soziologie-Professor Uwe Vormbusch von der Fernuni Hagen, den eigenen Blick zu verändern: Aus seiner Sicht sei klar, „dass ein würdevolles Leben für alle acht Milliarden Einwohner dieses Planeten bei unserem Stand der Technik und des Wissens prinzipiell möglich ist“.
Das könne auch den eigenen Blick über Deutschland hinaus weiten, in Richtung Europa oder auch der Welt. Und: Das „könnte auch dazu dienen, dass wir unsere Zukunftsängste relativieren “, so der Sozialwissenschaftler.

Mit Ohnmacht umgehen

Ein Gefühl, das Individuen, aber auch Gesellschaften prägt, ist das von fehlender oder mangelnder Kontrolle. So kann eine einzelne Person beispielsweise weder die Entscheidungen von US-Präsident Donald Trump beeinflussen – auch nicht, wenn sie Europa betreffen –, noch den Krieg gegen die Ukraine beenden, auch wenn sie sich noch so stark dagegen engagiert.
Der Kontrollverlust, der in vielen Gesellschaften erlebt wird, hat auch etwas zu tun mit einem Mythos, wie es Soziologe Vormbusch nennt. Nämlich, dass das Leben nach vernünftigen und berechenbaren Regeln stattfindet. Darauf fuße unsere Vorstellung von Sicherheit zu großen Teilen. Dieser Mythos aber „zerbröselt“.
Psychologie-Professorin Heidi Möller betont: Wir als Gesellschaft und als Individuen müssten lernen, dass wir nicht alles unter Kontrolle haben können.
Wir müssen also lernen, unsere Ohnmacht einerseits auszuhalten. Andererseits können wir - im Rahmen unserer Möglichkeiten - aber auch aktiv werden, um besser mit unserer Ohnmacht umgehen zu können und Selbstwirksamkeit zu erfahren – also, dass wir etwas bewirken können.
Die Nato-Strategieberaterin Florence Gaub sagt dazu: „Sich auf das konzentrieren, was man tun kann.“ Und: Sich nicht erdrücken lassen vom großen Ganzen – indem man sich Pausen und eigene Prioritäten zugesteht: „meine Familie, meine Werte und so weiter“. Und sich bewusst machen, so Gaub: Am Ende des Tages ist es der Job der Entscheidungsträger, Lösungen für die Krisen dieser Welt zu finden.

Ambiguitätstoleranz erweitern

Ambiguitätstoleranz meint die Fähigkeit, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten aushalten zu können, auch die einer komplexen Welt. Der Begriff stammt aus der Psychologie. Es gehe darum, erklärt Psychologin Heidi Möller von der Universität Kassel, nicht in Kategorien von „schwarz und weiß“ oder „richtig und falsch“ zu denken und stattdessen stärker das „Sowohl-als-auch“ zu sehen.
Praktisches Beispiel: sich einerseits einfühlen können in das Leid der Israelis nach dem Hamas-Terror, aber andererseits auch das Elend der hungernden und sterbenden Menschen im Gazastreifen zu sehen.
Auch hier ist Veränderung möglich: Zwar werde Toleranz früh in der kindlichen Entwicklung angelegt, erklärt Pädagogin und Therapeutin Astrid von Friesen. Aber auch Erwachsene könnten ihr Repertoire an zugewandtem Interesse erweitern – am besten in Situationen, in denen Gefühle und Verstand gleichermaßen involviert sind. Beispielsweise, wenn man durch eine Biografie vom Leid einer Gruppe, die man ablehnt, auf authentische Weise erfährt.

„Kritische Hoffnung“

Dinge wie das Versachlichen von Zukunftsperspektiven oder das Aushalten der eigenen Ohnmacht ermöglichen eine „kritische Hoffnung“. Das sei keine Hoffnung, die sagt „Alles wird gut“, betont Susanne Waldow-Meier vom Institut Futur der Freien Universität (FU) Berlin.
Die „kritische Hoffnung“ erkenne die tatsächliche Situation an – und sei dennoch getragen von Vertrauen, dass es möglich ist, gemeinsam ein lohnenswertes Ziel zu erreichen oder sich ihm zumindest zu nähern.

abr, pto
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