Reporterin Gabriele Riedle
Wollte eigentlich Regisseurin werden: die Reporterin Gabriele Riedle. © Claudius Pratsch
Das Leben in seiner Rohheit erleben
38:56 Minuten
Sie war im Bürgerkriegsland Liberia, begleitete Flüchtlinge in Darfur, porträtierte Mädchen in Afghanistan. Die Reporterin Gabriele Riedle scheut kein Risiko, um nah an den Menschen zu sein. Das zeigt auch ihr neuer Roman.
"Man setzt sich irgendwelchen heftigen Dingen aus, und das ist faszinierend, aber auch schrecklich, und es ist Gefahr", sagt Gabriele Riedle. Eine Gefahr, in der ihr Kollege und Freund, der berühmte Kriegsreporter Tim Hetherington, umgekommen ist. Aus dem Radio erfährt die Protagonistin ihres Buches von seinem Tod und nimmt das zum Anlass, über ihn zu erzählen. Von seinem Leben und Sterben, aber auch von ihren eigenen Erfahrungen in allen möglichen Winkeln dieser Erde, in Afghanistan und im Dschungel von Papua-Neuguinea, im Kaukasus, im Himalaya und in Liberia.
"Es geht um Vitalität"
"In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg" ist ein Roman mit stark autobiografischen Zügen. 20 Jahre Erfahrung als Welt-Reporterin fließen darin ein. Was treibt sie an? Gabriele Riedle spricht von einem Paradox, das für sie der Kern ihrer Lebensweise als Welt-Reporterin in Krisenregionen ist: "Es geht tatsächlich um Vitalität. Es geht darum, das Leben als nicht schon Fertiges zu erleben, als Gemachtes, sondern in seiner Rohheit, wie wir das hier in unseren gepolsterten Leben eigentlich nicht mehr kennen, aber was einem eine Dimension von Wahrheit entgegenbringt, der man sich nicht entziehen kann.“
Theater als Ort der Rebellion
Eigentlich wollte Gabriele Riedle Regisseurin werden. 1958 in Stuttgart geboren, wuchs sie in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Ausgleich war für sie das Schauspielhaus, direkt neben ihrer Schule gelegen, und der Regisseur Claus Peymann. Ab 15, erzählt sie, habe sie nur im Theater "rumgehangen". Das sei Avantgarde gewesen, ästhetisch und politisch. "Das war für mich eine sehr prägende Erfahrung und hat mich revolutionstechnisch enorm geboostert."
Später arbeitete sie als Regie-Assistentin am Düsseldorfer Schauspielhaus und an der Freien Volksbühne in West-Berlin. Relativ schnell merkte sie aber, dass die Theaterwelt doch nicht ihre war. Sie begann daher Literaturwissenschaften, Linguistik und Italienische Philologie an der Freien Universität Berlin zu studieren. Ihre Karriere als Journalistin begann sie im Feuilleton bei der "taz", arbeitete später für "Die Woche" und für das Magazin "Geo". Dessen Chefredakteur schickte sie zur Berichterstattung nach Afghanistan.
Krieg als Entertainment?
In ihrem Buch hinterfragt Gabriele Riedle auch das Mediengeschäft. Ist journalistische Kriegsberichterstattung ein Teil der Unterhaltungsindustrie? Man müsse unterscheiden zwischen der nachrichtlichen Berichterstattung, in der es um die nüchterne Schilderung von Fakten geht, und der erzählenden Berichterstattung, wozu auch Reportagen gehören. Reportage sei immer Emotionalisierung.
"Historisch gesehen ist die Reportage aus Kriegs- und Krisengebieten fast schon ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Das ist in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs Anfang der 40er-Jahre entstanden, als unabhängige Reporter zum ersten Mal an der Front waren", erzählt die Autorin. So sei beispielsweise Ernest Hemingways Roman "Wem die Stunde schlägt" sofort 1:1 in Hollywood verfilmt worden.
Auch das bekannte Foto eines sterbenden Soldaten im Spanischen Bürgerkrieg, der "Dying Soldier" von Robert Capa, sei im "life magazine" veröffentlicht worden, direkt neben einem Werbefoto für Pomade. Gabriele Riedle: "Diese Symbiose von Anzeigengeschäft und Kriegsberichterstattung hat von Anfang an dazugehört."
In die Ukraine plant die Reporterin indes nicht zu reisen. "Ich habe nicht genug Russisch und Ukrainisch gelernt, um in dieser Sprache arbeiten zu können", sagt Gabriele Riedle.
(kuc)