Krisenstaat

Griechen, definiert euch!

Von Konstantin Sakkas · 11.12.2013
Griechenland hat nicht allein eine Schuldenkrise zu überwinden. Vor allem müssen die Griechen in einem neuen Gesellschaftsvertrag vereinbaren, ob sie gemeinsam oder getrennt ihre Zukunft gestalten wollen.
Griechenlands Probleme sind so alt wie die Geschichte. Die meiste Zeit war es gar kein eigener Staat, sondern zersplittert in Regionen oder von Fremden beherrscht. Und die meiste Zeit ist es damit gut gefahren. Der griechische Pessimismus ist eine Erscheinung der modernen, neugriechischen Zeit. Sie begann 1830, als Griechenland sich von der osmanischen Herrschaft löste und unabhängig wurde.
Ihm fehlten von Anfang an die Grundlagen, wirtschaftlich lebensfähig zu sein. Staatskrisen taten das Übrige. Erst mit dem Sturz der Obristen 1974, also nach 144 Jahren, fing das Land an, ruhiger zu atmen. Doch zu einem Gemeinwesen im nordeuropäischen Sinne fand es bis heute nicht. Vielmehr verharrt es auf Dritte-Welt-Niveau. Das jüngste Hilfspaket der EU war mit Sicherheit nicht das letzte.
Ganz anders als Kulturnation. Da sind die Griechen unverändert das Vorbild des reichen Westens. Wer immer den sozialen Aufstieg geschafft hat, hat nichts Eiligeres zu tun, als seine Kinder auf Schulen zu schicken, wo sie eine Sprache lernen, die seit 2000 Jahren nicht mehr gesprochen wird: Altgriechisch.
Überall auf der Welt haben Diaspora-Griechen Erstaunliches geleistet: der größte Dirigent des 20. Jahrhunderts, Herbert von Karajan, trug einen griechischen Namen, Karajannis, genauso wie die Witwe des berühmtesten US-Präsidenten der Geschichte, Jackie Kennedy-Onassis. Das Regierungsviertel in Washington, das politische Zentrum der westlichen Welt, sieht aus wie eine athenische Tempelanlage.
Kein Volk der Welt integriert sich so schnell wie die Griechen. Wo sie auch hinkommen, werden sie wie selbstverständlich ins Bürgertum aufgenommen. Sie sind raffiniert, geschäftstüchtig und lebenslustig. Die älteste Handelsnation Europas brachte ein Volk von sonnenverliebten Seefahrern und Geschäftemachern hervor, das en passant noch andere Völker kultiviert und dafür von ihnen geliebt wird.
Kultivierte, lebenstüchtige Individuen
Genau darauf sollten die Griechen in Griechenland aufbauen. Sie haben zwei Optionen: Entweder sie packen die Aufgabe des "nation building" entschlossen an – das wird allerdings sehr schmerzhaft, kommt viel zu spät und passt auch nicht zum griechischen Nationalcharakter. Oder sie verabschieden sich ganz davon und werden wieder das, was sie seit je sind und wofür man sie in der Welt und in Europa braucht: zu einer Nation von kultivierten, lebenstüchtigen Individuen.
De facto sind sie das schon jetzt: Die griechische Gesellschaft ist gespalten in eine satte, sehr reiche Oberschicht und ein breites Bürgertum, das aber wirtschaftlich auf Unterschicht-Niveau lebt – ähnlich wie in Italien und bald auch bei uns, denn auch in den armen Regionen Deutschlands, etwa in Berlin, wird die Mittelschicht immer mehr zur besitzlosen Intelligenz.
Wenn sich die Griechen nicht auf eine gemeinsame Krisenstrategie einigen können, dann sollten sie sich voneinander trennen. Athen könnte seine staatliche Souveränität Regionen und Inselgruppen übertragen. Kleine Territorien – siehe nur die Schweiz oder Luxemburg – lassen sich überschaubar, effizient, ja sogar basisdemokratisch verwalten, anders als große Länder.
Und vielleicht wäre dort, geprägt von gemeinsamem Lebensstil und Tradition, der Zusammenhalt der Bürger stärker. Sicher würden sie die Schulden des gesamten Landes anteilig übernehmen müssen. Die Gläubiger aber könnten ihrerseits genauer hinschauen, sich von Ideen und Wirtschaftskraft der jeweiligen Region überzeugen und die Sanierung passgenau begleiten. Ein heilsamer Wettbewerb entstünde. Von dort – aus Städten, Gemeinden und Bezirken – muss ja in jedem Fall die Erneuerung kommen.
Für die vielbeschworene griechische Seele wäre eine Regionalisierung des Landes keine Schande, sondern ein Segen. Und wer weiß, ob Griechenland nicht auch damit auf lange Sicht zum Vorreiter Europas würde.
Konstantin Sakkas

Jahrgang 1982, schloss 2009 das Studium in den Fächern Rechtswissenschaften, Philosophie und Geschichte an der Freien Universität Berlin ab. Er arbeitet seit mehreren Jahren als freier Autor für Presse und Rundfunk.
Publizist Konstantin Sakkas
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